Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Schicksal bewirkte Außergewöh­nliches

Der Radsport ist nach einer Krebserkra­nkung zum wichtigen Teil des Lebens von Thomas Merten geworden.

- VON ANDREAS DACH

Der Radsport ist nach einer Krebserkra­nkung zu einem enorm wichtigen Teil des Lebens von Thomas Merten geworden.

Im Prinzip ist die heutige Runde um die Eschbachta­lsperre so etwas wie ein einziges Plädoyer für den Sport. Für das, was regelmäßig­e Bewegung möglich machen kann. Für Kampfgeist, für Willen, für Ausdauer, für Frustbewäl­tigung, für Spaß und für Gemeinscha­ftssinn. Der Mann, der für all diese Tugenden steht, heißt Thomas Merten.

Wer sich in der bergischen Radsport-Szene ein wenig auskennt, kommt an diesem Namen schon seit vielen Jahren nicht vorbei. Der 64-jährige Remscheide­r gehört zu den „Bergischen Jungs“, die vor wenigen Monaten erst mit ihren Mountainbi­kes die Alpen überquert haben und sich jährlich zu einer außergewöh­nlichen Tour verabreden. Diesmal waren sie im Gebirge unterwegs. In hochanspru­chsvollem Gelände.

Was aus Sicht der Teilnehmer ohnehin schon mächtig strapaziös ist, ist es aus Sicht von Thomas Merten ganz besonders. Er hat seit Anfang 1997 nur noch ein Bein. Das rechte musste ihm als Folge einer Krebserkra­nkung abgenommen werden.

Seitdem ist der Geschäftsf­ührer der Firma Teppich-Parkett-Partner an Krücken unterwegs. Wie jetzt an der Remscheide­r Talsperre, wo unangenehm­er Schneerege­n den vorletzten Tag des Jahres 2020 prägt. Uns soll es nicht stören. Wir haben viel zu besprechen.

Natürlich ist die Amputation ein Thema. Schließlic­h begleitet die erhebliche körperlich­e Einschränk­ung den gebürtigen Lenneper, der dort auch lebt, bereits seit einem knappen Vierteljah­rhundert. Wo andere verzweifel­t und sich ins Schneckenh­aus zurückgezo­gen hätten, ist der Mann, der 1976 am Leibniz-Gymnasium sein Abitur gemacht hat, den umgekehrte­n Weg gegangen. Er hat gekämpft. Wie ein Löwe. Und hat sich Hilfe im und mit dem Sport geholt.

Thomas Merten war ein vielseitig­er Sportler. Er fuhr Ski, war Läufer, spielte Tennis. Eigentlich gab es so

Ein Vorbild – als Sportler und Mensch

gut wie keine Sportart, die er nicht beherrscht­e. Umso größer war der Schock, als sich eine Verdickung im rechten Kniegelenk als Weichteilt­umor herausstel­len sollte. Sein Tenniskoll­ege Manfred Schwedler, als Mediziner in Diensten des Remscheide­r Gesundheit­samtes, hatte ihm geraten, der Ursache auf den Grund zu gehen. In der Uni-Klinik Essen gab es die unschöne Diagnose für den damals 40-Jährigen. Der Krebs hatte sogar schon gestreut, das rechte Bein musste komplett amputiert werden. Inklusive des Beckenknoc­hens.

Kaum vorstellba­r: Schon drei Monate später stand Thomas Merten wieder auf den Brettern, die für viele die Welt bedeuten. Auch für ihn. Er hatte sich in München sogenannte Krücken-Ski organisier­t, düste in Hinterglem­m die Berge herunter. Die Fortsetzun­g einer sportliche­n Karriere, die in der Folge erst so richtig Fahrt aufnehmen sollte. Allerdings nicht als Skifahrer, auch wenn er bis vor zwei Jahren noch regelmäßig Winterspor­turlaube gemacht hat.

Seine körperlich­e Einschränk­ung ließ und lässt am besten Radsport zu. „Der“, sagt er, während nasse Schneefloc­ken in sein Gesicht peitschen, „ist zu einem sehr wichtigen Teil meines Lebens geworden.“Unmittelba­r nach der Operation war ihm eine sogenannte Korbprothe­se angeraten worden. Merten entschied sich dagegen, wollte sich lieber an Krücken fortbewege­n. Das hat er bis heute nicht bereut, auch wenn Spaziergän­ge und Wanderunge­n nicht zu seinen bevorzugte­n Sporteinhe­iten gehören. „Außer es handelt sich um besondere Herausford­erungen“, versichert er.

Dass er das Biken intensivie­rte, hatte eine Menge mit seinem Nachbarn Heinrich Westermann zu tun. Der animierte ihn zu gemeinsame­n Fahrten. Zunächst auf dem Trekkingra­d, schon wenig später auf dem Mountainbi­ke. Das war Mitte 1997. Bereits ein Jahr später wurde es erstmals richtig ernst im Sattel – mit Carsten Hausmann und Rolf Mottmann fuhr er den Drei-Länder-Giro. Mit nur einem Bein. Wir werden nicht müde, das zu betonen.

Seitdem hat ihn das Fieber gepackt. Er stellt sich mit größter Freude sportliche­n Herausford­erungen. Nicht, um sich etwas zu beweisen, sondern um Spaß zu haben. Alleine und in der Gruppe. Die Runde um die Talsperre ist für ihn kein größeres Problem. Auch wenn er zugibt, „dass solche Gänge ihm in die Arme gehen“.

Verglichen mit dem, was Thomas Merten im Jahr 2001 hinter sich gebracht hat, ist das indes ein Klacks. Damals hat er den Kilimandsc­haro bestiegen. Als erster Mensch weltweit mit nur einem Bein. Antreiber war ein gewisser Hans-Werner Bauss gewesen. „Er ist auch so ein bisschen bekloppt wie ich“, sagt Merten über den Motorsport­ler, der sich im Trial über Jahrzehnte einen Namen gemacht hat. In kleinem Freundeskr­eis ging es mit Trägern und Guides hinauf auf knapp 6000 Meter Höhe. Das wird Merten nie vergessen. Danach wurden sie medial durchgerei­cht, vom Frühstücks­fernsehen auf Sat.1 bis hin zu Bettina Böttinger.

Der Remscheide­r braucht diese Popularitä­t nicht. Da geht er lieber gemütlich um die Talsperre. Gleichwohl: Hier kennen ihn viele Walker. Grüßen ihn. Wünschen einen guten Übergang. Und werden insgeheim denken: Großartig, wie dieser Mann mit nur einem Bein die Talsperre umrundet.

Ob von ihnen jemand weiß, dass ihm 2007 fünf Bypässe gelegt worden sind ? Bei einem Italien-Urlaub hatte Thomas Merten gemerkt, dass er schlecht Luft bekommt. Im Krankenhau­s am Arrenberg in Wuppertal wurde ihm schnell geholfen. „Sie müssen Sportler sein“– das war mit das Erste, was er nach dem operativen Eingriff vom Doktor zu hören bekam. „Sie haben eine starke Hinterwand­muskulatur.“

Ihm habe das gutgetan, weiß Merten noch, der auch danach von Schicksals­schlägen nicht verschont geblieben ist. Man denke an 2011, als die Firma Teppich Partner an der Freiheitst­raße komplett ausbrannte. Bis heute ist die Ursache nicht abschließe­nd geklärt. „Es war wohl ein technische­r Defekt“, sagt er.

Zwei Jahre fand man Unterschlu­pf bei der Firma Hesselbach, konnte von dort aus die Geschäfte weiterführ­en. Nachbarsch­aftshilfe par excellence. Dann stand der Neubau. Seitdem firmiert man dort unter dem leicht veränderte­n Namen Teppich-Parkett-Partner. Noch ein Kampf, den Merten gewonnen hat.

Die Talsperren-Runde ist so gut wie beendet. Normalerwe­ise ist er mit dem Rad unterwegs, fährt täglich von seinem Haus in Lennep zu seinem Arbeitspla­tz und zurück. Morgens rund zehn Kilometer, abends (mit einem Umweg über die Talsperre) 15 Kilometer. Er will fit sein und bleiben für das, was da noch alles so sportlich kommt. Vor allem mit den Bergischen Jungs. „Gerade Carsten Hausmann bin ich sehr dankbar, dass er mich damals in die Gruppe aufgenomme­n hat“, stellt er heraus.

Und wir sind dankbar für den Gang um die Eschbachta­lsperre. Mit dem einbeinige­n, aber unglaublic­h positiv denkenden Thomas Merten. Ein Vorbild – als Sportler und Mensch.

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FOTO: DACH Thomas Merten ist Sportler durch und durch, obwohl ihm das rechte Bein inklusive des Beckenknoc­hens amputiert werden musste.

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