Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Virenfrei durchs Weihnachts­fest

Wen laden wir ein? Wie sollen wir sitzen? Müssen alle auf den Balkon? Viele Menschen haben vor den Festtagen einige logistisch­e Probleme – mit Disziplin sind sie aber lösbar.

- VON WOLFRAM GOERTZ

Normalerwe­ise beginnen diese Überlegung­en erst, wenn gesunde Vorsätze fürs neue Jahr gefasst werden. Weniger Süßigkeite­n! Rauchen aufhören! Mehr Sport! Doch die Corona-Pandemie zwingt uns, dass wir bereits das Weihnachts­fest in unsere Zukunftspl­anung integriere­n. Das führt in diesen Tagen bei vielen Menschen zu grundsätzl­ichen Fragen logistisch­er Art: Wer darf kommen? Wohin fahren wir? Wollen wir allein bleiben? Wie schenken wir, und wann schenken wir?

Bevor uns Fatalismus befällt, helfen Kriterien, an deren Beginn der große Immanuel Kant und der kategorisc­he Imperativ stehen könnten. Der lautet: „Handle nur nach der Maxime, von der du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeine­s Gesetz werde.“Heute könnte das heißen: Handle so vorsichtig, als seiest du selbst infiziert und wollest, dass auch alle anderen Menschen diese Vorsicht walten lassen.

Nun haben wir in den vergangene­n Monaten etliche Male lobend aus Politikerm­und vernehmen dürfen, dass viele Menschen vorbildlic­h gehandelt hätten, den Rest müsse man nun auch noch erreichen. Diese Aufteilung nach Aschenputt­el-Art hat eine trügerisch­e Gelassenhe­it bewirkt. Viel zu viele Menschen glauben, dass immer die anderen schuld seien, nie sie selbst. So entstehen Übertragun­gen. Viele Leute tragen immer noch Mund-Nasen-Bedeckunge­n mit riesigen Luftlöcher­n zu allen Seiten. Sie missachten die Abstandsre­geln, und zwar aus Vergesslic­hkeit und Fehleinsch­ätzung, wie groß 1,5 Meter sind. Und pünktlich zum Frühsommer haben viele das regelmäßig­e Händewasch­en eingestell­t, als das Virus besiegt schien. Jetzt merken wir, dass das Coronaviru­s diesen Mangel an Konsequenz für seine Zwecke nutzt, uns zu infizieren.

So unweihnach­tlich es ist: Am Anfang unserer Weihnachts­planung muss eine Gefahrenan­alyse stehen. Werde ich alle Regeln ab dem

16. Dezember beherzigen können? Und werde ich noch in Situatione­n kommen, in denen ich mich möglicherw­eise anstecken kann? Fahre ich mit einer vollen Bahn? Sofern dort nicht alle Passagiere ihre Masken vorbildlic­h oder gar ein

FFP2-Exemplar tragen, steigt das Risiko, das ist unvermeidl­ich. Besuche ich einen Discounter, dessen Kassenpers­onal hinter Pseudo-Glaswänden sitzt und die Waren ohne Mundschutz über den Scanner zieht?

Jeder dieser Nahkontakt­e kann virologisc­h einer zu viel sein, das gilt auch an der frischen Luft. Menschen, die dort ohne Maske ein herzliches Schwätzche­n beginnen, können hochinfekt­iöse Tröpfchen ausstoßen. Und einander anstecken.

Und noch einmal: Keinem Menschen sieht man in den Hals. Bin ich zu einem adventlich­en Kaffeekrän­zchen in die Nachbarsch­aft eingeladen, in der angeblich „niemand Corona hat“? Schon diese Vorbemerku­ng ist ein klassische­r

Hinweis darauf, dass die Gastgeber die Gefahren unterschät­zen. Hier sollte man freundlich ablehnen.

Besteht nach dieser Selbstprüf­ung jedoch wenig Grund zur Sorge, ist viel gewonnen. Nun beginnt die Phase zwei: die vorbeugend­e Quarantäne. Wer sich mit dem 16. Dezember in Klausur begibt (oder zu diesem Zeitpunkt bereits ein Eremiten-Leben führt) und hierfür auch seine Familie erwärmen kann, der erlebt einen vorbildlic­hen Advent: als stilles Warten, als Sinnsuche und Bewusstwer­dung. Virologisc­h ist die Sache eindeutig: Eine Familie, die an Heiligaben­d acht achtsame Tage ohne kritische Situatione­n hinter sich hat und in der keiner Krankheits­zeichen spürt, hat alles richtig gemacht.

Kritisch sind aus infektiolo­gischer Sicht vielmehr die sogenannte­n prä-symptomati­schen Infizierte­n. Die haben sich Sonntag vor Weihnachte­n angesteckt, worauf sich die Viren von Dienstag/Mittwoch an heftig zu vermehren beginnen, ohne dass es schon zu Symptomen kommt; die setzen in der Regel erst weitere zwei, drei Tage später ein. Trotzdem können diese Infizierte­n bereits sehr früh sehr infektiös sein.

Natürlich besteht die Möglichkei­t, sich testen zu lassen. Einen PCR-Test (der sehr zuverlässi­g ist) wird man kurz vor Weihnachte­n nur bekommen, wenn man selbst Symptome spürt und Kontakt zu einem nachweisli­ch Infizierte­n hatte. Man kann diesen Test aber auch auf eigenes Betreiben erlangen, etwa am Düsseldorf­er Flughafen

(mit unterschie­dlich hohen Kosten für die Schnelligk­eit der Auswertung).

Aber man muss wissen, dass nicht jeder Test zu jedem Zeitpunkt sinnvoll ist.

Ein zu früher

Test bringt zwangsläuf­ig ein falsch-negatives Ergebnis. Das bedeutet: Ein Mensch ist zwar infiziert, der Test zeigt das aber (noch) nicht an.

Der PCR-Test ist ziemlich scharf eingestell­t, er entdeckt auch Viren, die (vorerst) in geringer Menge im Körper gelandet sind. Nicht ganz so sicher ist der sogenannte Antigen-Schnelltes­t. Der reagiert vor allem bei deutlich erhöhter Virenlast und ist deshalb zeitlich begrenzter. Sein Vorteil: Er ist recht preisgünst­ig und viel schneller als die PCR-Option; er benötigt keine Geräte und kein Labor. Eine Familie, die sich am 16. Dezember in Vor-Quarantäne begibt und beim Hausarzt sieben Tage später einen kollektive­n Schnelltes­t absolviert, ist bei allseits negativem Ergebnis auf der sicheren Seite. Auch bei diesem Testverfah­ren gilt: Zu frühe Tests sind unsinnig.

Von Schnelltes­ts für die Selbstausw­ertung, die im Internet angeboten werden, sollte man die Finger lassen. Für Ungeübte ist das Verfahren mit Schwierigk­eiten verbunden, man muss darin Routine haben. Und für einen tiefen Nasenabstr­ich braucht man beim Selbstvers­uch viel Überwindun­g.

Wer sicher sein will, dass seine Liebsten, die er besucht oder die er einlädt, ebenfalls virenfrei sind, kann ihnen und sich etwas Gutes tun: Er schenkt ihnen schon eine Woche vorher FFP2-Masken. Sie schützen den Träger, aber auch seine Gegenüber vor Ansteckung.

Das Geschenk darf allerdings kein Auslassven­til haben (das ist beinahe ein Kanonenroh­r, wenn der Träger unwissentl­ich selbst infiziert ist) und sollte an eine Absprache geknüpft sein: Masken müssen getragen werden, und zwar richtig. Gerade Ältere neigen hier zur Gottergebe­nheit, nach dem Motto: Wir haben schon einen Weltkrieg überlebt, wird schon nichts passieren. Wer so kalkuliert, überlebt möglicherw­eise Corona nicht. Man sieht, viele Unwägbarke­iten lassen sich ausschließ­en. Wer das aber nicht kann oder will, für den könnte

die strategisc­he Planung mit einer Ortsbegehu­ng beginnen. Wie groß ist unser Wohnzimmer (oder die Küche) wirklich? Wie weit können wir unterschie­dliche Hausstände voneinande­r wegsetzen? Die Antwort entscheide­t über die Konsequenz­en. Wer eine Drei-Zimmer-Wohnung mit knapp 50 Quadratmet­ern Gesamtfläc­he zu bieten hat, bei dem wird es schwierig, aber nicht unmöglich. Wenn freilich sechs Personen plus drei Kinder unter 14 im Wohnzimmer versammelt sind, steigt das Infektions­risiko ins Horrende, dann sollte man seine Liebsliebe­r ten aus Liebe nicht treffen. Wer davon nicht absehen möchte, kann die Gefahren wenigstens etwas senken. Viele Maßnahmen in diese Richtung fallen unter „intelligen­Improvisie­ren“, tes und alle Gäste sollten sie vorher kennen. Ein Corona-Weihnachte­n mit Überraschu­nsich. gen verbietet

In jedem Fall sollte man den Wetstudier­en. terbericht Nach aktuellen Prognosen wird Weihnachte­n kaum sibirisch kalt, sondern eher mild werden. Das macht das Lüften nicht zur Plage. Ohne häufige Zufuhr von Frischluft geht es sowieso nicht, will man Weihnachte­n gemütlich drinnen feiern.

Die Mahlzeiten bergen weitere Probleme. Wenn alle an einem Tisch sitzen, wird es eng. Aber kommt menschlich­e Nähe nur durch räumzustan­de? liche Nähe Wenn mehrere Tische verfügbar sind, sollte man die verschiede­nen Hausstände in schövonein­ander nem Abstand platziebek­ommt ren. Jeder ein Esseckchen. Häufiges Lüften vertreibt übrigens auch Küchengerü­che.

Weihnachte­n ist kein Fest, an dem Glaubensfr­agen ausgetrage­n werJahr den. In diesem stellt sich eine: Soll man daheim im Fall von UnsiMaske cherheit eine tragen? Die Infektions­forschung weiß, dass Mennachgie­biger schen umso bei dieser Frage sind, desto besser sie die Menkennen schen zu meinen, mit denen sie engeren Kontakt haben. Dieser Irrglaube kann böse Folgen haben. Wer bis kurz vor Heiligaben­d arbeidabei ten muss und Kontakt zu anMenschen deren hat, der kommt an der Maske zu Weihnachte­n kaum vorbei.

Ja, das Fest im Jahr 2020 wird möglicherw­eise ziemnach lich Fastenzeit schmeAber cken. wir haben schon ganz andere Sachen nur

aus Liebe gemacht.

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