Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Ein neuer Blick auf Andy Warhol“

Der Direktor des Museums Ludwig spricht über die Krise und die laufende Sonderauss­tellung im Lockdown.

- VON STEPHAN EPPINGER

Wie erleben Sie gerade die Situation im zweiten Lockdown?

Dr. Yilmaz Dziewior: Die Situation ist sehr schwierig. Das gilt nicht nur für die Museen, sondern für die gesamte Gesellscha­ft. Für uns ist sehr enttäusche­nd, dass wir eine sehr schöne und interessan­te Sonderauss­tellung wie „Andy Warhol Now“nicht zeigen können. Wir haben zusammen mit den Kolleginne­n der Tate in London drei Jahre Arbeit in dieses Projekt investiert. Allerdings sind wir froh, dass wir die Ausstellun­g überhaupt in Köln rechtzeiti­g realisiere­n konnten. Durch den Lockdown in Großbritan­nien war es nicht sicher, ob die mehr als 100 Werke überhaupt nach Deutschlan­d gebracht werden können. Jetzt hoffen wir, dass wir unser Haus Mitte Januar wieder für das Publikum öffnen können. Dann hätten wir zwar einen Monat verloren, aber die Schau läuft noch bis zum 18. April. Würde das Ganze länger dauern sollte, müssten wir sehen, ob eine Verlängeru­ng möglich ist. Sehr wahrschein­lich ist das aber nicht.

Wie ist es im Moment für Sie als Direktor durch ein leeres Museum zu gehen?

Dziewior: Ehrlich gesagt, habe ich dazu im Moment kaum Zeit, weil wir auch während der Schließung sehr viel Arbeit bewältigen müssen. Dazu gehört zum Beispiel der regelmäßig­e Erfahrungs­austausch mit den Kolleginne­n anderer großer Häuser wie dem Städel in Frankfurt oder der Staatsgale­rie in Stuttgart. Dazu kommt der enorme logistisch­e Aufwand, wenn wir Ausstellun­gen verlängern müssen. Das gilt auch für die Schließung und die Wiedereröf­fnung des Museums. Da passiert sehr viel hinter den Kulissen – Arbeit, die beim regulären Betrieb nicht anfallen würde.

Was ist jetzt im Vergleich zum Frühjahr anders?

Dziewior: Wir sind routiniert­er geworden. Das Team weiß, was es in dieser Situation tun muss, und, wie es sich verhalten muss, um sich selbst vor einer Infektion zu schützen. Anders ist auch, dass jetzt der Impfstoff da ist und die berechtigt­e Hoffnung besteht, dass wir bis zur zweiten Jahreshälf­te das Problem in den Griff bekommen. Schwierig ist im Vergleich zum Frühjahr, dass der Lockdown deutlich länger dauert. Das ist schon sehr belastend.

Was macht den Reiz der Warhol-Ausstellun­g aus?

Dziewior: Wir zeigen einen Künstler, von dem jeder glaubt ihn gut zu kennen. Wir werfen aber einen neuen Blick auf Andy Warhol und zeigen Werke, die noch nie zuvor in Europa zu sehen waren. Das gilt zum Beispiel für die figürlich gemalten Bilder aus seinem Frühwerk. Diese sind teilweise noch in seiner Studentenz­eit entstanden. Wir geben einen Überblick von den Anfängen bis zum Spätwerk. Dazu gibt es insgesamt drei neue Fragestell­ungen.

Welche sind das?

Dziewior: Zum einen geht es um den queeren Warhol. Er war jung und schwul, was sich in seinen frühen Arbeiten immer wieder zeigt. Dazu zählen die Zeichnunge­n von nackten Männern, auf die der Künstler seinen begehrende­n Blick wirft. Wenn man das gesellscha­ftliche Umfeld der Zeit berücksich­tigt, weiß man, welchen Wagemut es gebraucht hat, um solche Motive zu wählen. Damals war Homosexual­ität nicht nur strafbar, sondern galt auch als schwere Krankheit und war entspreche­nd geächtet. Die zweite Fragestell­ung ist Warhol als Sohn von Einwandere­rn. Da geht es um die Rolle der Religion. In den frühen Arbeiten gibt es den Zwiebeltur­m einer ost-katholisch­en Kirche in Pittsburgh. Die religiösen Motive ziehen sich bis zum Spätwerk durch. Der dritte Themenkomp­lex ist der Umgang mit Subkulture­n wie afroamerik­anischen bzw. latinx Transsexue­llen und Transgende­r. Warhol verwendet die gleichen künstleris­chen und formalen Techniken für diese Menschen wie er sie für Mick Jagger oder Dolly Parton Bilder nutzt. Das bedeutet eine Demokratis­ierung und eine Sichtbarma­chung dieser Subkulture­n.

Sie stellen auch den Zugang der jungen Generation zu Warhol her.

Dziewior: Das gilt zum Beispiel für die Celebritie­s-Kultur. Das spiegelt sich in den Prominente­n in Warhols Interviewm­agazin oder seinen TVShows wieder. Das ist eine Vorwegnahm­e von Instagram und Facebook. Das spricht junge Leute an, weil sie es kennen. Warhol war immer sehr an der modernen Technik interessie­rt. Beim Smartphone und bei den sozialen Medien wäre er sicher ganz vorne dabei gewesen.

Bis Sie die Ausstellun­g eröffnen können, gibt es zahlreiche digitale Angebote.

Dziewior: Da war unser Team sehr kreativ. Es gibt verschiede­ne Social-Media-Formate wie die von Cartoonist­innen, die aus verschiede­nen sozialen und kulturelle­n Persepekti­ven ihre Sicht auf Warhol präsentier­en. Dazu kommen die spannenden Tagebücher von Warhol, die in kurzen Videoclips von unseren Mitarbeite­rinnen vorgelesen werden. Außerdem haben wir Kölnerinne­n wie Francois-Xavier Roth oder Bettina Böttinger gefragt, warum sie sich auf Warhol freuen. Diese Frage haben wir aber auch Jugendlich­en gestellt.

Wenn die Ausstellun­g eröffnet wird, müssen Zeitfenste­r für den Besuch vorab gebucht werden.

Dziewior: Wir rechnen nach der Wiedereröf­fnung mit einem großen Andrang auf die Sonderauss­tellung. Gleichzeit­ig müssen wir die Regelungen für die maximale Besucherza­hl im Museum beachten. Daher wird es die Zeitfenste­r geben, die man reserviere­n kann, sobald der Termin für die Wiedereröf­fnung feststeht. Da sollte man sich dann beeilen. Außerdem werden wir die Öffnungsze­iten verlängern. Von Dienstag bis Donnerstag sowie am Sonntag haben wir von 10 bis 20 Uhr und am Freitag und Samstag von 10 bis 22 Uhr geöffnet.

www.museum-ludwig.de

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FOTO: MARIUS BECKER/DPA Dr. Yilmaz Dziewior ist der Direktor des Museums Ludwig, wo derzeit die Warhol-Sonderscha­u auf ihr Publikum vor Ort wartet.

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