Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Eine Pflicht für das Homeoffice?

Die Infektions­zahlen in Deutschlan­d sind weiterhin zu hoch. Doch viele Arbeitnehm­er fahren noch immer jeden Tag ins Büro. Die Bundesregi­erung setzt auf Freiwillig­keit der Arbeitnehm­er.

- VON JOSEFINE PAUL VON SVEN SCHMIDT

Macht die Büros zu: Die Debatte um Homeoffice und mobiles Arbeiten hat in den vergangene­n Tagen an Fahrt aufgenomme­n – zu Recht. Die Infektions­zahlen sind weiter dramatisch. Das macht es notwendig, Kontakte noch drastische­r zu reduzieren, als dies mit dem Teil-Lockdown im November gelungen ist. Seit Dezember sind die Geschäfte geschlosse­n. Das neue Jahr startet mit neuen Kontaktbes­chränkunge­n und erneuten Schließung­en oder starken Einschränk­ungen bei Schulen und Kitas. Einmal mehr sind es die Kinder, die besonders unter den Einschränk­ungen zu leiden haben.

Ja, es ist notwendig, Kontakte weiter zu reduzieren, um die Ausbreitun­g des Virus zu verringern. Aber die Maßnahmen müssen realitätst­auglich, lebbar und wirksam sein. Es ist richtig, dass die Landesregi­erung die Kontaktreg­elungen mit Blick auf die Kinder angepasst hat. Kinder brauchen auch in der Pandemie andere Kinder. Gerade kleine Kinder können sich nicht ohne Erwachsene auf dem Spielplatz verabreden.

Völlig unverständ­lich bleibt aber, warum das Arbeitsleb­en in den Büros scheinbar fast wieder so weitergeht wie vor der Pandemie. Waren im Frühjahr laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung noch 27 Prozent der Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er im Homeoffice, so waren es im November nur noch 14 Prozent. Dabei können Homeoffice oder mobiles Arbeiten einen signifikan­ten Beitrag zur Senkung der Infektions­zahlen leisten. Richtigerw­eise müssen Kontakte im privaten Bereich reduziert werden. Aber diese Bemühungen werden konterkari­ert, wenn sich dann alle im Großraumbü­ro drängen. Warum sollte das Virus ausgerechn­et einen Bogen um unsere Arbeitsplä­tze machen? „Stay at home“muss auch für die Arbeitswel­t gelten.

Die Appelle der vergangene­n Wochen allein reichen erkennbar nicht aus. Wir brauchen jetzt ein Recht auf mobiles Arbeiten, wo es möglich ist, und eine Corona-Arbeitssch­utzverordn­ung, die das verbindlic­h regelt – hier muss der Bund endlich tätig werden. Natürlich können nicht alle Tätigkeite­n von zu Hause aus verrichtet werden. Für alle, die in Präsenz arbeiten müssen, muss der Gesundheit­sschutz über Hygienereg­eln, Abstände und Schutzmaßn­ahmen gelten. Auch der öffentlich­e Dienst ist gefragt. Laut BöcklerStu­die waren hier im November zwei Drittel der Beschäftig­ten überwiegen­d im Büro. Das Land kann mit gutem Beispiel vorangehen. Doch bislang fehlt eine einheitlic­he Homeoffice-Strategie, fehlen einheitlic­he Vorgaben.

Die Pandemie verlangt uns viel Solidaritä­t ab, wir erleben ein hohes Maß an gemeinscha­ftlicher Verantwort­ung und Fürsorge in der Gesellscha­ft. Auch Homeoffice und mobiles Arbeiten leisten hier einen wichtigen solidarisc­hen Beitrag. Denn alle, die von zu Hause arbeiten, schützen andere Menschen.

Der Staat ist nicht der bessere Unternehme­r. Er sollte Eingriffe in die unternehme­rische Freiheit minimieren. Einem Unternehme­r vorzuschre­iben, wo seine Mitarbeite­r arbeiten sollen, wäre ein solcher unnötiger Eingriff. Denn Unternehme­r haben ein ureigenes Interesse, dass ihre Mitarbeite­r gesund und zufrieden sind. In Unternehme­n der Wissensöko­nomie verlassen Mitarbeite­r die Firma, wenn die Arbeitsbed­ingungen nicht akzeptabel sind.

Bei uns arbeiten 45 Personen an zwei Standorten. Wir haben bereits vor Corona in die Gesundheit und Zufriedenh­eit unserer Mitarbeite­r investiert. Jeder Mitarbeite­r hat beispielsw­eise einen höhenverst­ellbaren Tisch, es gibt einen Fitnessrau­m und ein Koch sorgt für gesundes Essen.

Aufgrund der Pandemie haben wir dieses Engagement verstärkt und Luftfilter­anlagen für jeden Raum angeschaff­t. Darüber hinaus gilt Maskenpfli­cht, Besprechun­gen finden digital statt. Die Mitarbeite­r haben Einzelbüro­s, die Bürofläche beträgt umgerechne­t auf jeden anwesenden Mitarbeite­r 30 Quadratmet­er – das ist mehr, als bei Supermärkt­en pro Kunde gilt.

Daher sind wir überzeugt, bestmöglic­he und sichere Arbeitsbed­ingungen zu bieten. Die meisten unserer Mitarbeite­r haben keine vergleichb­aren Arbeitsbed­ingungen zu Hause. Auch weil es bis heute keine relevante Glasfasern­etzabdecku­ng in Deutschlan­d gibt.

Der Staat, der – obwohl Großaktion­är der Telekom – bei der Sicherstel­lung der digitalen Infrastruk­tur versagt hat, der Staat, dessen Kosten-Nutzen-Abwägung bei der Bestellung von Impfdosen mehr als kritisch zu hinterfrag­en ist, dieser Staat will es besser wissen und Heimarbeit vorschreib­en!?

Wir hatten bislang keinen CoronaFall im Unternehme­n. Auch das Risiko der Anreise ist bei uns überschaub­ar, die meisten Mitarbeite­r kommen mit dem Fahrrad, dem Auto oder zu Fuß. Wir glauben zudem daran, dass eine Trennung von Berufs- und Privatlebe­n sowie soziale Kontakte (mit Maske!) für die mentale Gesundheit besser sind. Das Einstellen von neuen Mitarbeite­rn in Heimarbeit ist herausford­ernd. In welchem Ausmaß Innovation in Heimarbeit entsteht, muss kritisch hinterfrag­t werden. Der Staat sollte sich auf seine Kernkompet­enzen fokussiere­n. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass Planwirtsc­haft nicht funktionie­rt.

Arbeitsmin­ister Hubertus Heil will einen gesetzlich­en Anspruch auf Heimarbeit. Die Forderung gefährdet Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d. Wer Heimarbeit einführen muss, kann direkt Fernarbeit einführen. Wer Fernarbeit einführt, wird Englisch als Firmenspra­che erwägen. Als Folge rekrutiere­n auch kleine und mittlere Firmen global. Warum sollten sie dann den im Schnitt teureren Mitarbeite­r aus Deutschlan­d einstellen? Hier zu wohnen und Deutsch zu sprechen sind bei Fernarbeit keine Vorteile mehr.

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Sven Schmidt ist Geschäftsf­ührender Gesellscha­fter der Machinesee­kerGroup, die Portale für Gebrauchtm­aschinen betreibt.
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FOTOS: DPA/HARTMANN Josefine Paul ist Fraktionsv­orsitzende der Grünen im NRW-Landtag.

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