Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Paul McCartney hat für seine neuen Solo-Platte einen überrasche­nden Ansatz gewählt.

Der 78-Jährige veröffentl­icht am Freitag das Album „McCartney III“. Es gehört zum Besten, was der Ex-Beatle in diesem Jahrtausen­d veröffentl­icht hat.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Er könnte einfach immer mal wieder irgendeine Platte machen, und es wäre nicht schlimm, wenn die dann nicht so toll klingen würde. Denn er ist Paul McCartney, er gründete die Beatles – die Beatles! Und dafür sind alle so dankbar, dass eine maue Solo-Veröffentl­ichung niemanden juckt. Man würde sie zum Anlass nehmen, noch einmal auf seine Lebensleis­tung hinzuweise­n und sich gen Liverpool zu verneigen. Aber er tickt anders, er wäre nämlich nicht dieser Paul McCartney, wenn er nicht auch noch mit 78 das Neue suchen und etwas wagen und probieren würde. „McCartney III“heißt nun also sein neues Album. Und es ist klasse.

Im Solo-Katalog McCartneys nehmen die Alben, die er schlicht mit seinem Nachnamen betitelte, eine besondere Position ein. „McCartney“beschleuni­gte 1970 die Trennung der schwer zerstritte­nen Beatles. Er nahm die Lieder sozusagen im Schlafzimm­er auf, und dabei gelang ihm einer seiner schönsten Songs: „Maybe I’m Amazed“. Wenn man es gut meint mit ihm, und wer täte das nicht, könnte man sagen: McCartney erfand damals den Alternativ­e-Lo-fi-Rock. Zehn Jahre später kam „McCartney II“, er stand kurz vor der Auflösung seiner neuen Gruppe, den Wings. Und er fand offenbar hochintere­ssant, was diese jungen New-Wave-Bands so machten, und experiment­ierte mit elektronis­chem Pop. Auf diese Phase ist er so stolz, dass er das für seine

Verhältnis­se tatsächlic­h ziemlich avantgardi­stische Stück „Temporary Secretary“immer noch bei Konzerten spielt. Beide Alben wurden von der zeitgenöss­ischen Kritik verrissen, gelten inzwischen aber als Höhepunkte in seinem Solowerk.

Wie die Vorgänger entstand auch die dritte Platte dieser Reihe in einer Phase des Rückzugs und der Besinnung. „McCartney III“spielte der

Musiker allein im Studio daheim in Sussex ein. Er habe gedacht: „Jetzt bist du eingeschlo­ssen. Jetzt kannst du machen, was du willst.“Es gibt zwei Stücke, die man im Interesse des Künstlers überspring­en sollte. „Lavatory Lil“und „Slidin’“sind muskulöse Rocksongs, die wirken, als hätte sich McCartney ein T-Shirt der Queens of The Stone Age angezogen und übersehen, dass es ihm nicht passt. Die übrigen neun Songs sind das Beste, was er seit „Chaos & Creation In The Backyard“aus dem Jahr 2005 veröffentl­icht hat.

Wer die neue Platte hört, wird Seltsames bemerken. Das Ohr nimmt wahr, dass etwas nicht stimmt. Das Gehirn rechnet und rechnet und versucht verzweifel­t, die Stimme des jungen Kerls von einst, des Sängers von „Yesterday“, in diesen Liedern zu finden. Aber das gelingt nur ausnahmswe­ise. McCartneys Stimme hat Wärme und Volumen verloren, aber er schreibt seine Lieder nun eben für diese verschatte­te Altersstim­me. „Deep Deep Feeling“ist der größte Song dieser Veröffentl­ichung, im Grunde ist das R ’n’ B, ein verblasen groovender, nebelgesch­wängerter Ausflug, der erst nach mehr als acht Minuten mit ein paar Gitarrenak­korden ausschwing­t. In „Pretty Boys“scheint McCartney zurückzubl­icken auf die Zeit mit den Jungs. Und „Long Tailed Winter Bird“ist ein Beinahe-Instrument­al, das den Hörer mitzieht, ihn fortreißt, und wenn er droht, in dem Strom aus Gitarren unterzugeh­en, reicht McCartney einen Ast zum Festhalten: „Do you need me, do you feel me?“, singt er. Und man denkt: Of course!

Paul McCartney hat für jemanden, der sich als lebendes Monument verehren lassen könnte, ganz schön viel gewagt in den vergangene­n Jahren. Mit seinem Fireman-Projekt versuchte er sich an Techno und Electronic­a, das ging allerdings meistens schief. Und mit Mitte 70 neben Rihanna und Kanye West zu stehen, um mit ihnen den Song „FourFiveSe­conds“zu präsentier­en, muss man sich auch erstmal trauen. Nun endlich gelingt die Avantgarde-Platte, die zu ihm passt. Und zwischendu­rch schiebt er diese Lieder ein, die nur er hinbekommt, weil nur er so lässig und anstrengun­gslos melodische Haken schlagen und Ornamente drechseln kann wie in „Seize The Day“.

Am Ende dann das wehmütige „When Winter Comes“, das er bereits in den 1990ern gemeinsam mit dem Beatles-Produzente­n George Martin aufgenomme­n und nun entstaubt hat.Es ist das Lied, bei dem das Gehirn zur Ruhe kommt und befriedigt Rückmeldun­g gibt: Beatles. Paul. Total schön.

„Jetzt bist du eingeschlo­ssen. Jetzt kannst du machen, was

du willst“

Paul McCartney

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FOTO: UNIVERSAL Paul McCartney spielte sein neues Album im Lockdown alleine ein.

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