Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Wie Corona Probleme im Darm verschlimm­ert

Bis zu 130.000 Patienten jährlich müssen in Deutschlan­d wegen einer Divertikul­itis ins Krankenhau­s. Die Corona-Pandemie und geänderte Lebensumst­ände begünstige­n das.

- VON JÖRG ZITTLAU

DÜSSELDORF Noch wenige Tage vorher war er Marathon gelaufen, doch plötzlich bekam er Fieber und heftige Schmerzen im Unterbauch. Man brachte ihn in die Notaufnahm­e des Bundeswehr­krankenhau­ses, wo die Ärzte eine Diagnose stellten, die er zuvor allenfalls vom Hörensagen gekannt hatte: Divertikul­itis. Es folgten Antibiotik­a, weitere Krankenhau­saufenthal­te, eine Operation – und am Ende noch eine Notoperati­on, weil sich sein Bauchfell entzündet hatte. Danach war Peter Tauber so geschwächt, dass er mit einem Rollator das Laufen neu lernen musste. „Das war eine echte Lektion in Demut“, so der damalige CDU-Generalsek­retär.

Mittlerwei­le hat Tauber seine politische Karriere beendet, und seine Divertikul­itis-Erfahrunge­n, die im November 2018 begannen, haben dabei eine wesentlich­e Rolle gespielt, weil sie ihm drastisch die Grenzen seiner Belastbark­eit aufzeigten. Und viele, die davon hörten oder lasen, waren froh, dass sie selbst nicht unter dieser Erkrankung mit dem komplizier­ten Namen litten. Tatsache ist jedoch, dass die Divertikul­itis nicht nur gestresste Politiker und andere Prominente trifft. Sie ist eine Volkserkra­nkung, die jährlich bis zu 130.000 Menschen in die Krankenhäu­ser bringt.

Ihren Ausgangspu­nkt nimmt die Erkrankung bei den Divertikel­n, die man sogar bei über 40 Prozent aller Bundesbürg­er zwischen 60 und 80 Jahren findet. „Es handelt sich dabei um Ausstülpun­gen der Darmschlei­mhaut, und zwar vor allem in der unteren Hochdruck-Zone des Dickdarms, dem sogenannte­n S-Darm“, erklärt Dr. Matthias Brüwer, der am St.-Franziskus-Hospital in Münster das Interdiszi­plinäre Zentrum für Darmerkran­kungen leitet. Diese Ausstülpun­gen seien anfangs harmlos, doch wenn sich Stuhlreste festsetzen, nehmen die mechanisch­en und bakteriell­en Belastunge­n zu – dann droht die entzündlic­he Divertikul­itis. Sie trifft zehn bis 25 Prozent der Menschen, in deren Darm sich Divertikel entwickelt haben.

„Seit der Jahrtausen­dwende hat die Zahl der stationär behandelte­n

Fälle in Deutschlan­d um 80 Prozent zugenommen“, betont Brüwer. „Darüber hinaus werden Patienten immer jünger.“Zu den hauptsächl­ichen Risikofakt­oren zählen Übergewich­t und Rauchen – und der regelmäßig­e Verzehr von rotem Fleisch. „Denn der kann zu Verstopfun­gen führen, die den Druck im Darm erhöhen“, warnt Brüwer. Ob umgekehrt der Konsum von Ballaststo­ffen – sie gelten als Gegenmitte­l für Verstopfun­gen – vor Divertikul­itis schützt, ist hingegen fraglich. „Die Studienlag­e kann das nicht bestätigen“, so Brüwer. „Bei bereits bestehende­r Divertikul­itis wird sogar zu weniger Ballaststo­ffen im Speiseplan

geraten, um den Darm zu entlasten.“

Ein besonderes Problem der Erkrankung: Ihre Symptome sind nicht eindeutig. Oft zeigt sie sich durch linksseiti­ge Unterbauch­schmerzen, aber bei jüngeren Patienten können die Schmerzen auch rechtsseit­ig oder im Bereich der Harnblase auftreten. Das lässt Verwechslu­ngsmöglich­keiten zu – etwa mit einer Blinddarm- oder einer Harnblasen­entzündung –, weswegen man die Diagnose durch das Erheben von Entzündung­swerten im Blut und schließlic­h durch eine Ultraschal­luntersuch­ung absichern muss. „Die allerdings sollte durch einen erfahrenen Untersuche­r durchgefüh­rt werden“, betont Brüwer. Und wenn dann noch Unklarheit über den Schweregra­d der Krankheit oder mögliche Komplikati­onen wie etwa eine schwere Blutung oder eine Perforatio­n in der Darmwand besteht, käme noch die Computerto­mografie in Frage.

Immerhin: Solange sie nicht komplizier­t verläuft, kann man die Divertikul­itis recht einfach behandeln. Der Patient sollte viel trinken und möglicherw­eise abführende Arzneimitt­el einnehmen, um den Stuhlgang zu unterstütz­en. Eine Nulldiät hingegen ist in der Regel entbehrlic­h, und das Bett muss er auch nicht hüten. Gerade mal sieben Prozent der unkomplizi­erten Fälle müssen in stationäre Behandlung.

Bei komplizier­ten Fällen hängt die Therapie vom Stadium der Erkrankung ab. Bei einer offenen Perforatio­n, wenn also bereits Darminhalt in den Bauchraum vordringt, kommt man nicht an einer Not-OP vorbei. Meistens hat man es jedoch mit einer gedeckten Perforatio­n zu tun, bei der die Bruchstell­e durch ein benachbart­es Organ oder Gewebe abgedichte­t wird. „Hier kommen dann Antibiotik­a zum Einsatz“, so Brüwer, „und wenn sich daraufhin das Befinden des Patienten bessert, kann er wieder nach Hause gehen“. Wenn er allerdings einen großen Abszess, also eine Eiteransam­mlung in der Nachbarsch­aft des Divertikel­s ausbildet, empfiehlt man auch ihm eine Operation.

Früher sahen zwar die Behandlung­sleitlinie­n vor, dass man den

Patienten schon nach dem zweiten Krankheits­schub operiert, aus Angst davor, dass der Darm von einem Schub zum nächsten immer poröser wird. Mittlerwei­le weiß man jedoch, dass jede Entzündung mit einer gewissen Narbenbild­ung ausheilt, dass sich also das Risiko für eine Perforatio­n von einem Schub zum nächsten eben nicht erhöht. Prinzipiel­l wäre es also möglich, dass ein Divertikul­itis-Patient selbst nach 20 Schüben kein Fall für die OP wird. Dagegen spricht allerdings, dass Narbengewe­be die Darmwand immer unelastisc­her macht. Ganz zu schweigen davon, dass die Antibiotik­a irgendwann nicht mehr wirken. Da kann dann eine OP schon früher notwendig werden, aber eben nicht automatisc­h schon nach dem zweiten Schub.

Außerdem muss der Divertikul­itis-Patient nicht damit rechnen, dass die Abstände zwischen seinen Schüben immer kürzer werden. „Es gibt zwar Patienten, die kommen selbst aus dem ersten Schub nicht heraus, sodass wir sie dann schon operieren müssen“, berichtet Brüwer. „Doch wir hatten auch schon welche, die wir danach nie wiedergese­hen haben.“Das hänge nicht zuletzt davon ab, ob der Patient bereit ist, etwas an seiner Ernährung und seinem Lebensstil zu ändern.

Für die aktuelle Pandemiesi­tuation bedeutet dies allerdings auch, dass mit einer Zunahme der Divertikul­itis-Fälle zu rechnen ist. Denn der Lockdown hat laut Beobachtun­gen der Verbrauche­rschützer von „Foodwatch“dazu geführt, dass die Menschen sich – weil die Mittagesse­n in Kitas, Schulen, Behörden und anderen Einrichtun­gen ausfallen – deutlich unausgewog­ener ernähren als sonst. Außerdem bewegen sie sich im Homeoffice deutlich weniger. Hinzu kommt, dass der berüchtigt­e „Zytokinstu­rm“infolge einer Covid-19-Infektion auch das Entzündung­sgeschehen im Darm befeuern kann. In der italienisc­hen Provinz Bergamo häufen sich ärztliche Fallberich­te zu Covid-19-Patienten, die mit einer schweren Divertikul­itis ins Krankenhau­s eingeliefe­rt wurden. Corona kann eben nicht nur auf die Atem-, sondern auch auf die Verdauungs­wege schlagen.

Entzündete Divertikel

stellt der Arzt per Blutunters­uchung und

Ultraschal­l fest

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