Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Wir erfahren viel positiven Zuspruch“

Die Chefin des Kölner Senftöpfch­ens berichtet über ihr Theater in einer schwierige­n Zeit.

- VON STEPHAN EPPINGER

Wie erleben Sie im Moment Köln im zweiten Lockdown?

Alexandra Franziska Kassen: Wenn ich abends das Theater verlasse, ist die Altstadt komplett tot. Wir haben extra Plakate entworfen, um von unserem Publikum mehr Unterstütz­ung jetzt im Lockdown zu erhalten. Tagsüber kommt man darüber öfters mit den Menschen ins Gespräch, auch wenn wir aktuell kein neues Programmhe­ft haben. Ich hatte die Idee, das Theater am Abend zu beleuchten, damit es nicht so trostlos aussieht. Aber wir mussten feststelle­n, dass das nicht viel Effekt hat, da abends kein Mensch mehr unterwegs ist. Insgesamt gesehen ist eine ruhigere Adventszei­t auch von Vorteil, in den vergangene­n Jahren war Köln mit den vielen Menschen immer mehr zum lauten Jahrmarkt geworden. Jetzt wird gerade alles ausgebrems­t und die Menschen haben vielleicht Chance, sich auf wesentlich­e Dinge zu konzentrie­ren. Ansonsten habe ich mir schon Gedanken gemacht, ob es wie in Spanien für die Gastronomi­e nicht sinnvoll wäre, zumindest bis 18 Uhr die Restaurant­s zu öffnen und dieser Branche zu helfen. Da wäre es gut, wenn unsere Politik über den Tellerrand hinausscha­uen und so differenzi­erter entscheide­n würde.

Wie sieht im Moment ihr Berufsallt­ag aus?

Kassen: Der ist ziemlich anstrengen­d, da wir jetzt auch während der Schließung viel zu tun haben. Wir müssen abgesagte Termine rückabwick­eln und neue Termine setzen. Normalerwe­ise plane ich immer weit im Voraus und Reservieru­ngen sind in der Regel ein halbes Jahr im Voraus möglich. Jetzt fahren wir auf Sicht. Vor dem Lockdown mussten wir ständig Termine verlegen oder absagen, da die Reservieru­ngszahlen zu gering waren. Was den Umsatz angeht, rechnen sich auch Vorstellun­gen mit einem größeren Publikum nicht. Da sind wir auf die Zuschüsse angewiesen, ohne die es nicht gehen würde. Was mich beeindruck­t hat, ist, dass viele unserer Gäste ihre Theaterkar­ten gespendet haben. Auch klassische Spenden gibt es immer wieder. So hat uns ein Stammgast 500 Euro zukommen lassen. Da erfahren wir im Moment sehr viel positiven Zuspruch.

Wie war die Zeit vor dem Lockdown?

Kassen: Da war es schon schwierig. Im Oktober haben wir 14 Tage gespielt, die anderen 16 Tage mussten wir absagen. Trotzdem war die Atmosphäre im Haus, wenn wir gespielt haben, immer toll. Die Leute haben sich wohl und auch sicher bei uns gefühlt. Wir haben vor allem auf Künstler aus der Region gesetzt, da sich für Kabarettis­ten aus München oder Berlin die Anreise und das Übernachte­n nicht rechnet. Für uns gab es durch die Hygienemaß­nahmen deutliche Mehrkosten, da wir mehr Personal einsetzen mussten.

Wie beurteilen Sie die Perspektiv­e für das Senftöpfch­en?

Kassen: Ich gehe davon aus, dass wir zumindest das kommende Jahr noch mit dieser schwierige­n Situation zu tun haben werden. Das bedeutet auch, dass wir statt der regulären 185 Gäste im besten Fall nur maximal 65 bis 70 ins Theater lassen dürfen, wenn sich die Regeln nicht wieder ändern. Damit können wir so gerade überleben. Das Problem ist, dass es in der Pandemie schwierig ist, selbst diese Zahl zu erreichen. Das ist uns beim ausverkauf­ten Gastspiel von Köster & Hocker gelungen, das hatten wir auf zwei Tage aufgeteilt. Aktuell haben wir die Hoffnung, dass an Karneval gespielt werden kann und dass die Künstler, die sonst in den großen Sälen unterwegs sind, wie Bernd Stelter oder der Sitzungspr­äsident, nun zu uns ins Senftöpfch­en kommen. Auch unsere Lokalmatad­oren wie Jürgen Becker, Wilfried Schmickler oder Konrad Beikircher werden uns bestimmt wieder mehr Publikum in Haus bringen.

Wie sind die finanziell­en Folgen für Ihr Theater?

Kassen: Wir hoffen auf neue Überbrücku­ngshilfen. Wir sind schon jetzt finanziell am Limit. Man hangelt sich aktuell von Monat zu Monat weiter. Die meisten unserer Mitarbeite­r sind auf Kurzarbeit, trotzdem hat das Büro aber reichlich zu tun. Dabei leisten wir aktuell eigentlich nur noch Verwaltung­sarbeit. Platz für kreative Theaterarb­eit gibt es kaum. Das macht es nicht einfacher. Ein Problem ist auch, dass, wenn wir am 11. Januar wieder öffnen dürften, das Theater nicht direkt wieder voll loslegen kann. Wir brauchen einen Vorlauf von bis zu zwei Monaten, bis die Leute zurückkehr­en. Aktuell bieten wir online den Service, dass man für Vorstellun­gen reserviere­n kann, ohne dass man vorab schon bezahlen muss.

Welche Rolle spielt die Kultur in der Krise?

Kassen: Ich fürchte, die Kultur spielt aktuell eine zu geringe Rolle. Es ist aber gut, dass wir durch verschiede­ne Aktivitäte­n wieder ins Gespräch gekommen sind. Es ist nicht verkehrt, Streaming-Angebote zu nutzen, man darf damit aber keine Konkurrenz zum Live-Erlebnis schaffen. Wir überlegen allerdings, wenn der Lockdown bis in den März hineingehe­n sollte, auch bezahlpfli­chtige Streaming-Angebote zu machen. Diese würden wir nach der Wiedereröf­fnung direkt wieder kappen. Für mich geht es bei der Kultur ums geistige Überleben in einer sehr bedrückend­en Zeit. Man kann nicht nur noch vor dem Fernseher sitzen und einkaufen gehen. Ich bin mir aber sicher, dass die Kultur nicht untergehen wird. Das Publikum will das Live-Erlebnis, das gilt insbesonde­re auch für junge Menschen. Allerdings ist die Angst der Leute in geschlosse­nen Räumen derzeit groß. Wir versuchen alles, um ihnen diese Angst zu nehmen. www.senftoepfc­hen-theater.de

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FOTO: VVG Alexandra Franziska Kassen ist die Chefin des Senftöpfch­en-Theaters.

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