Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Giannis Antetokounmpo wuchs als staatenloser Straßenhändler auf. Heute ist er der bestbezahlte NBA-Profi.
Giannis Antetokounmpo wächst als Straßenhändler in Griechenland auf. Heute ist er der bestbezahlte Basketballer der Geschichte.
228 Millionen Dollar sind auch in der NBA eine Menge Geld. Kein Basketballer hat je so viel bekommen; nicht Michael Jordan, nicht Scharfschütze Steph Curry und nicht LeBron „King“James. Der Mann mit dem klangvollen Namen Giannis Sina Ugo Antetokounmpo aber erhält nun diese umgerechnet 187,5 Millionen Euro für fünf weitere Jahre beim NBATeam Milwaukee Bucks. Mitten in der Pandemie. Und obwohl er nicht mal besonders gut werfen kann.
Doch seine Bosse glauben an seinen Willen, seinen Hunger, sein Kämpferherz. Aus gutem Grund.
Antetokounmpo (26), den die Amerikaner einfach „Giannis“nennen oder bei seinem liebevoll gemeinten Spitznamen „Greek Freak“(griechisches Monstrum), hat eine einmalige Reise hinter sich. Noch vor acht Jahren lebte der Sohn von Einwanderern aus Nigeria jeden Tag in Angst vor Abschiebung. Seine Brüder und er bekamen als minderjährige Nachkommen von Einwanderern keine griechischen Papiere. Bis zu ihrem 18. Geburtstag waren sie staatenlos, beinahe vogelfrei. Mit dem Straßenverkauf von Sonnenbrillen und DVDs in Athens Arbeiterviertel Sepolia trugen die Jungs zum mageren Familieneinkommen bei. Teils schliefen sie zu dritt in einem Bett.
Dann entdeckte ihn Spyros Veliniatis, der beeindruckt war von seinen Richtungswechseln beim Fangenspielen und seiner Körpersprache. Der Talentscout ist griechischer und deutscher Staatsbürger; nachdem sein eigener Traum vom Sprung in die NBA geplatzt war, spielte er für einige Jahre halbprofessionell beim SSV Wuppertal. Parallel zu seinem Wehrdienst, in dem er Probleme bekam, weil er seine Vorgesetzten versehentlich duzte. Dem „Vice“-Magazin sagte er lachend: „Ich versuchte immer, denen zu erklären, sie sollten es nicht persönlich nehmen. ‚Du’ nannte ich ja schließlich auch meine Mutter!“
Als er 2008 Giannis traf, erkannte er in ihm und auch seinem Bruder Thanasis Top-Talente. Doch Giannis wollte lieber Fußball spielen; zwei Jahre lang kam er nur zum Training, weil der Scout so sehr an ihn glaubte, dass er Giannis’ Eltern dafür rund 500 Euro im Monat zahlte. Mehrmals gab er auf, doch jedes Mal lockte und zerrte sein Trainer ihn zurück. In seinem ersten Spiel erzielte er 50 Punkte.
2009 spielte er bei den Junioren, 2011 in Griechenlands Dritter Liga, im Jahr darauf in der Zweiten. Für jedes Spiel und jedes Training nahm er drei Stunden An- und Abreise
in Kauf; mit Bus und Bahn und zu Fuß. Im Herbst 2012 hörten die ersten NBA-Scouts von ihm, doch als man ihm eine mögliche Karriere in den USA prophezeite, hielt er sich an den greifbaren Luxus: Den Burger mit Pommes und Limonade zum Geschäftsessen, bei dem die Agenten über seine Zukunft spekulierten. Den Aufstieg in die Erste Liga verpasste sein Team Filathlitikos hauchdünn. Giannis war außer sich vor Wut und Enttäuschung, doch für seine eigene Zukunft war es irrelevant.
Ein halbes Jahr später machten ihn die Milwaukee Bucks zum
NBA-Profi; für die im Fernsehen übertragene Talentbörse besorgte er sich in letztem Moment einen Anzug und eine griechische Flagge. Trotz seiner harten Kindheit und Jugend ist er immens stolz auf das Land, das sich erst um ihn bemühte, als Spanien und Nigeria dem Supertalent bereits die Staatsbürgerschaft angeboten hatten.
Nach den üblichen Anfangsschwierigkeiten reifte Antetokounmpo im Schnelldurchlauf zum Sprint- und Sprungwunder; auf dem Weg zum Korb können ihn oft selbst zwei oder drei Gegenspieler nicht stoppen. Er ist bärenstark, agil und clever, für spektakuläre Aktionen stets zu haben, aber auch in der Defensive nicht abzuschütteln. Die größte Schwäche ist sein Wurf; sowohl von der Freiwurflinie als auch aus der Distanz trifft er deutlich unterdurchschnittlich. Die Experten zucken dazu mit den Schultern; mehrere sagen: „Wenn er das auch noch könnte, wäre es ja völlig unfair.“
Der notorisch kritische Kobe Bryant bescheinigte Giannis einst „seltene physische Gaben, und eine ebenso seltene Leidenschaft“. Die „New York Times“schrieb, Dirk Nowitzki habe die Position verändert, auf der er spielte – Giannis allerdings verändere „alle fünf“. Tatsächlich fühlt sich der „Greek Freak“im Gewühl unter dem Korb ebenso wohl wie als Spielmacher. Das hatte man bislang nur dem Mega-Star und vierfachen NBA-Champion LeBron James nachgesagt.
Giannis führte sein Team in den vergangenen beiden Hauptrunden auf Tabellenplatz eins und wurde zudem jeweils als bester Spieler der Liga ausgezeichnet. In den Play-offs indes war früh Schluss. Doch das Team bleibt Antetokounmpo treu – und der will dieses Vertrauen von Anfang an mit einem Meistertitel zurückzahlen. Es ist seine wichtigste Mission. Weil er das längst geschafft hat, was alle Migranten weltweit antreibt: „Ich kann für meine Kinder sorgen, und für meine Enkel und deren Enkel.“Seine Einstellung aber sei noch immer dieselbe, beteuert er: „Viele sehen eine Wand und geben auf. Ich gehe mittendurch.“