Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Uns fehlen Mittel zur Virusforsc­hung“

Der Düsseldorf­er Virologie-Professor fordert eine bessere Überwachun­g von Virusvaria­nten in Deutschlan­d.

- WOLFRAM GOERTZ FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Ist die neue und offenbar aggressive­re Variante des Coronaviru­s aus Großbritan­nien bereits in Deutschlan­d angekommen?

Dazu mangelt es uns leider an Daten.

Der Charité-Virologe Christian Drosten ist sich aber sicher. Wie kommt er zu der Annahme?

Aufgrund der großen Fallzahl in Großbritan­nien ist es schwer vorstellba­r, dass die Variante noch nicht nach Deutschlan­d getragen wurde. Auch die Fälle in Dänemark und den Niederland­en lassen das vermuten. Der Anteil der Infektione­n, von denen Virusseque­nzen vorliegen, ist einfach zu gering für belastbare Aussagen.

Wie konnte es zu diesem unbemerkte­n Import kommen?

Wir haben es in Deutschlan­d bisher verpasst, eine systematis­che Überwachun­g für zirkuliere­nde Sars-CoV-2-Varianten aufzubauen. Es gibt Bemühungen aus einzelnen Laboren unter anderem bei uns in Düsseldorf, aber es fehlen eine klare Struktur und vor allem die finanziell­en Mittel für eine bundesweit­e Untersuchu­ng von Virusvaria­nten.

In Großbritan­nien wurde die Nachverfol­gung von Virusvaria­nten durch Virusseque­nzen früh etabliert.

Ja, und damit gibt es eine gute Übersicht über die Veränderun­gen im Virus über die Zeit. Die jetzt beschriebe­ne VUI-202012/01-Variante konnte so erst aufgespürt werden.

Was könnte eine „Echtzeit“-Überwachun­g auf der Basis moderner Sequenzier­ungstechni­k leisten?

Sie gewährt eine schnellere Erkennung und Isolierung von Infektions­clustern, was für die Kontaktver­folgung wichtig ist. Durch den Vergleich von Virusseque­nzen könnten wir Verbindung­en zwischen Infektione­n herstellen und das Infektions­geschehen in Schulen, Kitas und Restaurant­s besser einschätze­n. Und schließlic­h könnten wir Interventi­onen zur Unterbrech­ung viraler Infektions­ketten besser bewerten.

Warum mutieren Viren eigentlich?

Mutationen sind Fehler, die bei der Vermehrung des Virusgenom­s zufällig passieren. Anders als bei uns Menschen werden diese Fehler bei Viren üblicherwe­ise nicht korrigiert, sodass die Mutationsr­ate bei Viren recht hoch ist. In den meisten Fällen sind die Mutationen für das Virus eher nachteilig und verschwind­en wieder. Es kann aber auch mal einzelne oder Kombinatio­nen von Mutationen geben, die für die Virusverme­hrung von Vorteil sind. Virusvaria­nten mit diesen

Mutationen werden dann schneller verbreitet und verdrängen nach dem Prinzip von Darwin die Varianten, die weniger effizient übertragen werden.

Man spricht immer von Isolaten, also Mikroorgan­ismen, die etwa aus einem Corona-Test gewonnen wurden. Kann man sie gut genug unterschei­den?

Ja. Die seit Anfang der Pandemie entstanden­e Vielzahl von Mutationen ist unterschie­dlich genug, um virale Subtypen gut zu unterschei­den. Genetisch identische Isolate aus dem Raum Düsseldorf haben eine deutlich erhöhte Wahrschein­lichkeit, zu einer Infektions­kette zu gehören.

Welche Rolle spielt die Düsseldorf­er Uni-Virologie hier?

Neben dem Konsiliarl­abor für Coronavire­n in Berlin nimmt die Heinrich-Heine-Universitä­t eine deutschlan­dweit führende Rolle bei der Sars-CoV-2-Sequenzier­ung ein und ist verantwort­lich für etwa ein Drittel aller deutschen Sequenzen in öffentlich­en Datenbanke­n. Für systematis­che Auswertung­en ist das aber leider noch viel zu wenig. Wir haben uns auf das lokale Infektions­geschehen konzentrie­rt. Mit dem Düsseldorf­er Gesundheit­samt und dem Labor Zotz/Klimas führen wir eine Vorstudie durch, in der jede Woche 20 bis 30 Isolate aus Düsseldorf sequenzier­t werden. Ergebnisse gibt es online unter covgen.hhu.de.

Wenn hier mehr Mittel flössen, würde das also enorm helfen?

Davon bin ich überzeugt. Großbritan­nien zeigt, wie wichtig eine konsequent­e Beobachtun­g ist.

Für wie gefährlich halten Sie die englische Mutation?

Vermutlich verbreitet sie sich besser. Das bedeutet aber nicht, dass es schwerere Verläufe gibt.

Was bedeutet sie für eine Impfung?

Es gibt in dieser Variante auch Mutationen in dem Bereich, der für Antikörper von Bedeutung ist. Da die Immunantwo­rt aber aus vielen Komponente­n besteht, muss das kein Problem sein. Für die Impfung wäre ich erst einmal optimistis­ch.

 ?? FOTO: ANDREAS BRETZ ?? Virologe Jörg Timm glaubt, dass es in Großbritan­nien eine bessere Infrastruk­tur für Coronaviru­sVarianten gibt.
FOTO: ANDREAS BRETZ Virologe Jörg Timm glaubt, dass es in Großbritan­nien eine bessere Infrastruk­tur für Coronaviru­sVarianten gibt.

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