Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Abschalt-Software von VW ist illegal
Im Labor hui, auf der Straße pfui: Im Streit um elektronisch geschönte Abgaswerte gibt es jetzt ein Grundsatzurteil.
(dpa/mah/rtr) Fünf Jahre nach dem Bekanntwerden des VW-Dieselskandals hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine umstrittene Software zur Schönung von Abgaswerten für illegal erklärt. Das Urteil fiel am Donnerstag in Luxemburg. Die Reaktion in Deutschland folgte prompt: Die Grünen im Bundestag forderten Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) auf, Autobesitzern nun die Möglichkeit zu geben, illegale Abschalteinrichtungen entfernen zu lassen.
Die Luxemburger Richter entschieden, das generelle Verbot einer Software zur Abgasmanipulation würde unzulässig ausgehöhlt, wenn es der Industrie durch das Ausnutzen von Ausnahmeregelungen möglich wäre, die elektronische Abgasnachbehandlung im Alltagsbetrieb außer Kraft zu setzen. Sie urteilten, dass solche Technik nur eingesetzt werden dürfte, um das Auto vor einem plötzlichen Motorschaden zu bewahren, der eine konkrete Gefahr beim Fahren bedeute (Az.: C-693/18).
Die Automobilhersteller nutzen Lücken im EU-Recht aus, indem sie unter Berufung auf den Motorschutz die Abgasreinigung von Dieselmotoren bei niedrigeren Betriebstemperaturen drosseln oder ganz abschalten. „Der Gerichtshof hat die Ausnahmeregelung nicht für ungültig erklärt“, stellte ein Sprecher klar. Sie sei aber eng auszulegen und dürfe durch allzu großzügige Ausnahmen nicht ihres Sinnes entleert werden. Damit schloss sich der EuGH dem Gutachten der Generalanwältin an. Demnach könnte solche Abschalt-Software für die Abgasnachbehandlung ausnahmsweise nur genehmigt werden, wenn die Installation notwendig sei, um den Motor vor Beschädigung zu schützen. Es sei nun Sache nationaler Gerichte, im Einzelnen festzustellen, ob solche Vorrichtungen, die in der Branche weit verbreitet sind, noch unter die Ausnahmeregelung fielen.
Hintergrund des EuGH-Verfahrens ist ein Fall aus Frankreich, wo gegen einen nicht namentlich genannten Hersteller wegen arglistiger Täuschung ermittelt wird. Volkswagen hatte zuvor selbst bestätigt, dass es um seine Fahrzeuge geht. Der EuGH hatte nun im Wesentlichen zwei Fragen zu klären: Handelt es sich bei der eingesetzten Software um eine illegale „Abschalteinrichtung“, die auch den Dieselskandal ins Rollen gebracht hatte? Diese sind laut EU-Recht grundsätzlich verboten, es gibt aber die genannten Ausnahmen, „um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen“. Die zweite Frage war: Fällt diese Software unter die Ausnahme?
Der EuGH bejahte die erste Frage und legte die Ausnahmeregel eng aus. Nicht ausreichend sei die Begründung, dass Verschleiß oder Verschmutzung des Motors verhindert werde, auf die sich fast alle Automobilhersteller stützen, wenn sie solche Thermofenster nutzen.
Die genaue Definition der Ausnahmen zum „Motorschutz“dürfte für die Branche und die betroffenen Kunden sehr interessant sein. Der auf Klagen im Diesel-Skandal spezialisierte Potsdamer Anwalt Claus Goldenstein erklärte: „Der Automobilindustrie drohen Rekord-Rückrufund -Klagewellen“. Er rate betroffenen Pkw-Besitzern mit Blick auf die drohende Verjährung, „ihre Ansprüche schnell geltend zu machen“.
Volkswagen erklärte hingegen, der EuGH habe „keine generelle Bewertung zur Zulässigkeit einer temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung“vorgenommen. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) sprach in Berlin von einer Klarstellung, die zu begrüßen sei. Die gezielte Verbesserung des Emissionsverhaltens auf dem Prüfstand sei dagegen unzulässig. „Und das wird auch nicht mehr gemacht“, betonte der VDA.