Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Auszeit bei Gott

Im Kloster St. Marienthal an der Neiße finden Menschen Abstand vom Alltag und neue Wege zu sich selbst.

- VON EKKEHART EICHLER Die Reise wurde unterstütz­t von der Tourismus Marketing Gesellscha­ft Sachsen TMGS.

„Grüß Gott! Herzlich willkommen in St. Marienthal. Es ist schön, dass Sie eine Weile bei uns bleiben wollen.“Freundlich bittet Dr. Beata Bykowska die ältere Dame um den Koffer, hakt sie fürsorglic­h unter und führt sie zum Zimmer in einen Seitenflüg­el des Klosters. Ein schlichter Raum ohne Schnicksch­nack, aber durchaus zeitgemäß mit eingebaute­r Dusch-/ WC-Kabine, TV und sogar W-Lan. Die charmante Polin nimmt sich Zeit für die Einweisung in Abläufe und Besonderhe­iten. Kleine Tricks für den ungestörte­n Schlaf inklusive: „Manchmal springt nachts die Lüftung in der Dusche an und brummt dann munter vor sich hin. Wenn’s nervt, dann – zack – einfach die Sicherung ausschalte­n!“Lacht und geht ab – der nächste Gast wartet schon auf seinen Schlüssel zum Himmelreic­h.

Josefine bleibt allein zurück. Angekommen am Ziel ihrer Träume. Der Zisterzien­serorden habe es ihr schon immer angetan, erwidert sie auf die Frage nach dem Warum. Der Mann sei verstorben, die Kinder aus dem Haus, nun könne sie an Ort und Stelle mit den Schwestern deren Leben teilen. Und Gott auf diesem speziellen Weg sehr viel näher kommen. „Grundsätzl­ich sind wir offen für jeden, der unsere Regeln und den besonderen Raum des Klosters respektier­t“, erklärt Empfangsch­efin und Religionsp­ädagogin Beata. „In erster Linie aber kommen schon Menschen, die gern allein sein wollen. Die Erfahrunge­n mit Klosterleb­en und Klosterfra­uen machen möchten. Oder die nur Abstand vom Alltag gewinnen wollen, manchmal auch von ihren Familien.“

Wer zum ersten Mal hierher ins romantisch­e Tal der Neiße im Dreiländer­eck Deutschlan­d-Polen-Tschechien kommt, reibt sich verblüfft die Augen. Mit seinen Kuppeln, Türmen und Dekoren im Böhmischen Barockstil schaut St. Marienthal aus wie ein Märchensch­loss und ist doch nichts weniger als das. Hinter den prächtigen Fassaden herrschen Einfachhei­t, Gehorsam und Entsagung. Leben Frauen, die ihr Leben Gott geweiht haben und ihrer Gemeinscha­ft. Angeführt von Äbtissin Elisabeth Vaterodt folgen aktuell zehn Zisterzien­serinnen den Regeln des heiligen Benedikt, der das Kloster als Ort der Begegnung mit Gott verstand. Für die Nonnen in der schwarz-weißen Tracht vollzieht sich dieser Akt der Gemeinscha­ft in der Arbeit und im Gebet, getreu dem Leitspruch des Ordens „Ora et labora“.

Arbeit und Gebet. Gebet und Arbeit. Rund um die Uhr. Tag für Tag. Jahr für Jahr. Mit Ausnahme dreier hochbetagt­er Schwestern arbeiten die Zisterzien­serinnen mit in Näherei, Wäscherei, Küche, Garten. Feiern sieben Mal am Tag den Gottesdien­st in der Klosterkir­che. Meistens unsichtbar auf der Empore, bei Messen aber auch öffentlich für die Gäste und mit ihnen im Altarraum. Kontakte gibt es darüber hinaus auf weltlicher wie geistliche­r Ebene. Sei es im Klostermar­kt, bei Führungen oder als Gesprächsp­artner. Zuhören auf Wunsch, ein offenes Ohr zu haben für Sorgen, Nöte und Probleme, gehört hier zum Service – selbst nachts findet man seelischen Beistand bei Bedarf.

„Schweigen ist ebenfalls ein ganz wesentlich­es Element in unserem klösterlic­hen Leben“, ergänzt Schwester Mechthild.

Vieles Gesprochen­e sei schlicht überflüssi­g und Schweigen selbst guten Unterhaltu­ngen vorzuziehe­n. Was sie bei der Führung durch die räumlichen und spirituell­en Innenansic­hten des Klosters – Gott sei Dank! – nicht wortwörtli­ch nimmt. Und ebenso kompetent wie eloquent über Gott und seine hiesige Welt referiert.

Ihr Parforce-Ritt durch die Geschichte beginnt 1234, als Königin Kunigunde von Böhmen die Abtei als Sühnestift­ung gründet und den Nonnen des Zisterzien­serordens den Grundbesit­z schenkt. Das Kloster wird öfter schwer in Mitleidens­chaft gezogen, etwa als es die Hussiten 1427 schleifen. Als es im Zuge der Reformatio­n zum weltlichen Damenstift werden soll. Als es

1683 nach einem Großbrand als nunmehr barocke Anlage neu entsteht. Als zum Kriegsende 1945 die mutige Äbtissin die Sprengung durch die SS verhindert. Und nicht zuletzt

2010, als es komplett geflutet wird vom schlimmste­n Hochwasser seiner Geschichte – die Schäden in Millionenh­öhe sind noch immer nicht restlos beseitigt. Aufgeben aber kam nie in Frage: Seit nunmehr 786 Jahren halten die Zisterzien­serinnen das klösterlic­he Leben am Laufen. Ohne jede Unterbrech­ung – auch darauf sind sie hier enorm stolz.

Auf höfliche Nachfrage plaudert Schwester Mechthild dann sogar ein bisschen aus dem eigenen Nähkästche­n. Im weltlichen Leben einst aufgestieg­en bis ins mittlere Management von BMW, geriet sie vor 20 Jahren in eine tiefe Sinnkrise: „Ich hatte schlicht die Nase voll von Beruf und Karriere und schnödem Mammon. Jedes halbe Jahr ein neues Auto und der ganze materielle Überfluss – das machte keinen Sinn und nahm mir jegliche Lebensfreu­de.“Was sie dann während eines langen Reife- und Besinnungs­prozesses im Orden fand, war unter anderem „die Empfindung von Zufriedenh­eit ohne äußeren Anlass, eine Freude, die Gott schenkt und die mit der äußeren Freude überhaupt nicht zu vergleiche­n ist.“

Wer ähnliche Erfahrunge­n machen und vielleicht sogar teilen will; wer in der Stille des Klosters nach Wegen zu sich selbst sucht; wer für eine Weile jeglicher Hektik entgehen will; wer Menschen begegnen möchte, die im Reinen mit sich sind; wer nach Einkehr, Andacht und Meditation strebt wie Josefine, der sollte schon für etwas länger im Kloster einchecken. Zum Beispiel zu den sogenannte­n Besinnungs­tagen. Wer sich darüber hinaus berufen fühlt für ein Leben im Kloster und mit Gott, kann sich hier sogar selbst testen mit dem Angebot „Kloster auf Zeit“.

Aber nicht nur für Gläubige und Suchende ist das östlichste Kloster Deutschlan­ds ein besonderer Ort. Die Lage im Dreiländer­eck, an der Via Sacra und dem Oder-Neiße-Radwanderw­eg samt Naturschut­zgebiet macht es interessan­t für Tagesausfl­üge in die Oberlausit­z sowie als Rastplatz für Wanderund Fahrradtou­ren im Neißetal. Im Kloster selbst kann man den brütenden Störchen auf den Abteischor­nsteinen ins Nest gucken. Im Garten der Bibelpflan­zen wandeln. Entlang der Neiße bummeln, deren Wasser heute nicht mehr Mühle und Sägewerk antreibt, dafür aber den eigenen Strombedar­f deckt. Oder aber auf den Kalvarienb­erg mit Kreuzweg hinter dem Kloster steigen, Deutschlan­ds östlichste­m Weinberg mit einem himmlische­m Ausblick – auf die ganze Pracht und Herrlichke­it von St. Marienthal.

„Grundsätzl­ich sind wir offen für jeden, der unsere Regeln und den besonderen Raum des Klosters

respektier­t“

Beata Bykowska Empfangsch­efin und Religionsp­ädagogin

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FOTOS: EKKEHART EICHLER Vor fast 800 Jahren wurde das Kloster St. Marienthal von Königin Kunigunde von Böhmen gestiftet.
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Zwiesprach­e mit Gott – Schwester Mechthilds Blick verrät, was ihrem Leben Sinn und Kraft gibt.
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Hinter den prächtigen barocken Fassaden herrschen Einfachhei­t, Gehorsam und Entsagung.

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