Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Merz und sein Minister-Manöver

Nach seiner Niederlage gegen Armin Laschet verzichtet Friedrich Merz auf eine Präsidiums­kandidatur – und möchte stattdesse­n das Bundeswirt­schaftsmin­isterium übernehmen. Die Kanzlerin lehnte das prompt ab.

- VON GREGOR MAYNTZ UND KERSTIN MÜNSTERMAN­N

Die Wahl ist entschiede­n. Armin Laschet wird der neunte CDU-Chef. Doch eine für den künftigen Wahlerfolg der Union nicht minder wichtige Frage bleibt vorerst offen: Was macht das mit Ex-Unionsfrak­tionschef Friedrich Merz und seinen Anhängern? 2002 musste er Angela Merkel weichen, 2018 Annegret-Kramp-Karrenbaue­r, 2021 nun Armin Laschet. Das sind drei kräftige Nackenschl­äge. Sie fallen umso schmerzhaf­ter aus, als die Erwartungs­haltung unter seinen Anhängern (und besonders bei ihm selbst) eine gänzlich andere war. In das Rennen um die Merkel-Nachfolge ging er als Umfragesie­ger, in das Rennen um die AKK-Nachfolge ebenfalls. Im Ziel lag er vor gut zwei Jahren mit 48 Prozent hinten, jetzt mit 47 Prozent. Er hat es also in der Hand, diese faktische Spaltung der CDU in zwei Lager und zwei Richtungen weiter zu pflegen – oder zu beenden.

Doch er ergreift diese Chance nicht. Im Gegenteil. Während der dritte Kandidat Norbert Röttgen für das Präsidium der Partei kandidiert und wenig später gewählt ist, vollzieht Merz eine Seitwärtsb­ewegung in zwei Schritten. Zunächst verzichtet er auf eine Präsidiums­kandidatur. Er begründet das damit, dass es schon zu viele Bewerber aus NRW gebe und dann zu wenig Frauen an die CDU-Spitze gewählt würden. Er hat etwas anderes im Sinn:

„Dem neuen Parteivors­itzenden Armin Laschet habe ich angeboten, in die jetzige Bundesregi­erung einzutrete­n und das Bundeswirt­schaftsmin­isterium zu übernehmen“, twittert er am Samstagmit­tag. Vermutlich rechnet er selbst nicht damit, dass Kanzlerin Angela Merkel, die die Minister ihrer Regierung vorzuschla­gen hat, ihn umgehend ins Kanzleramt bitten würde. Doch er setzt alles auf eine Karte. Merkel zögert keine Sekunde. Sie lässt ihren Regierungs­sprecher umgehend mitteilen, dass keine Kabinettsu­mbildung geplant sei. Ende der Debatte. Wer Merkel und ihre persönlich­e Beziehung zu Friedrich Merz etwas kennt, dürfte sich über diese umgehende Absage nicht gewundert haben. Die Vorstellun­g, dass Merkel Merz auf den letzten Metern mitten in der Krise an ihrem Kabinettst­isch Platz nehmen lässt – dafür braucht es sehr viel Fantasie.

Natürlich kommt es bei Kabinettsp­osten auch auf die Parteien an. Wenn der CSU-Vorsitzend­e Markus Söder verkünden würde, dass er Innenminis­ter Horst Seehofer, Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer oder Entwicklun­gsminister Gerd Müller durch andere CSU-Persönlich­keiten auszutausc­hen gedenke, würde Merkel den Bundespräs­identen bitten, die Entlassung­sund Ernennungs­urkunden auszuferti­gen. Auch der SPD redet die Kanzlerin nicht rein, wenn sie ihre Minister ersetzen will. Und so verhält es sich im Prinzip auch bei der CDU. In ihrem Koalitions­vertrag haben die drei Parteien vereinbart, welche Partei welche Ministerie­n besetzt. Merz weiß das – und hat somit bewusst Laschet sofort unter Zugzwang gesetzt.

Muss Laschet zeigen, dass er ein durchsetzu­ngsfähiger, dynamische­r und erneuerung­swilliger Parteichef ist, der dem Umstand Rechnung trägt, dass ein in Umfragen hoch gehandelte­r Wirtschaft­sexperte Merz den Schwung des CDU-Parteitags in die Regierung trägt? Oder riskiert er den Eindruck, sich den Vorstellun­gen von Merkel zu fügen, obwohl er jetzt als Parteichef mit das Sagen darüber hat, was in der Politik der Koalition zu passieren hat? Es ist eine Zwickmühle.

Laschet reagiert gelassen. Er habe Merz einen Posten im Präsidium angeboten, den habe dieser abgelehnt. Über Ministerpo­sten werde derzeit nicht entschiede­n. Unterstütz­ung bekommt Laschet aus Bayern. Söder betont zwar, er wünsche sich, dass Merz im Team bleibe, kommentier­t den Kabinettsv­orschlag allerdings damit, dass sich alle einig sein, „dass wir keine Veränderun­g brauchen“.

Merz war seit seinem Rückzug aus der ersten Reihe der Politik im Jahr 2004 immer wieder angekreide­t worden, sich nicht für verantwort­ungsvolle Jobs bereitzufi­nden, sondern in die Privatwirt­schaft gewechselt zu sein. Mit Unverständ­nis reagierten viele seiner Parteifreu­nde darauf, dass er sich auch nach seiner Niederlage gegen „AKK“nicht an sichtbarer Stelle hatte einbinden lassen. „Nicht schon wieder“, war daher die erste Reaktion, als Merz auf eine wichtige Rolle in der Partei verzichtet­e und es „vergaß“, Laschet seine Unterstütz­ung zuzusicher­n. Mit seinem Minister-Manöver hat er gezeigt, dass er bereit ist, Verantwort­ung zu übernehmen. Allerdings nur in einem Amt, das mit persönlich­er Macht verbunden ist.

In seiner Bewerbungs­rede hatte er am Samstag noch gesagt, dass er in die CDU eingetrete­n sei und nicht in eine „Vermittlun­gsagentur“für Regierungs­ämter. Dieser Satz wirkt nach seiner Offerte als bloßes Lippenbeke­nntnis. Merz’ Unterstütz­er, darunter auch Fraktionsv­ize Carsten Linnemann, hatten Merz kurz vor der Präsidiums­wahl öffentlich geraten, ins Präsidium der Partei einzusteig­en. Wie man es auch dreht und wendet: Das Präsidium wäre der rechte Ort gewesen, um seine Themen Wirtschaft und Sicherheit in der Partei voranzutre­iben.

Für Laschet bleibt der Samstag deshalb nicht nur der Tag des Triumphes und des Endes aller aktuellen innerparte­ilichen Probleme. Er hat ein neues und nicht eben kleines, das sich auswachsen kann. Das Merz-Lager könnte es für Laschet zum Test machen, wieviel ihm wirklich an der Einheit der Union und der Einbindung der Unterlegen­en gelegen ist. Merz hat mit seinem Manöver nicht nur die Kanzlerin herausgefo­rdert, sondern auch den neuen CDU-Chef. Es könnte allerdings auch sein letztes politische­s Manöver gewesen sein.

Merz hat es in der Hand, die Spaltung der CDU weiter zu pflegen – oder zu beenden

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