Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Hartz IV – Wohnkosten stehen auf dem Prüfstand
„Da viele Leistungsempfänger in teureren Wohnungen leben, wird dagegen relativ viel geklagt“, so Anwalt Lars Johann. Und das immer wieder mit Erfolg.
REMSCHEID 353,50 Euro Bruttokaltmiete pro Monat – so viel steht alleinstehenden Sozialhilfe- und Hartz-IV-Empfängern in Remscheid als Wohnkosten derzeit zu. „Da viele Leistungsempfänger in teureren Wohnungen leben, wird dagegen relativ viel geklagt“, sagt Lars Johann. Und das immer wieder mit Erfolg. Für einen seiner Mandanten habe er gerade erst eine Nachzahlung in vierstelliger Höhe erreicht, berichtet der Remscheider Fachanwalt für Sozialrecht mit Kanzlei in Wuppertal. Deswegen, so rät er, sollten auch andere Leistungsempfänger das überprüfen. Und zwar noch bis zum Jahresende.
Hintergrund ist das sogenannte schlüssige Konzept. Mit dieser Erhebung werden für jede Kommune realistische Wohnkosten festgelegt. In Remscheid stammt das Konzept von der Hamburger Firma „Analyse & Konzepte“, die auch den Mietspiegel für die Stadt erstellt hat. Das Unternehmen habe das Konzept 2016 nach den damaligen Vorgaben erstellt und 2018 fortgeschrieben, sagt Domingo Estrany Dreßler, zuständiger Referent bei der Stadtverwaltung.
Doch im Oktober 2019 entschied das Sozialgericht Düsseldorf, dass das schlüssige Konzept der Stadt Remscheid nicht ausreicht. Dabei kritisierte die Kammer unter anderem, dass in der Erhebung private Vermieter unterrepräsentiert waren. „Das haben wir vorher so nicht gesehen“, sagt Dreßler: „Aber nachdem der Richter das erklärt hat, haben wir gemerkt: Da ist was dran.“
So hatte das Urteil zwei Folgen: Zum einen ließ die Stadt das Konzept anpassen. Zum anderen wurden für die Zeit, bis das neue schlüssige Konzept am 1. März 2020 in Kraft trat, stattdessen die Werte der Wohngeldtabelle plus eines zehnprozentigen Zuschlags herangezogen. Und die liegen deutlich höher. Für einen alleinstehenden Leistungsempfänger bei 429 Euro.
Für Lars Johanns Mandanten bedeutete das, dass er die Differenz, die zuvor von seinem Hartz-IV-Satz abgezogen wurde, nachträglich erstattet bekam. Ähnlich könnte es auch anderen Leistungsempfängern gehen, sagt der Anwalt. Wenn sie sich noch in diesem Jahr an das Jobcenter wenden, könnte es Geld für das Jahr 2019 und die ersten beiden Monate des Jahres 2020 zurückgeben. Also falls in dieser Zeit die tatsächliche Miete über den damals gültigen Sätzen des schlüssigen Konzepts lagen.
Und falls das Jobcenter dem Urteil des Gerichts auch in diesen Fällen folgt. „Wenn nicht, wäre das sehr ungewöhnlich“, sagt Anwalt Lars Johann. Schließlich würde das vermutlich weitere Klagen nach sich ziehen. Das sieht Domingo Estrany Dreßler von der Stadt allerdings anders, schließlich handele sich um eine Einzelfallentscheidung: „Es kommt durchaus vor, dass unterschiedliche Kammern am Sozialgericht bei ähnlichen Sachverhalten zu unterschiedlichen Urteilen kommen.“
Gründe, warum Empfänger von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe in vermeintlich zu teuren Wohnungen leben, gebe es viele, sagt Lars Johann. Zum Beispiel, weil Kinder aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen. Oder auch weil Menschen ihre Wohnung, in der sie schon seit vielen Jahren wohnen, nicht aufgeben wollen.
„Das größte Problem ist aber, dass in die meisten Wohnungen, die man zu den Preisen aus dem schlüssigen Konzept bekommen würde, niemand einziehen möchte.“Die Anpassung zum 1. März fiel übrigens überschaubar aus. Weil private Mieter zwar meist höhere Mieten verlangen, dort aber die Nebenkosten in der Regel günstiger sind. So stieg der Satz für Singles zum Beispiel um acht Euro pro Monat. Doch auch dieser Wert werde vermutlich bald gerichtlich überprüft, sagt Anwalt Lars Johann: „Ich weiß, dass da schon Widerspruchsverfahren laufen.“
Hätten die Erfolg, käme auch hier die Wohngeldtabelle zum Einsatz und Empfänger, die eine höhere Miete zahlen, hätten einen Anspruch auf Erstattung. Zumindest für den Zeitraum bis zum Inkrafttreten des nächsten schlüssigen Konzepts. Das ist für den Jahreswechsel angekündigt.
Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II gehören beide zur Grundsicherung, haben jedoch unterschiedliche Rechtsgrundlagen. Während das Alg II der Grundsicherung erwerbsfähiger Menschen dient, steht die Sozialhilfe Erwerbsunfähigen zu.