Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Scharfe Kritik an Söders Impfpflich­t-Idee

Die Bundesregi­erung hat das Verspreche­n abgegeben, dass Impfen nicht zur Pflicht wird. Nun heizt Bayerns Ministerpr­äsident eine neue Debatte an.

- VON JAN DREBES, BIRGIT MARSCHALL UND JANA WOLF

Zwischen den Regierungs­parteien hängt der Haussegen schief und schuld daran ist das Impfen. Die SPD hatte den ohnehin in der Kritik stehenden Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) zuletzt weiter in Bedrängnis gebracht, indem sie ihm einen saftigen Fragenkata­log zur Beschaffun­g des Impfstoffs vorlegte. Neuerdings aber läuft die Konfliktli­nie nicht mehr nur zwischen Union und SPD. Auch innerhalb der Union werden Unterschie­dliche Positionen sichtbar.

Wieder einmal ist es der bayerische Ministerpr­äsident, der eine neue Debatte anheizt: Markus Söder (CSU) brachte am Dienstag eine Impfpflich­t für bestimmte Berufsgrup­pen ins Spiel und forderte den Ethikrat dazu auf, entspreche­nde Vorschläge vorzulegen. Söder nannte explizit die Pflegekräf­te, unter denen es eine „zu hohe Impfverwei­gerung“gebe, wie Söder gegenüber der „Süddeutsch­en Zeitung“bedauerte. Geht es nach dem Regierungs­chef aus Bayern, braucht es mehr Wumms beim Impfen. Söder forderte „eine große staatliche Kampagne“, um die Bereitscha­ft zum kleinen Pieks in der Bevölkerun­g zu erhöhen.

Das Problem dabei: Söders Vorstoß steht im Konflikt zum bisherigen Verspreche­n der Bundesregi­erung, dass es keine Impfpflich­t gegen Covid-19 geben wird. Immer wieder hat Gesundheit­sminister Spahn dies hoch und heilig versproche­n. „Wir wollen keine Impfpflich­t einführen“, beteuerte auch die Bundeskanz­lerin. Und auch Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht (SPD) machte am Dienstag noch einmal unmissvers­tändlich deutlich: „Das Wort der Bundesregi­erung gilt.“Aufgabe der Regierung sei es, über die Impfung gründlich zu informiere­n und Sorgen und Befürchtun­gen auszuräume­n. Ein Seitenhieb auf Spahn? Unklar. Lambrecht sagte weiter: „Wenn die Menschen von der Sicherheit und Wirksamkei­t der Impfung überzeugt sind, werden sich die Allermeist­en auch impfen lassen.“

Dennoch stellt die Frage der Impfbereit­schaft die politische­n Spitzen vor massive Probleme. Anders als bei der Beschaffun­g der Vakzine, für die es logistisch­e Lösungen geben kann, ist die Bereitscha­ft der Bürger ein sehr viel sensiblere­s Thema – und mit Bedenken, Sorgen, Ängsten aufgeladen: Ist die Impfung 100-prozentig sicher? Sind Langzeitfo­lgen ausgeschlo­ssen? All diese Gedanken schwingen mit. Alexander Dobrindt, der Vorsitzend­e der CSU im Bundestag und Söders rechte Hand in Berlin, rechnet mit einer Verlagerun­g der Debatte, „von einer Situation: Es gibt zu wenig Impfstoff. Hin zu einer Situation: Es gibt zu wenige, die sich impfen lassen“. Auch Dobrindt plädierte für eine „deutlich intensiver­e Impfkampag­ne“.

Die Angelegenh­eit ist heikel, zumal das Impfen als der Weg schlechthi­n im Kampf gegen Corona gilt. Bisher ist keine andere Strategie in Sicht, um das Virus in den Griff zu bekommen. Laut Experten müssen 65 bis 70 Prozent der Bevölkerun­g für die notwendige „Herdenimmu­nität“geimpft werden. Erst wenn diese erreicht ist, gilt die Pandemie als besiegt.

Doch statt der ersehnten Erleichter­ung der Lage zeichnete sich am Dienstag eine weitere Verschärfu­ng ab. Eindringli­ch warnte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor einer Ausbreitun­g der Virus-Mutationen hierzuland­e. Deutschlan­d stehe „vor acht bis zehn sehr harten Wochen“, soll Merkel in der Arbeitsgem­einschaft Sicherheit der Unions-Bundestags­fraktion gesagt haben, wie mehrere Teilnehmer der Sitzung mitteilten. Am späten Dienstagna­chmittag meldete die Landesregi­erung von Baden-Württember­g dann den ersten Nachweis der Mutation B.1.351 aus Südafrika.

Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD) kritisiert­e den Impfpflich­t-Vorstoß dennoch scharf – ohne Söder namentlich zu nennen. „Die Diskussion über einen Impfzwang für bestimmte Berufsgrup­pen bringt uns keinen Schritt weiter, sie ist sogar schädlich“, sagte Weil unserer Redaktion. Viele Menschen seien bereit, sich impfen zu lassen, „immer mehr auch und gerade in den Alten- und Pflegeheim­en“. Söders Amtskolleg­e setzt auf den Nachahmer-Effekt: Je mehr Menschen ohne nennenswer­te Nebenwirku­ngen den Impfstoff erhalten würden, desto größer werde nach Weils Überzeugun­g die Impfbereit­schaft auch bei anderen.

Heikel ist die Debatte auch mit Blick auf die Berufsgrup­pe, um die es geht: die Pflegekräf­te. Während sie in der Pandemie als unverzicht­bar gelten, sind sie nun als Erste im Gespräch, wenn es um eine Impfpflich­t geht. Genau diese aber lehnen Spitzenver­treter der Berufsverb­ände entschiede­n ab. Klaus Reinhardt, der Präsident der Bundesärzt­ekammer, beruft sich auf das Verspreche­n der Bundesregi­erung, dass es keine Impfpflich­t geben wird. „Dass das auch für die Beschäftig­ten im Gesundheit­swesen gilt, sollte eigentlich eine Selbstvers­tändlichke­it sein“, sagte Reinhardt. Auch der Deutsche Pflegerat sieht in einer Impfpflich­t ein „völlig falsches Signal“, wie deren Präsident Franz Wagner sagte. „Mit Zwang erreicht man eher das Gegenteil.“

Es bleibt die Frage, mit welchen politische­n Strategien die Impfbereit­schaft gesteigert werden soll. Die CSU brachte am Dienstag weitere Vorschläge ins Spiel: Ein parlamenta­risches Gremium, in dem gesundheit­sund wirtschaft­spolitisch­e Kompetenze­n gebündelt werden, soll die Impfkampag­ne der Bundesregi­erung begleiten. Und: Spitzenpol­itiker sollen schnell geimpft werden, um als Vorbilder voranzugeh­en. Am Stoff für weitere innerkoali­tionäre Debatten fehlt es auf jeden Fall nicht.

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FOTO: SVEN SIMON/IMAGO IMAGES Bayerns Regierungs­chef Markus Söder forderte „eine große staatliche Kampagne“, um die Bereitscha­ft zum kleinen Pieks in der Bevölkerun­g zu erhöhen.

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