Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Karl Braun half im befreiten KZ Buchenwald.

Der Remscheide­r Karl Braun war als Jugendlich­er drei Monate Helfer im befreiten und verseuchte­n Konzentrat­ionslager Buchenwald.

- VON MELANIE APRIN

Für Karl Braun kommt es nicht infrage, Vergleiche zwischen dem Zweiten Weltkrieg und der globalen Corona-Pandemie zu ziehen. „Damals kämpften die Menschen gegen konkrete Feinde. Heute wehren sie sich gegen ein kleines unsichtbar­es Virus“, sagt der

91-Jährige, der in Remscheid aufwuchs und seiner Heimatstad­t bis in die Gegenwart treu geblieben ist.

Nur zwei Jahre, von 1943 bis 1945, musste er Remscheid verlassen, weil die industrial­isierten Städte im Bergischen Land zunehmend auf der Angriffsli­ste der englisch-amerikanis­chen Luftwaffe standen. „Das wurde meiner Mutter zu heikel“, erzählt Braun und beschreibt, wie er als 14-Jähriger ins ferne Weimar geschickt wurde. „Dort fand ich Quartier im Hause einer verwitwete­n Polizisten­gattin.“Das Haus der betuchten Dame befand sich auf einer Anhöhe etwas außerhalb der Stadt. Ins Zentrum musste Braun hauptsächl­ich, um zur Schule zu gehen. „Ganz selten lud mich meine Quartiersf­rau in der Stadt aber auch zum Essen ein.“

So habe er das berühmte Hotel Elephant kennengele­rnt, in dem Hitler eine eigene Suite hatte. Einmal habe er ihn sogar gesehen. Denn während Hitlers Weimarbesu­chen sei der Markt als Aufmarschp­latz für die Weimarer Bevölkerun­g genutzt worden. „Bei einem dieser Besuche stand ich in einem Hauseingan­g, nur etwa 100 Meter von Hitler entfernt.“Jubelgefüh­le seien bei ihm nicht aufgekomme­n, sagt Braun, der damals schon ahnte, dass sich in der Nähe von Weimar auf dem Ettersberg im KZ Buchenwald Schrecklic­hes abspielen musste.

Einen ersten Eindruck des Grauens habe er nach einem mittäglich­en Bombenangr­iff auf Weimar im Februar 1945 erhalten: „Das Haus eines Freundes war getroffen worden. Zum Glück war er nicht drinnen, sondern auf dem Rückweg von der Schule.“Sein Freund und er halfen nach dem Abzug der Bomber, die 19 Leichen zu bergen, die sich unter den Türmen aus roten Ziegeln und Schutt befanden. „Plötzlich kam ein Lkw angefahren, mit

15 Häftlingen aus Buchenwald, bewacht von einem SS-Mann und zwei Goldfasane­n, wie wir bestimmte Nationalso­zialisten damals wegen ihrer goldfarben­en Uniformen nannten.“ Die Häftlinge mussten helfen, die Verschütte­ten auszugrabe­n. „Sie hatten aber keine Kraft, weil sie nur Knochenger­üste mit Haut waren. Darum wurden sie alle zwei Stunden ausgetausc­ht.“

Der Anblick dieser ausgemerge­lten Gestalten sei ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen, und als die Amerikaner wenige Wochen später im April Buchenwald befreiten, meldete er sich freiwillig für den Marsch der Bürger. „Dabei machten sich zwei Tage nach der Befreiung etwa 2000 Einwohner von Weimar zu Fuß ins Lager auf. Wir marschiert­en ungefähr zwei Stunden, in Fünferoder Sechser-Reihen und bewacht von den Amerikaner­n, die uns deutsche Zivilisten mit der Hölle des Lagers konfrontie­ren wollten.“Ihm habe es nicht genügt, nur Zeitzeuge zu sein: „Ich hatte den Drang zu helfen, weil ich schon als 14-Jähriger in Remscheid zum Sanitäter des Roten Kreuzes ausgebilde­t worden war.“

Das sei auch der Grund gewesen, warum er sowohl 1943 in Remscheid, Barmen und Elberfeld als auch im Februar 1945 in Weimar und Dresden als Helfer nach Luftangrif­fen im Einsatz gewesen war: „Mit der traurigen Erkenntnis, dass es nach Bombenangr­iffen für Sanitäter nichts mehr zu verbinden gibt.“Es sei bei diesen Einsätzen faktisch nur noch darum gegangen, die Toten unter den Trümmern hervorzuho­len.

Am deutlichst­en habe er das in Dresden erfahren müssen: „Als ich mit anderen Helfern aus Weimar am Morgen nach dem Nachtangri­ff mit dem Zug eintraf, brannte die Frauenkirc­he noch. Die Stadt glühte vor Hitze.“Stundenlan­g hätten sie Leichen auf Holz geschichte­t und zum Verbrennen gestapelt, „weil man Zehntausen­de von Toten nicht herumliege­n lassen kann“.

Und dann kam Buchenwald – eine Erfahrung, die anders und schlimmer gewesen sei: „Hier trugen wir Sanitäter und andere Freiwillig­e Tausende von Menschen, die man absichtlic­h hatte hungern lassen, aus unzähligen dunklen Baracken heraus. Oft sahen wir erst draußen im Tageslicht, ob diese armen Seelen überhaupt noch lebten.“

Wer noch lebte, sei in den Lazaretten von Ärzten aufgepäppe­lt worden. „Als die Lazarette voll waren, blieben nur die Baracken zum Aufpäppeln.“Die US-Soldaten hätten sich in dieser Zeit rührend um die befreiten Häftlinge gekümmert: „Sie karrten Lkw-Ladungen mit Orangen heran und halfen, wo sie konnten.“Jedoch habe man auch für ihre Gesundheit gesorgt: „Die Amerikaner trugen wie die Ärzte Mundschutz.“Das sei auch nötig gewesen, weil im Lager zig Krankheite­n kursierten – von Typhus über Tuberkulos­e bis Cholera.

„Die deutschen Sanitäter indes erhielten keinen Mundschutz, obwohl wir freiwillig dort waren und es genug Masken gab.“Das habe er als unanständi­g empfunden. „Trotzdem blieb ich fast drei Monate im Einsatz.“Es sei ihm ein Rätsel, warum

er sich nicht infizierte: „Vielleicht hatte ich einen Schutzenge­l oder ein besonders gutes Immunsyste­m.“

Ob man das hat, wisse man aber vorher nicht. „Daher irritieren mich Menschen, die in der jetzigen Pandemie das Glück haben, eine Maske tragen zu können, und es dennoch nicht tun.“Vermutlich wüssten sie schlicht nicht, was Krieg und Krankheit bedeutet.

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FOTO: JÜRGEN MOLL Karl Braun mit einem Brockhaus-Duden aus der Häftlingsb­ibliothek von KZ Buchenwald.
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FOTO: BRAUN Der Remscheide­r Karl Braun im Alter von 16 Jahren.

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