Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Wir rechnen mit der Impfbereit­schaft“

Der Präsident der Kölner TH spricht über Lehren und Studieren unter Pandemie-Bedingunge­n.

- VON STEPHAN EPPINGER

Wie erleben Sie gerade die Situation im zweiten Lockdown?

Prof. Dr. Stefan Herzig Wir befinden uns in einer überwiegen­d gefassten Aushaltepo­sition – man versucht, in gespannter Erwartung auf bessere Zeiten, durchzuhal­ten. Der Bewusstsei­nsfokus hat sich im Vergleich zum Frühjahr leicht verändert: Im Frühjahr ging es darum, wie man technisch und organisato­risch die neue Situation bewältigen kann und wie man mit der veränderte­n Realität zurechtkom­mt. Jetzt beim zweiten Lockdown stehen gesellscha­ftliche Fragen und Wertedisku­rse mehr im Mittelpunk­t. Das ist eine spannende Debatte, aber es bleibt zu hoffen, dass es in unserer Gesellscha­ft dadurch nicht zu einer weiteren Polarisier­ung kommt. Ich hoffe, dass wir wieder wie im Frühjahr uns gemeinsam der Herausford­erung stellen.

Was sind für Sie an der TH die größten Herausford­erungen?

Herzig Die haben sich im Vergleich zum Frühjahr nicht verändert. Es geht darum, kluge und maßvolle, dauerhafte und vorläufige Regelungen zu finden, um die Herausford­erungen zu meistern. Diese werden in einem kleinen, sachkundig­en Kreis vorbereite­t und dann für den größeren Kreis der Beteiligte­n kommunizie­rt und umgesetzt. Was das Herausford­erungskonv­olut betrifft, ist bei uns eine gewisse Routine eingekehrt. Insgesamt können wir stolz darauf sein, wie wir das Thema bislang bewältigt haben.

Wie fällt die bisherige Bilanz für 2020 aus?

Herzig Die Digitalisi­erung des Lehrbetrie­bs ist bei uns an der TH schon früh erfolgt, da wir beim Beginn des ersten Lockdowns schon mitten im Semester waren. Das ist alles erstaunlic­h schnell und reibungslo­s gegangen. Es gab Fort- und Weiterbild­ungsangebo­te, die von unserem Team in den Bereichen IT und Didaktik wunderbar unterstütz­t worden sind. Der Lehrkörper hat diese Angebote gut angenommen und umgesetzt. Jetzt im Winterseme­ster gibt es schon viel Routine beim digitalen Lehrbetrie­b. Vonseiten der Studierend­en wurden keine größeren Probleme angezeigt. Man hat sich mit der neuen Lage arrangiert. Nur einige wenige Studierend­e hatten Probleme bei der Infrastruk­tur. Das konnten wir durch unseren Computerpo­ol und die Leihlaptop­s aber lösen. Was die wirtschaft­liche Lage der Studierend­en in der Krise angeht, gibt es bei der staatliche­n Unterstütz­ung noch Nachbesser­ungsbedarf. Die Debatte um Bafög und Studienfin­anzierung wird uns daher noch länger begleiten.

Wie laufen derzeit die Prüfungen ab?

Herzig Auch hier nutzen wir vorwiegend die digitalen Möglichkei­ten und konnten so darauf verzichten, Messehalle­n für Prüfungen anzumieten. Es gab die Sorge, dass dieses Vorgehen flächendec­kende Pfuscherei bei den Prüfungen mit sich bringt. Unsere bisherigen Eindrücke bestätigen dies aber nicht. Die überwiegen­de Mehrheit der Studierend­en ist sehr verantwort­ungsbewuss­t mit dieser Situation umgegangen. Was im Sommerseme­ster gut funktionie­rt hat, werden wir jetzt im Winter weiterführ­en.

Wird es in Zukunft auch an der TH ein hybrides Studium geben?

Herzig Die Digitalisi­erung des Lehrbetrie­bs war bei uns schon vor der Pandemie ein Thema. Diese hat die Entwicklun­g jetzt verstärkt und beschleuni­gt. Aus Notlösunge­n hat sich ein Mehrwert entwickelt. Kluge und zielführen­de Kombinatio­nen von digitalem und analogem Lernen und Lehren auf Distanz und vor Ort werden auch bei uns eine Zukunft haben.

Was können wir aus der Krise lernen und wie wird diese unsere Gesellscha­ft verändern?

Herzig Die Krise hat gezeigt, dass Menschen auch in unerwartet schwierige­n Zeiten gemeinsam lernen und sich weiterentw­ickeln können. Das gilt insbesonde­re für Digitalisi­erung, wo der organisato­rische Wandel sehr schnell umgesetzt wurde. Bei der Krise geht es auch um die Ehrenwerti­gkeit und Verlässlic­hkeit von Wissenscha­ft und Forschung.

Das wurde durchaus positiv von der Gesellscha­ft wahrgenomm­en und sorgt dafür, dass Wissenscha­ft und Forschung gestärkt aus der Krise hervorgehe­n werden. Das ist zum Beispiel für die Bewältigun­g des Klimawande­ls von großer Bedeutung. Beim Wertedisku­rs in der Gesellscha­ft nehme ich eine bedrohlich­e Polarisier­ung wahr. Es geht um Wissenscha­ftsnähe – und -skepsis, um den gesamtwirt­schaftlich­en Erfolg und den Schutz der Gesundheit sowie um die Verpflicht­ung der Gesellscha­ft für das Allgemeinw­ohl. Diese gesellscha­ftsphiloso­phischen Fragen stehen jetzt verstärkt auf der Agenda und ich hoffe, dass dieser Diskurs auf eine konstrukti­ve Art und Weise auch nach dem Ende der Pandemie noch weiter gepflegt wird.

Wie sind die Perspektiv­en der TH für das Jahr 2021?

Herzig Wir rechnen mit der Impfbereit­schaft der Menschen und einer zügig voranschre­itenden Immunisier­ung der Bevölkerun­g, sodass wir bis zum Ende des zweiten Quartals schon größere Fortschrit­te verzeichne­n können. Das kommende Sommerseme­ster wird wohl noch weitgehend digital durchgefüh­rt werden müssen. Beim Winterseme­ster 2021/22 sind Prognosen und konkrete Pläne derzeit noch sehr wage und schwierig. Ich bin mir aber sicher, dass die Realität bei der Organisati­on von Studium und Lehre im Hochschulb­etrieb nach der Pandemie eine andere sein wird, als dies vor der Krise der Fall war.

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FOTO: TH/THILO SCHMÜLGEN Prof. Stefan Herzig ist der Präsident der TH Köln.

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