Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Der schreibende Spion
Im Alter von 89 Jahren ist der britische Bestsellerautor John le Carré nach kurzer Krankheit in Cornwall gestorben.
Er war selbst einer. Ein echter Spion, wenn auch kein wirklich toller, wie er später immer wieder gern und auch augenzwinkernd erzählte. Das war Anfang der 60er-Jahre, als der Mann namens David John Moore Cornwell unter dem Deckmantel eines britischen Diplomaten Deutschland ein bisschen auskundschaftete. In Diensten des MI5 und des MI6, zwei große Namen, mysteriöse Codes, die die abenteuerlichste Fantasie freisetzten. In Europa tobt der Kalte Krieg und im geteilten Deutschland am heftigsten. Ein dankbares Terrain mithin für Geheimniskrämer aller Art. Also für Spione und Schriftsteller gleichermaßen, und man darf von glücklicher Fügung sprechen, dass unser Brite in diesem Sinne als Doppelagent tätig war, spionierend und schreibend, und sich schließlich ganz auf die Seite der Literatur schlug. Und so wurde aus David John Moore Cornwell der Autor
John le Carré. Einer der Großen aus der Riege der Bestsellerautoren, millionenfach gelesen und geliebt. Am 12. Dezember ist John le Carré gestorben, wie jetzt bekannt wurde.
Die Wandlung vom Agenten zum Autor hatte sich nach seiner Wahrnehmung in sehr kurzer Zeit vollzogen. Sicher, zwei Thriller hatte er mit „Schatten von gestern“und „Ein Mord erster Klasse“bereits veröffentlicht, doch eigentlich war das nur eine Art Prolog. Eine Vorbereitung, gelungene Fingerübung für „Der Spion, der aus der Kälte kam“von 1963 – noch im Verborgenen geschrieben, praktisch aus der Innenwelt des Geheimdienstes heraus. Komischerweise ist die Geschichte das mit Abstand schmalste seiner Bücher, und zugleich sein erfolgreichstes: mehr als 20 Millionen Mal verkauft und später mit Richard Burton in der Hauptrolle verfilmt.
Die Entstehung dieses Romans über einen Doppelagenten, der nur als Spielfigur auf dem Schachbrett der Mächtigen benutzt wird, klingt wie ein Märchen: In nur fünf Wochen will le Carré das Buch geschrieben haben. Er arbeitete abends in seiner Wohung in Königswinter, die ihm die britische Botschaft zur Verfügung gestellt hatte; oder auch während der Fährüberfahrt über den Rhein, wobei sein Auto gelegentlich sogar neben dem gepanzerten Mercedes von Adenauer gestanden haben soll. Fünf Wochen brauchte er für diesen Weltbesteller, mit dem der schreibende Agent seine Unschuld verliert und sein Leben verändert wird. Ein bisschen ähnelt das dem legendären George Smiley – Hauptfigur seiner ersten beiden Romane, die jetzt plötzlich zu einer Randfigur wird. Einen „Glückstreffer“wird Le Carré den Roman später nennen. George Smiley aber legt 1963 nur eine Pause; etliche weitere Romane um ihn werden in den späteren Jahren folgen – wie „Dame, König, As, Spion“, „Eine Art Held“und „Agent in eigener Sache“.
Le Carré wirkt als Agent und Autor zur richtigen Zeit am richtigen Ort: mitten in Deutschland zur Zeit des Mauerbaus in Berlin, die alles Spionieren gefährlicher und das Leben insgesamt fragwürdiger, ungewisser macht. Die Mauer wird ihm zum Abbild seiner damals frustrierten Existenz, zugleich steigt eine unbändige Wut in ihm auf. Vielleicht erklärt auch das den großen Schreibdruck, der das Buch vorantrieb und so schnell zum Abschluss brachte. Der Eiserne Vorhang, Ost und West, Demokratie und Diktatur, Kapitalismus und Kommunismus – die Welt scheint in dieser Zeit noch stärker in den Farben Schwarz und Weiß gezeichnet zu sein. Und das zeichnet eben einen großen Erzähler aus: dass er nicht diese Klischees bedient, dass er es sich nicht einfach macht und alles kurzerhand in Gut und Böse einteilt. John Le Carré bleibt ein Erzähler der Zwischentöne, des Unentschiedenen und Nachdenkenswerten. Und er bleibt es bis ins Spätwerk seiner mehr als 20 Bücher – etwa in „Marionetten“von
2008, die Geschichte eines jungen Muslimen in Hamburg, der in der Hysterie nach den Anschlägen vom
11. September unter Verdacht gerät. Deutschland wird John le Carré zeitlebens nicht loslassen. Und das hat nicht nur damit zu tun, dass er in Bern Germanistik studierte und hierzulande arbeitete. Vielmehr kann man ihn fast einen deutschen Schriftsteller nennen. Immer wieder sprach er davon, von der deutschen Muse umarmt worden zu sein.