Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Videoanruf aus Schloss Bellevue
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat in einer Videokonferenz mit einer Gesamtschullehrerin, einem Paketzusteller und einer Gemeindeassistentin über ihre Situation in der Corona-Pandemie gesprochen.
Der Armin soll noch ein Glas Wasser bringen, ist aus dem Wohnzimmer von Frau Lauven in Bonn zu hören, die eigentlich am Donnerstag einen Termin in der Villa Hammerschmidt beim Bundespräsidenten gehabt hätte. Frank-Walter Steinmeier wäre auch selbst lieber in Bonn, verrät ein Mitarbeiter, der die Videoschalte einrichtet – schon wegen des 250. Geburtstags Ludwig van Beethovens. Aber die Corona-Lage ist zu ernst für Präsenztermine. So gibt es immerhin einen Kameraschwenk in den Garten von Schloss Bellevue. Dann zupft noch jemand die Deutschlandflagge zurecht und zündet eine Adventskerze an, bevor das Staatsoberhaupt mit drei Bürgern aus dem Rheinland über die Corona-Lage spricht.
„Nicht jedem in Deutschland war klar, an wie vielen es hing, dass wir in der Corona-Krise bislang einigermaßen durchgekommen sind“, sagt Steinmeier. Das Leben mit dem Virus sei nicht immer einfach, findet er und dankt besonders denjenigen, die nicht im Homeoffice arbeiten können und sich täglich einer persönlichen Ansteckungsgefahr aussetzen, damit Deutschland weiter funktioniert. Das sind nicht nur die Pfleger auf Intensivstationen. Das ist auch Bärbel Lauven aus Bonn, die an der Marie-Kahle-Gesamtschule Deutsch und Französisch unterrichtet. Oder Peter Bohmann, der seit 44 Jahren in Köln für die Deutsche Post zustellt. Oder Sarah Didden aus Pulheim, die als Gemeindeassistentin digitale Gottesdienste organisiert und einfach mal Senioren mit einem Anruf erfreut.
22.000 Schritte am Tag läuft Bohmann jeden Tag zu seinen Kunden, hat er mal ausgerechnet. In den vergangenen Wochen habe die Flut an Paketen und Päckchen im Vergleich zum Vorjahr noch deutlich zugenommen. Bohmann ist mit 64 Jahren so alt wie Steinmeier und abends nach der Schicht so müde, dass er nach einer Stunde vor dem Fernseher ins Bett geht. Trotzdem strahlt er positive Energie aus. „Die Leute wissen ganz genau: Ohne uns läuft nichts“, sagt er. Das gelte für alle Lieferanten, die unterwegs seien. Diese Dankbarkeit begegne ihm häufig. Und auch der Arbeitgeber habe mit kostenlosen Masken und Desinfektionsmittel gut vorgesorgt. „Wir haben das Gefühl, man kümmert sich um uns. Da macht das Arbeiten sogar Spaß“, sagt Bohmann – und bis jetzt habe man noch jedes Weihnachten gemeistert.
Bärbel Lauven hat sich in den vergangenen beiden Wochen doch häufig Sorgen auch um die eigene Gesundheit gemacht. Ihre Mutter und die beiden Enkel im Säuglingsalter besucht die 62-Jährige vorsichtshalber nicht mehr. „Bei 32 Personen in einem kleinem Raum konnten wir die Regeln nicht so einhalten, wie das nötig ist“, sagt sie. Öffentliche Vorschläge wie Unterricht in leerstehenden Kneipen abzuhalten oder sich in ausgekühlten Klassenräumen einfach wärmer anzuziehen, empfindet sie als Hohn. Dabei habe es nicht an den Schülern gelegen, die sehr ernsthaft und umsichtig wären. „Für die muss ich mal eine Lanze brechen“, sagt die Pädagogin. Das Bild von partyverrückten Egoisten, das im Herbst häufig gezeichnet worden sei, stimme einfach nicht. Der Graben zwischen den Generationen sei nicht mehr so tief, Erwachsene sollten nach der Krise Vorbilder bleiben und nicht zurück in Ellenbogenmentalität und kopflosen Konsum verfallen. Trotzdem sei Distanzunterricht nicht für alle geeignet. Die Lehrer – so findet sie – müssten entscheiden dürfen, welche Schüler zu Hause klar kommen und welche besser weiter in die Schule kommen sollten. Lauven sagt: „Das wissen wir doch am besten.“
Sarah Didden ist mit 27 Jahren die Jüngste in der Runde, digitalaffin und gewohnt, selbst Menschen anzusprechen. Während Steinmeier sonst eher ein moderiertes Gespräch führt, will sie von ihm wissen, wie denn den „Querdenkern“und Corona-Leugnern beizukommen sei. Steinmeier windet sich, spielt mit seiner Maske. „Ich habe das Gespräch gesucht, mit denen, die sogar noch stärkere Beschränkungen fordern, und denjenigen, die die Notwendigkeit leugnen“, sagt er etwas resigniert. Aber der Graben sei „sehr, sehr breit geworden“. Erreichen könne man immerhin diejenigen, die aus Existenzangst auf die Straße gingen. „Bei den vielen freischaffenden Künstlern oder freien Theatern ist es ganz bitter“, sagt Steinmeier. Und alle Bühnenkünstler litten darunter, vor leeren Sälen auftreten zu müssen. So wie das Beethovenorchester am Abend in Bonn zum Geburtstag des berühmten Komponisten. Mit Blick auf den Impfstoff sagt er: „Ich hoffe, dass wir den Menschen bewusst machen können, dass dieses Licht am Ende des Tunnels sichtbarer wird, je mehr sich an die Auflagen halten.“