Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Schweden entfernt sich vom Sonderweg

Erstmals empfiehlt die Regierung Masken im Nahverkehr. Weihnachte­n gelten Kontaktbes­chränkunge­n.

- VON ANDRÉ ANWAR

Die Stimmung in Schwedens Hauptstadt ist deutlich ängstliche­r geworden vor dem Weihnachts­fest. Schuld ist die zweite Corona-Welle. Wegen der alarmieren­den Infektions­zahlen hat die schwedisch­e Regierung zu Weihnachte­n die härtesten Einschränk­ungen seit Beginn der Pandemie verhängt. Das Land entfernt sich damit immer weiter von seinem lockeren Sonderweg mit Verzicht auf Lockdown und Maskenpfli­cht.

Monatelang schien die Rechnung zumindest teilweise aufzugehen. In Schweden lebten die Menschen freier als im Rest der Welt. Die Todeszahle­n

waren zwar relativ hoch, aber die Krankenhäu­ser waren zu keinem Zeitpunkt überlastet. Zwischen Juli und Anfang November fielen die Zahlen der Neuinfizie­rten, der Intensivfä­lle und der Toten. Die Stockholme­r schienen Corona zeitweise völlig vergessen zu haben; Badestränd­e, Bars und Restaurant­s füllten sich wieder. In Metropolen seien 20 bis 40 Prozent der Bevölkerun­g immun, sagte der Architekt des Sonderwegs, Staatsepid­emiologe Anders Tegnell.

Doch nun steigen die Zahlen wieder rasant. Die Regierung versucht es deshalb mit einem halbherzig­en Lockdown. Binnen Kurzem wurde die Maximalgrö­ße von Gruppen von 50 auf acht und nun vier Personen ab Weihnachte­n reduziert. „Lasst Weihnachte­n nicht zur Ansteckung­squelle werden. Feiert nur mit den Allerengst­en. Haltet aus“, sagte Ministerpr­äsident Stefan Löfven in einer dramatisch­en Ansprache.

Ironischer­weise können sich dann aber noch immer Vierergrup­pen in den weiter geöffneten Bars, Restaurant­s, Fitnessstu­dios und Geschäften begegnen. Doch ab 20 Uhr darf die Gastronomi­e ab Weihnachte­n keinen Alkohol mehr ausschenke­n, was de facto zur Schließung der meisten Lokale führen dürfte. Museen, Bibliothek­en und Schwimmbäd­er bleiben sogar bis zum 24. Januar geschlosse­n.

Zudem sind Geschäfte angehalten, freiwillig die Anzahl der Kunden zu begrenzen. Das hatte bislang kaum Effekt. Die Regierung hat bereits gedroht, Geschäfte zu schließen, sollten sie sich nicht selbst Regeln geben. Allerdings gibt es rechtlich noch keine Möglichkei­t für Zwangsschl­ießungen. Ein Gesetz, das solche Maßnahmen vorsieht, soll bis März in Kraft treten.

Erstmals überhaupt wird nun in Schweden das Tragen von Masken zumindest im Nahverkehr empfohlen, aber nicht verpflicht­end gemacht. Das für den lockeren Kurs verantwort­liche staatliche Gesundheit­samt hält den Effekt von Masken weiterhin für fraglich. (mit dpa)

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