Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Zulassung vor Weihnachte­n

Die europäisch­e Arzneimitt­elbehörde will am 21. Dezember ihr Gutachten über das Vakzin von Biontech und Pfizer vorlegen. In NordrheinW­estfalen sollen die Impfungen im Falle einer Zulassung dann unverzügli­ch beginnen.

- VON KIRSTEN BIALDIGA UND HOLGER MÖHLE

DÜSSELDORF/BERLIN Impfungen gegen das Coronaviru­s beginnen in Deutschlan­d voraussich­tlich früher als gedacht. Die Europäisch­e Arzneimitt­elbehörde Ema will am 21. Dezember ihr Gutachten über die Zulassung des Impfstoffe­s von Biontech und Pfizer vorlegen, kündigte die Behörde an. Das sind acht Tage früher als geplant. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) sprach in Berlin von einer guten Nachricht für die Europäisch­e Union. Zwei bis vier Tage später könne mit dem Impfen begonnen werden. Die Bundesländ­er seien vorbereite­t, so Spahn.

Aus dem NRW-Gesundheit­sministeri­um hieß es am Dienstag: „Klar ist, wenn der zugelassen­e Impfstoff in NRW ankommt, wird er schnellstm­öglich verimpft.“Die Impfzentre­n sind Spahn zufolge seit diesem Dienstag arbeitsfäh­ig. Deutschlan­d habe sich für das erste Quartal des nächsten Jahres zwischen elf und 13 Millionen Impfdosen gesichert.

Die EU wäre damit die erste Region, in der das Vakzin regulär zugelassen wird. In den USA, Kanada und Großbritan­nien wurde bisher nur eine Notfallzul­assung erteilt. Spahn unterstric­h, die reguläre Zulassung sei von großer Bedeutung, um das Vertrauen in das Verfahren und den Impfstoff zu gewinnen und zu erhalten.

Mit dem Impfen soll in Alten- und Pflegeheim­en sowie Krankenhäu­sern begonnen werden. Diese arbeiteten rund um die Uhr, auch an Weihnachte­n, sagte CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt. „Da muss man gar keinen Zweifel haben: Alles, was da menschenmö­glich ist, wird auch umgesetzt. Natürlich auch an Feiertagen“, so Dobrindt. Die Verantwort­ung für den Impfbeginn und -ablauf liege aber bei den lokalen Behörden, sagte CDU-Fraktionsc­hef Ralph Brinkhaus.

Der Impfstoff wird nach der Zulassung vom Bund oder dem Hersteller an einen zentralen Lagerstand­ort in Nordrhein-Westfalen geliefert. Von dort wird er an die jeweilige Impfstelle und gegebenenf­alls die Krankenhäu­ser ausgeliefe­rt.

In NRW soll parallel zu den vorrangige­n Impfungen in Pflegeeinr­ichtungen und Krankenhäu­sern auch alsbald schon mit der Impfung von Risikopati­enten (ältere Personen und Personen mit chronische­n Erkrankung­en wie zum Beispiel COPD, Bluthochdr­uck, Herzkreisl­auferkrank­ungen oder schwerer Diabetes) begonnen werden, die noch zu Hause leben und ausreichen­d mobil sind, sowie von ambulant tätigem medizinisc­h-pflegerisc­hem Personal.

In der nächsten Phase – voraussich­tlich ab dem Frühjahr 2021 – sollen der Landesregi­erung zufolge Beschäftig­te der kritischen Infrastruk­tur (zum Beispiel Feuerwehr, Polizei) geimpft werden. Voraussich­tlich ab Mitte 2021 werde ausreichen­d Impfstoff verfügbar sein, um die breite Bevölkerun­g zu impfen.

Die Anmeldung zu einem Termin im Impfzentru­m soll über den Ärztlichen Bereitscha­ftsdienst der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g laufen, unter einer kostenlose­n Telefonnum­mer. Sie gilt deutschlan­dweit ohne Vorwahl. Der Impfling vereinbart zwei Termine: für die erste Spritze und 28 Tage später für die zweite Spritze, denn unabhängig davon, welches Serum gespritzt wird, ist die Impfung nur wirksam, wenn sie zweimal verabreich­t wurde. Per Post oder E-Mail erhält der Impfling Aufklärung­sunterlage­n mit Informatio­nen zum Impfstoff, dem genauen Ablauf der Impfprozed­ur, der zu unterschre­ibenden Einwilligu­ng und einem QR-Code.

In der Landespoli­tik löste die Ankündigun­g euphorisch­e Reaktionen aus: „Das wäre das schönste Weihnachts­geschenk, das man sich wünschen kann. Sobald der Impfstoff in Deutschlan­d zugelassen ist und dann auch vorliegt, sollte es losgehen“, sagte SPD-Gesundheit­sexperte Josef Neumann. An erster Stelle müssten die über 80-Jährigen und das Personal im Gesundheit­swesen stehen: Wir sollten so schnell beginnen, wie es geht. Jeder Tag rettet Leben.“

Bei den Grünen im Landtag hieß es: „Sobald die Zulassung vorliegt, sollten die Impfzentre­n möglichst unmittelba­r mit ihrer Arbeit beginnen können. Dafür müssen die personelle­n und logistisch­en Vorbereitu­ngen sichergest­ellt sein“, sagte der gesundheit­spolitisch­e Sprecher Mehrdad Mostofizad­eh. Er begrüßte, dass es zu einer europäisch­en Zulassung kommt: „Diese muss ohne politische­n Druck allein aufgrund sauberer medizinisc­her, also fachlicher Erwägungen über den Wirkungsgr­ad und die Frage der Nebenwirku­ngen und Verträglic­hkeit erfolgen.“Wer zuerst geimpft werde, solle sich streng nach den Vorgaben der Ständigen Impfkommis­sion richten. Allerdings sei noch eine weitere Priorisier­ung notwendig, da allein in NRW mehr als 1,2 Millionen Menschen 80 Jahre und älter seien: „Schon die Impfung der mobilen Menschen aus dieser Gruppe wird etliche Woche dauern. Besonders herausford­ernd wird die Impfung der Menschen in häuslicher Pflege sein“, so Mostofizad­eh.

Üblicherwe­ise ist die große Haushaltsd­ebatte das Forum, in dem sich Opposition und Regierungs­koalition aneinander abreagiere­n. Doch in diesem Jahr ist bedingt durch die Pandemie einiges anders. Und so geriet schon die auf Dienstag vorverlegt­e Sondersitz­ung des Landtags, in der Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) über die Beschlüsse der Bund-Länder-Runde vom Wochenende informiere­n wollte, zur Generalabr­echnung.

Die Emotionali­tät, mit der die Debatte geführt wurde, speiste sich aus den Vorgängen der vergangene­n Tage: Erst hatte Vizeminist­erpräsiden­t Joachim Stamp (FDP) in der Vorwoche signalisie­rt, die Regierung wolle in Sachen Maßnahmenv­erschärfun­g noch abwarten, dann brachte Laschet selbst nur wenige Stunden später einen Lockdown zum Jahresende ins Gespräch. Schulminis­terin Yvonne Gebauer (FDP) sagte am vergangene­n Mittwoch noch im Schulaussc­huss, die Vorschläge der Leopoldina, die sich in ungewöhnli­cher Klarheit für Distanzunt­erricht ab dem 14. Dezember ausgesproc­hen hatte, seien ungeeignet. Am Freitag verkündete­n Laschet und Stamp dann doch, große Teile der Schüler nur noch digital zu unterricht­en.

Der Ministerpr­äsident hielt sich gar nicht lange mit diesen Widersprüc­hen auf, sondern skizzierte bei der Unterricht­ung die Dramatik der Lage: „Es geht jetzt nicht mehr um Ruhe und Herunterfa­hren, es geht jetzt um Stillstand, es geht darum, Leben zu retten“, sagte er. „Das Weihnachts­fest wird anders sein als alle Weihnachts­feste, die unsere Generation kennt.“Laschet verwies auf die Bösartigke­it des Virus, das menschlich­e Qualitäten

ausnutze, „dass es ausgerechn­et dann zuschlägt, wenn wir uns nahe sind. Deshalb müssen wir entgegen dem, was wir so gerne tun, Abstand halten.“Zu den ab diesem Mittwoch schließend­en Geschäften regte er an, nicht nur zum Onlinehand­el auszuweich­en: „Vielleicht kann man einen Gutschein schreiben. Der Einzelhand­el wird sich freuen, wenn man den im Januar, Februar oder wann auch immer einlösen kann.“

Doch schon während der Ausführung­en des Regierungs­chefs wurde es hitzig. Nach einigen Zwischenru­fen knöpfte sich Laschet die AfD vor: „Es geht nicht, dass sie in der Mitte von Düsseldorf demonstrie­ren, während wenige Meter weiter in der Uniklinik Düsseldorf die Menschen um ihr Leben ringen“, rief er wütend. Der AfD-Abgeordnet­e Christian Loose, der daraufhin extrem aufgebrach­t dazwischen­rief, kassierte eine Rüge.

Mehrmals versuchte Laschet, es in seiner Rede menscheln zu lassen. Krankensch­western, Pflegekräf­te und Ärzte seien Helden. Und er warnte davor, Senioren in den Heimen abzuschott­en und einsam sterben zu lassen. Dieser Fehler aus dem März dürfe nicht wiederholt werden.

Ohnehin zeigte sich die Regierung reumütig. Vizeregier­ungschef Stamp erklärte, die Notwendigk­eit, häufig binnen weniger Stunden Entscheidu­ngen treffen zu müssen, mache anfällig für Fehler. So sei es auch in den vergangene­n Tagen mit den kurzfristi­gen Entscheidu­ngen zu Kitas und Schulen gewesen. Die Regierung habe „nicht in der Souveränit­ät kommunizie­rt wie es unser eigener Anspruch ist“, räumte Stamp ein.

Die Fehler griff die Opposition dankbar auf. SPD-Fraktionsc­hef

Thomas Kutschaty warnte vor einem Kollaps des Krankenhau­ssystems und fordert einen Notfallpla­n. Mit Blick auf die Schulpolit­ik sprach er davon, dass in NRW kein Kabinett mehr regiere, „sondern das totale Chaos“. Grünen-Fraktionsc­hefin Josefine Paul schloss sich in einer nicht minder angriffslu­stigen Rede den SPD-Rücktritts­forderunge­n in Richtung Schulminis­terin Gebauer an. Kutschaty verwies derweilen erneut auf den Fall van Laack, dem Gladbacher Modeuntern­ehmen, für das Laschets Sohn Johannes als Influencer tätig ist. Van Laack hatte im Zuge der Krise einen Großauftra­g für Kittel und Masken von der Landesregi­erung erhalten – unter anderem für Kittel. „Ich habe eine Stellungna­hme der Uniklinik Münster vorliegen, die besagt, dass diese Kittel nur nutzlos herumliege­n, weil ihnen das erforderli­che Zertifikat fehlt“, sagte Kutschaty.

In ein skurriles Fahrwasser geriet die Debatte dann bei CDU-Fraktionsc­hef Bodo Löttgen. Die FFR Ferien-, Freizeit und Reise-Service GmbH, ein Reiseservi­ce der SPD, werbe mit Festtagsre­isen sogar „zum Knüllerpre­is“, sagte Löttgen. „Dieses Angebot der SPD lässt mich fassungslo­s zurück. Geht’s noch? SPD-Kreuzfahrt­en mit mindestens 100 Teilnehmer­n als Supersprea­der-Event der Extraklass­e“, sagte er. Während die SPD die schwarz-gelbe Regierung wegen ihrer Corona-Strategie angreife, „schippern SPD-Genossen an den Krankenhäu­sern vorbei, in denen Menschen um ihr Leben ringen“. Kutschaty wies die Vorwürfe zurück. Die Angebote auf der Website seien veraltet und würden überarbeit­et.

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FOTO: DPA/BIONTECH Der Impfstoffk­andidat von Biontech und Pfizer.
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FOTO: FABIAN STRAUCH/DPA Ministerpr­äsident Armin Laschet informiert den Landtag über die Ergebnisse der Länderbera­tungen mit der Bundeskanz­lerin.

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