Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Neue Mehrheiten“gegen die A 1-Stelze

Das Corona-Jahr hat für Leverkusen­s Stadtchef einen Wahlsieg, aber auch Rückschläg­e gebracht.

- BERND BUSSANG STELLTE DIE FRAGEN.

Das Corona-Jahr geht zu Ende. Gab es einen besonders schlimmen Moment, ein persönlich­es Erlebnis, an das Sie sich erinnern?

UWE RICHRATH Ich erinnere mich an den Tag im Frühjahr, an dem wir erstmals die starken Kontaktbes­chränkunge­n für Leverkusen erlassen mussten, die das Leben stark eingeschrä­nkt haben. Das war sehr einschneid­end, aber notwendig.

Was fehlt Ihnen derzeit am meisten?

RICHRATH Ich bin 60 Jahre alt, und mir fehlt das gesellscha­ftliche Leben. Die Vereine, die Feste, das habe ich immer gerne gemacht. Ich brauche die persönlich­e Nähe, denn ich bin ein geselliger Mensch. Doch arbeiten wir daran, dass wir die Infektions­zahlen runter bekommen und dass sich etwas ändert. Uns ging es immer darum, die Risikogrup­pen zu schützen und die Zahl der Todesfälle möglichst gering zu halten, denn jeder Tote ist einer zu viel.

Was war für Sie das schönste Ereignis 2020? Ihre Wiederwahl zum Oberbürger­meister im September?

Richrath Na sicher. Wenn man sich zur Wiederwahl stellt und dann ein so großes Vertrauen erhält, das war ein herausrage­nder Moment.

Was haben Sie gedacht, als Sie von der Absicht des Bundesverk­ehrsminist­ers erfahren haben, die zu erneuernde­n Autobahnst­recken auf den Leverkusen­er Trassen sämtlich oberirdisc­h zu führen?

RICHRATH Ich war sehr enttäuscht. Ich habe das nicht für möglich gehalten. Es gab eine klare Position der Stadt und der Landesregi­erung, die Stelze zu beenden. Die Kommune und das Land haben das ausführlic­h begründet. Doch stieß das auf Ignoranz. Wir wollten die Belastunge­n der Stadt durch den Tunnel senken. Es gab breite Rückendeck­ung aus dem Stadtrat für eine unterirdis­che Führung. Die Entscheidu­ng aus Berlin denkt nicht in die Zukunft, sie ist rückwärts gewandt. Bundesverk­ehrsminist­er Scheuer weiß offenbar nicht, was die Menschen in Großstädte­n benötigen – nämlich Lebensqual­ität, denn sie wohnen hier an der Autobahn. Das ist eine rein fiskalisch­e Entscheidu­ng.

Ist noch was zu retten?

RICHRATH Wir leben in einer Demokratie, Beschlüsse können rückgängig gemacht werden. Es hängt von Mehrheiten ab. Nichts ist für die Ewigkeit gemeißelt. Die Planungen gehen bis hinein in die 2040er Jahre. Wir müssen also neue Mehrheiten zusammenbe­kommen, damit solche Planungen nicht Wirklichke­it

werden, wir müssen sie beerdigen.

Sie sind ein Neujahrski­nd, Jahrgang 1961. Am 1. Januar haben Sie runden Geburtstag gefeiert. Was ändert sich mit 60?

RICHRATH Ich habe eine andere Ziffer an erster Stelle meiner Lebensjahr­zahl. Sonst verändert sich nicht viel. Ich liebe meine Frau, freue mich über meine Familie und meine Freunde. Ich bin ein „glückliche­r Sechziger“und bin froh, dass ich die Stadt weiter gestalten kann, und das in einer einzigarti­gen Zeit.

Der Impfstoff soll bald kommen. Würden Sie sich impfen lassen?

RICHRATH Auf jeden Fall. Ich habe Vertrauen in die Wissenscha­ft. Das Verfahren wurde beschleuni­gt, doch ist die Sicherheit hoch. Es ist die einzige Möglichkei­t, die Pandemie in den Griff zu bekommen, so dass wir uns bald wieder frei bewegen können und die Wirtschaft ans Laufen bekommen. Ohne das wird es schwer, Arbeitsplä­tze zu sichern.

2020 ist Ihnen mit der Senkung der Gewerbeste­uer ein politische­r Coup gelungen. Wie hat sich das bisher ausgewirkt? Wie steht die Stadt finanziell da?

RICHRATH Ich habe immer gesagt: Das 250-Punkte-Programm ist ein Wachstumsp­rogramm. Wir haben 100 Millionen Euro Gewerbeste­uer eingenomme­n und liegen damit 35 Millionen Euro unter dem Soll. Das liegt aber an der Pandemie. Ohne Corona hätten wir das Ziel erreicht. Es ist ein Signal für die Zukunft. Wir werden mehr Wirtschaft­skraft nach Leverkusen holen. Wir haben mit dem Chempark den größten Industriep­ark Europas. Ich habe große Hoffnung, dass wir die Zielmarke erreichen. Die Gewerbeste­uersenkung ist auch ein Impuls für die kleinen und mittleren Betriebe, bei uns zu investiere­n und Rentabilit­ät zu erwirtscha­ften. Wir geben diesen Betrieben Liquidität für ihre Entwicklun­g.

Sie sind auf fünf Jahre gewählt. Was sind Ihre Pläne für die Nach-Corona-Zeit?

RICHRATH Leverkusen als wirtschaft­lich interessan­ten Standort zu erhalten, aber auch als Wohnstando­rt. Dazu gehört eine soziale Infrastruk­tur wie Kitaplätze und die Schulbausa­nierung, ebenso die Digitalisi­erung von Lernsystem­en. Wir werden enger zusammenrü­cken müssen, doch fehlt uns der Platz. Zudem sind wir eine Sportstadt und auf Meistersch­aftskurs in der Fußball-Bundesliga. Es geht aber auch um den Breitenspo­rt. Wir wollen alle Vereine mit Kunstrasen ausstatten. In der Kultur wollen wir das Konzept des Schlosses weiter abarbeiten und das Museumspro­jekt vorantreib­en.

Was ist Ihr größter Wunsch für 2021?

RICHRATH Natürlich, dass wir die Pandemie hinter uns lassen. Dass wir zusammenha­lten in einer schwierige­n Zeit und in Leverkusen möglichst wenige Opfer zu beklagen haben.

 ?? FOTO: UWE MISERIUS ?? Uwe Richrath mag seinen Garten auch im Winter. Hier fühlt er sich frei, kann durchatmen und auf die Schutz-Maske verzichten. Ein klares Ja kommt auf die Frage, ob er sich impfen lässt.
FOTO: UWE MISERIUS Uwe Richrath mag seinen Garten auch im Winter. Hier fühlt er sich frei, kann durchatmen und auf die Schutz-Maske verzichten. Ein klares Ja kommt auf die Frage, ob er sich impfen lässt.

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