Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Was in der Modebranche schiefläuft
Der Insolvenzantrag der Adler-Kette ist nur ein Symptom. Daran ist nicht allein die Corona-Pandemie Schuld.
„Die erneute corona-bedingte Schließung fast aller Standorte hat uns leider keine andere Wahl gelassen.“Die Begründung von Adler-Chef Thomas Freude für den am Montag gestellten Insolvenzantrag der Modekette klingt so wie die anderer Branchenunternehmen, die in der Pandemie zum Insolvenzrichter gingen. Esprit, Galeria Karstadt Kaufhof, Sinn, Appelrath Cüpper – die Liste wird immer länger, und es ist noch kein Ende in Sicht, weil niemand sagen kann, wann die Geschäfte wieder öffnen dürfen.
Natürlich hat der Lockdown mit den erzwungenen Ladenschließungen die Unternehmen einen großen Teil ihres Geschäfts gekostet. „Historische Umsatzeinbußen“sieht der Branchenvervand BTE. Die Krise ist auch der maßgebliche Grund dafür, dass etwa im Vorjahr 58 Prozent weniger Anzüge verkauft wurden als 2019. Businesskleidung braucht halt kaum jemand im Homeoffice.
Aber es wäre falsch, die Pandemie und ihre Folgen allein für die Misere mancher Unternehmen verantwortlich zu machen. „Das Konzept hat sich teilweise überlebt“, sagt der Mönchengladbacher Handelsexperte Gerrit Heinemann und stellt für Adler eine düstere Prognose: „Jetzt wird wieder an den Kosten gespart, und vermutlich wird ein Drittel der Filialen verschwinden. Aber ich bezweifle, dass das reichen wird.“Ein Drittel der Filialen würde bedeuten, dass in Deutschland, Österreich und der Schweiz mehr als 50 Niederlassungen zumachen würden, die allermeisten davon hierzulande.
Was kann man anders machen? Eine aktuelle Studie der Unternehmensberatungsgesellschaft PwC Deutschland verweist beispielsweise auf Ketten wie Zara, H&M und Primark, die mit „Fast Fashion“gepunktet haben. Der Begriff steht für laufende Veränderung von Sortimenten, kürzere Zyklen der Kollektionen, schnell wechselnde Designs. „Diese Unternehmen haben schneller auf das sich verändernde Kundenverhalten
reagiert“, sagt Patrick Ziechmann, einer der beiden Autoren der PwC-Studie. Dann seien da noch Discounter wie Kik und Takko, die vor allem über den Preis punkteten, Edel-Anbieter und natürlich die Online-Riesen à la Zalando.
Zwischen diesen Gruppen droht eine Gruppe von klassischen Mittelständlern zerrieben zu werden – es sei denn, sie stellen sich neu auf. Was sie sich darunter vorstellen, bezeichnen die Pwc-Autoren Ziechmann und Stefan Schwertel als „einzigartiges, nahtloses Einkaufskonzept“oder auch „inspirierende, reibungslose Customer Journey“(Customer heißt Kunde, Journey so viel wie Reise, Route oder Weg). Dazu gehört aus ihrer Sicht in Zeiten immer stärker und schneller wachsenden Online-Handels natürlich ein entsprechender Auftritt im Netz, der aber auch sehr spezifische Features haben kann – 360-Grad-Bilder, Videos, Beratung zum Beispiel durch Chatbots, bis hin zu Unterstützung durch Augmented Reality, in denen der Kunde
vorempfinden kann, wie er in dem entsprechenden Kleidungsstück aussieht. Dazu Vermarktung über digitale Werbekanäle, Social Media, Influencer Marketing und Content Management. „ Außerdem müssen sich mehrere kleinere Händler in Kooperationen zusammentun, beispielsweise eine ganze
Straße unter einer Adresse“, glaubt Ziechmann. Droht das Ladenlokal dann nicht zur reinen Abholstation zu werden? „Für attraktive Handelsangebote in den Innenstädten sind nicht nur die Händler verantwortlich. Es muss attraktive Innenstädte geben, auch durch Stadtfeste und andere Events, mit denen man ein Einkaufserlebnis verbinden kann“, sagt Mitautor Schwertel.
So könnte also der Modehandel der Zukunft – bei manchen ist er vielleicht schon Gegenwart – aussehen. Ob Unternehmen wie Adler das noch hinbekommen, daran haben die Experten Zweifel. „Adler hat das Onlinegeschäft bisher nur halbherzig betrieben, aber halbherzig geht das eben nicht“, meint Heinemann. Das Unternehmen schrieb schon 2019 rote Zahlen. Kurzarbeit und neue, teilweise durch Landesbürgschaften aus NRW und Bayern unterlegte Kreditvereinbarungen mit den Banken verschafften dem Unternehmen zwischenzeitlich Luft zum Atmen. Aber nach dem zweiten Lockdown wurde die Luft zu dünn.