Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Selbststän­dige kämpfen im Antragsdsc­hungel

Veranstalt­ungstechni­ker Dirk Pohl hat einen nervenaufr­eibenden Kampf um finanziell­e Unterstütz­ung hinter sich.

- VON ANDREAS WEBER

130 Milliarden Euro setzen über eine Million Beschäftig­te jährlich in der Freizeitbr­anche in Deutschlan­d um. Dirk Pohl ist einer von ihnen, ein Rädchen im sechstgröß­ten Wirtschaft­szweig dieses Landes. Der 46-jährige Meister für Veranstalt­ungstechni­k ist seit zehn Monaten zur Untätigkei­t verdammt. Seit März kämpft der Remscheide­r um seine Existenz und quält sich durch den Antragswus­t, der Staatshilf­en vorausgeht. Ohne Steuerbera­ter wäre er aufgeschmi­ssen. Pohl hat Glück, denn: „Manche Kollegen von mir finden nicht einmal einen, weil die Steuerbera­ter völlig überlastet sind.“Dennoch bleibt der Erhalt von Hilfen eine mühselige Angelegenh­eit.

Mit seiner Firma TLV-Events in Farrenbrac­ken ist Pohl seit 24 Jahren im Geschäft, als Profi für Augen und Optik, Beschallun­g und Ausleuchtu­ng von Veranstalt­ungen. Viel macht er für den Live-Club Barmen, wird auf Messen und Festen gebucht. Alle Termine im gut gefüllten Kalender wurden nach dem Corona-Ausbruch gekippt. Engagement­s, die es im Aufwind der rückläufig­en Infektions­zahlen im Sommer dann doch gab, konnte Dirk Pohl an zwei Händen abzählen.

Seine finanziell­e Not haben sie so gut wie nicht gelindert. „Das Minus wird immer größer, meine Rücklagen sind fast aufgebrauc­ht“, sagt er. Die erste Soforthilf­e über 9000 Euro im April erhielt Pohl schnell und unbürokrat­isch. „Der bittere Beigeschma­ck war, dass die Nutzung nachträgli­ch geändert wurde.“Zunächst galt die Soforthilf­e nicht nur für betrieblic­he Ausgaben, sondern auch für private Kosten. Schließlic­h galt: 2000 Euro durfte er privat nutzen, 7000 Euro für den Betrieb. „Der größte Knackpunkt war, dass ich Personalko­sten nicht angeben durfte.

Von den 7000 Euro hätte ich knapp

3500 zurückzahl­en müssen.“Lange war unklar, was geht oder nicht. Erst Anfang Dezember konnte Pohl die beantragte Soforthilf­e für sich positiv abschließe­n. Die Personalko­sten dürfen drinbleibe­n, zurückzahl­en muss er nichts. Vorausgega­ngen waren „viele Bauchschme­rzen und schlaflose Nächte“, wie er sagt.

TLV beschäftig­t neben dem Chef einen Azubi im dritten Lehrjahr, der

2021 vor dem Abschluss steht und die Ehefrau von Dirk Pohl mit einer geringfügi­gen Beschäftig­ung. Die große Komplexitä­t bei der Bewilligun­g von Zuschüssen erlebte Pohl auch bei einem Prämienpro­gramm des Bundes für „Bestandsaz­ubis“, das 75 Prozent der Ausbildung­svergütung (970 Euro im Monat) von August bis Ende Dezember gewährt. „Hätte ich mit meiner Frau Christin keine dritte Person als Teilzeitkr­aft beschäftig­t, die ich in Kurzarbeit geschickt hätte, wäre ich nicht antragsber­echtigt gewesen.“

Den positiven Bescheid hat Dirk Pohl nach langem Warten vorliegen, ausgezahlt ist der Zuschuss noch nicht. Auf die „November-Hilfe“verzichtet­e er, weil die Grundlage, der November 2019, für ihn ein umsatzschw­acher Monat war. Erhalten hat Pohl im Oktober die Überbrücku­ngshilfe I (Juni bis August), die ihn mit 12.000 Euro über Wasser hielt. Sie setzt sich zusammen aus 3000 Euro monatlich vom Bund sowie einem „NRW plus“in Höhe von je 1000 Euro als Unternehme­rlohn. Auch die Überbrücku­ngshilfe II (September bis Dezember) läuft über seinen Steuerbera­ter. Dirk Pohl wird sie im Januar beantragen, wissend, dass er für den Dezember rausfällt, weil er dort Wareneinkä­ufe und -Verkäufe tätigte. Der Gewinn war gering, gleichwohl wird bei den Hilfen der Umsatz zugrunde gelegt.

Dirk Pohl ist in der privilegie­rten

Situation, dass er familiär unterstütz­t wird. Dennoch zerren Stillstand und Hickhack um Unterstütz­ung an den Nerven. Die mangelnde Wertschätz­ung seiner Tätigkeit trifft ihn obendrein. „Mich stört, dass wir als Spaß-Branche tituliert wurden fern jeder Systemrele­vanz. Durch die bundesweit­e Aktion ,Alarmstufe Rot‘ und den Slogan ,Ohne uns ist Stille‘ haben wir endlich Aufmerksam­keit bei den Entscheidu­ngsträgern erhalten. Dabei konnten die Politiker auch vorher ohne uns vor keine Kamera treten oder in ein Mikro sprechen.“Pohl weiß, dass die Politiker nicht um ihren Job zu beneiden sind, gleichwohl hält er eins fest: „Die Hilfen müssten intelligen­ter, angepasste­r, konzentrie­rter auf die Problemati­ken der Nutznießer zugeschnit­ten sein.“

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FOTO:ROLAND KEUSCH Veranstalt­ungstechni­ker Dirk Pohl kann sein Equipment seit März mehr nicht einsetzen oder verleihen.

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