Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Schach-Drama mit Anfängerfehlern
„Das Damengambit“hat auch die weibliche Schachjugend in Remscheid erfasst. Das Echo fällt jedoch geteilt aus.
Natürlich hat auch Lina Goerzen (17) die Netflix-Serie „The Queen‘s Gambit“gesehen. „Darauf aufmerksam wurde ich allerdings durch einen Freund, der selbst kein Schachspieler ist“, sagt die angehende EMA-Abiturientin, die seit gut zwei Jahren Turnierspielerin bei den Schachfreunden Lennep ist. „Dass es ein Junge war, der mich auf die Miniserie über ein weibliches Schachgenie hinwies, zeigt bereits, welchen Hype dieses US-Drama ausgelöst hat“, sagt Goerzen und betont, dass die Serie mit dem deutschen Titel „Das Damengambit“wirklich packend inszeniert sei.
Ein paar Schwächen gibt es aber schon: „Ich bin ja selbst keine Top-Spielerin und habe es bisher nicht über die Niederrhein-Meisterschaft hinaus geschafft. Dennoch sind mir in der Staffel Züge aufgefallen, die Schach-Genies in der realen Welt als Fehler nie passieren würden.“Das bestätigt auch die langjährige Turnierspielerin Daria Herbertz (16) von SchwarzWeiß Remscheid: „In der Serie sitzen sich wiederholt Weltklasse-Spieler gegenüber. Trotzdem rennen sie auf dem Brett in offenkundige Fallen hinein.“Was Herbertz, die wie Goerzen das Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium besucht, indes wenig stört: „Mich ärgert eher, dass die Serie den Eindruck erweckt, man könne sich bei Schachturnieren Sprüche um die Ohren hauen.“In Wirklichkeit sei totale Ruhe angesagt, erklärt die mehrfache Bergische Meisterin, die auch schon an NRW-Meisterschaften teilgenommen hat. Erfolge, die sie großteils auch ihrem langjährigen Trainer Holger Freiknecht verdankt, dem der Wirbel um „Das Damengambit“nicht entgangen ist. Die Serie hat er dennoch nicht gesehen: „Ich habe mir nur den Trailer angeschaut, und der suggeriert, dass die Story über das Waisenmädchen Beth Harmon als Produktion für Nicht-Schachspieler angelegt ist.“
Trotzdem habe der Trailer sein Interesse geweckt: „Danach habe ich mir auf Youtube Videos zu der Staffel mit Kommentaren des englischen Großmeisters Daniel King angesehen.“Dessen Sachverstand schätzt er sehr. „Also wollte ich wissen, wie King die Partien aus der Serie sieht.“Nach seinen Analysen entsprechen viele Stellungen und Spielverläufe nicht dem Level, der im Plot gezeigt wird. Das sei dem Großmeister jedoch weniger aufgestoßen als der Umstand, dass Schachweltmeister Garri Kasparov, der bei der Serie als Berater fungierte, „keine realen Partien von Frauen aussuchte“. Freiknechts persönliche Theorie dazu lautet: „Kasparov hat seine Niederlage von 2002 gegen die ungarische Spitzen-Schachspielerin Judith Polgár immer noch nicht verwunden.“
Ein Eindruck, zu dem passen würde, was Goerzen in ihrer zweijährigen Zeit als Turnierspielerin beobachten konnte: „Männliche Gegner empfinden es oft als besondere Kränkung, wenn sie gegen ein Mädchen oder eine Frau verlieren.“Das sieht Herbertz genauso, die als Mannschaftsspielerin und bei Meisterschaften seit vielen Jahren fast ausschließlich gegen männliche Spieler antritt. Denn eine Geschlechtertrennung gebe es erst ab dem Level von Verbandsmeisterschaften. Die Trennung könne zwar durchbrochen werden, indem ein Mädchen oder eine Frau freiwillig bei den Jungen oder Herren mitmischt: „Das machen in der Praxis aber nur Spielerinnen, die wirklich stark sind.“
Eine Beobachtung, die auch die Schachspielerin Julia Norget (28) gemacht hat. Sie engagiert sich schon seit 14 Jahren im Mädchen-Schach und hat auch Herbertz häufig bei Schachfreizeiten und in Camps von NRW Schachjugend und Deutscher Schachjugend betreut. Mit durchaus typischen Erkenntnissen: „Mädchen wie Daria, die über die Pubertät hinaus am Brett bleiben, sind fast alle sehr selbstbewusst und fühlen sich in der Schach-Welt wohl.“Das sei auch eigentlich nicht schwer, „weil Mädchen in der Schach-Szene gerne gesehen und auch in den Vereinen sehr willkommen sind“. Trotzdem falle bisweilen unter männlichen Schachspielern der Satz: „Du spielst ja wie ein Mädchen.“Den bekämen jedoch „eher Jungs zu hören, die defensiv und vielleicht nicht so stark spielen“.
Abwertende Sprüche gibt es aber auch gegenüber Mädchen und Frauen. Sie fallen ihres Eindrucks nach allerdings vermehrt in den oberen Ligen, weshalb die Netflix-Serie in dieser Hinsicht durchaus realistisch ist: „Schach ist eindeutig eine männerdominierte Welt.“Das liege aber keinesfalls an den mangelnden kognitiven Fähigkeiten von Mädchen, ergänzt Spielerin Goerzen und fügt hinzu: „Es hat viel mit den Reaktionen der Umwelt zu tun, wenn Mädels die Lust am Schachspiel vergeht.“Wer ständig höre, dass dieses
Hobby langweilig sei, „und das leider überwiegend aus dem Mund von anderen Mädchen, die das meistens nicht beurteilen können“, laufe Gefahr, mit Schach aufzuhören. „Durch die Netflix-Serie hätte sich das ändern können“, sagt Goerzen. Doch leider falle der Erfolg in eine Zeit, in der die Schachlokale wegen Corona geschlossen sind.
Das ärgert auch Trainer Freiknecht maximal: „Wäre die Serie zu einer anderen Zeit gelaufen, hätte es womöglich endlich mehr weiblichen Nachwuchs gegeben. So droht der Hype zu verpuffen, ohne mehr Mädchen in die Vereine gebracht zu haben.“