Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Israel will die Krise schnell abhaken

In der Corona-Krise hinterließ die Regierung von Benjamin Netanjahu bisher einen schlechten Eindruck. Nun legt sich der Ministerpr­äsident mächtig ins Zeug, das zu ändern. Das Land profitiert von seiner übersichtl­ichen Größe.

- VON JUDITH POPPE

„Impfweltme­ister Israel“, schallt es derzeit aus den internatio­nalen Medien. Tatsächlic­h legt Israel einen erstaunlic­hen Sprint hin: Mehr als eine Million Israelis sind seit dem Start der Impfkampag­ne vor zwei Wochen mit der ersten von zwei Spritzen immunisier­t worden – mehr als ein Zehntel der Bevölkerun­g. Nach den Menschen über 60 Jahren, medizinisc­hem Personal und Risikogrup­pen sollen im nächsten Schritt die Impfungen für alle Israelis geöffnet werden.

Es ist eine Erfolgsmel­dung aus dem Land, über das in Pandemieze­iten selten Positives zu hören war. Israel ist schwer von Corona betroffen und befindet sich seit einer Woche im dritten Lockdown. Über eine weitere Verschärfu­ng der Maßnahmen, etwa eine komplette Schließung der Schulen, wird derzeit diskutiert, denn die Zahlen steigen weiterhin. Mehr als 5800 Neuinfekti­onen wurden zuletzt registrier­t, für das kleine Land mit seinen knapp neun Millionen Einwohnern ist das sehr viel.

In der Impfkampag­ne jedoch kommen dem Land seine übersichtl­iche Größe und Einwohnerz­ahl entgegen, ist das moderne und digitalisi­erte Gesundheit­ssystem ein klarer Vorteil. Im globalen Wettrennen um Impfstoffe dienen diese Vorteile Israel auch als Argument im Versuch, den Konzern Pfizer davon zu überzeugen, vorzeitig Impfstoffe an das kleine Land zu liefern. Israel könne ein Testballon werden, so das Argument

der israelisch­en Gesundheit­sbehörden, und die Frage beantworte­t werden, ob ein gesamtes Land bei effektivem Impfprogra­mm aus der Corona-Misere herauskomm­en kann.

Der angeschlag­ene Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu scheint wieder voll in seinem Element. Ende Februar, kündigte er an, werde Israel die Corona-Krise hinter sich gelassen haben. Laut dem israelisch­en Fernsehsen­der Channel 12 hat er am Wochenende zum wiederholt­en Mal den Chef des amerikanis­chen Pfizer-Konzerns angerufen und um eine Beschleuni­gung der Lieferunge­n gebeten. Mit einer Corona-Erfolgsges­chichte will er, so glauben viele Israelis, Stimmen wiedergewi­nnen, die er angesichts der schlechten Performanc­e der Regierung in der Corona-Pandemie verloren hat. Eine Einigung mit Pfizer über eine vorzeitige Lieferung konnte bisher allerdings weder der Regierungs­chef noch das Verhandlun­gsteam erreichen. Möglicherw­eise werden einige Impfkandid­aten über 60 doch noch einmal ihren Impftermin

verschiebe­n, wird die allgemeine Öffentlich­keit noch länger auf ihre Injektion warten müssen.

Auch die Bereitscha­ft der Bevölkerun­g, sich impfen zu lassen, wird wohl über den weiteren Erfolg entscheide­n. Arabische Israelis sind bisher zögerliche­r, ihre Ärmel hochzukrem­peln, wenn auch laut Medienberi­chten in den vergangene­n Tagen in arabischen Zentren ein größerer Zulauf zu beobachten war.

Auf lange Sicht könnte auch die Situation in den palästinen­sischen Gebieten den Erfolg des Impfprojek­tes

beeinfluss­en. Die Palästinen­ser sind nicht in die Impfaktion einbezogen. Das könnte den Weg zur Herdenimmu­nität verlangsam­en, denn Tausende Palästinen­ser arbeiten in Israel und in den jüdischen Siedlungen. Internatio­nale Gesundheit­sund Menschenre­chtsorgani­sationen wie Physicians for Human Rights werfen Israel außerdem vor, moralische, humanitäre und rechtliche Verpflicht­ungen zu umgehen, und fordern, dass Israel die Palästinen­ser mit Impfdosen versorgt. Derweil arbeitet die WHO mit dem Programm Covax daran, den Palästinen­sern Impfstoffe zukommen zu lassen. Der Büroleiter der Weltgesund­heitsorgan­isation in Jerusalem, Gerald Rockenscha­ub, rechnet jedoch mit ersten Impfungen für die Palästinen­ser erst gegen Mitte des Jahres 2021.

 ?? FOTO: ODED BALILTY/DPA ?? Eine Frau erhält in einem Impfzentru­m in Tel Aviv ihre Impfung, der nächste Kandidat wartet bereit.
FOTO: ODED BALILTY/DPA Eine Frau erhält in einem Impfzentru­m in Tel Aviv ihre Impfung, der nächste Kandidat wartet bereit.

Newspapers in German

Newspapers from Germany