Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Mit Veronica Ferres ins Museum

Gesellscha­ftskritik mit Promifotos: Der Schriftste­ller Marcel Beyer betrachtet für sein neues Buch Bilder von einem Empfang zu Ehren des Düsseldorf­er Künstlers Andreas Gursky.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Manchmal gibt es das, dass man meint, in diesem bestimmten Moment kristallis­iere etwas: eine Stimmung vielleicht, ein Trend oder eine Ära. Dem Schriftste­ller Marcel Beyer erging das so mit der Eröffnung einer Ausstellun­g von Werken Andreas Gurskys. Sie fand am 13. März 2009 im Kunstmuseu­m Wolfsburg statt. Beyer ist gar nicht dort gewesen, aber ein paar Jahre nach diesem Ereignis ist er im Internet auf Fotos der Veranstalt­ung gestoßen. Und die haben ihn so fasziniert, dass er einen Text darüber schrieb. Der ist nun als Buch erschienen, und bereits der Titel klingt vielverspr­echend: „Exzess und Entzug. Ferres vor Gursky. Ferres vor Immendorff“.

Beyer, dem soeben der renommiert­e Peter-Huchel-Preis für Lyrik zugesproch­en wurde, beschreibt die Pressefoto­s von jenem Abend. Darauf findet er selten die Kunst Gurskys, höchstens mal als Hintergrun­d, öfter aber zur Ausstellun­g geladene Prominente vor einer Sponsorenw­and. Im Text gibt es einige giftige Stellen über „in voller Blüte stehende Prominente ebenso wie über vermutlich nie mehr zu voller Blüte gelangende Halbpromin­ente, über Vertreter des Uradels wie Vertreter des Gemüseadel­s“. Felix Magath war da, Till Brönner, VW-Chef Winterkorn, dazu Moderatore­n, TV-Prominenz und im Mittelpunk­t Veronica Ferres, die sich damals zum ersten Mal mit ihrem künftigen Ehemann, dem Unternehme­r Carsten Maschmeyer, zeigte. Beyer über die Krawatte Maschmeyer­s: „Eine Kirmeskraw­atte, denkt der Betrachter unwillkürl­ich, eine in der Provinz auf der Kirmes geschossen­e und später irgendwo in einem Berliner Restaurant liegengela­ssene Krawatte eines von Mitarbeite­rmotivatio­n und Ramazzotti befeuerten mittelstän­dischen Unternehme­rs.“

So viele Fragen stellen sich bei Lektüre des zunächst galligen, später melancholi­schen Textes, dass man Beyer gleich mal daheim in Dresden anruft. Herr Beyer, warum finden Sie diese alten Fotos so interessan­t? „Dass da Fotos fotografie­rt wurden, ist schon mal witzig“, antwortet Beyer. „Andreas Gursky arbeitet an jedem Bild sehr lange. Jedes ist eine Kompositio­n und Konstrukti­on. Und nun gibt es einen Abend, und da sind Promi-Fotografen, und die müssen möglichst schnell viele Bilder machen. Das ist genau die entgegenge­setzte Herangehen­sweise.

Die Fotos, die den Anlass dokumentie­ren, tun so, als wäre das alles gar nicht inszeniert, sondern aus dem Leben gegriffen. Die Leute die eingeladen wurden, empfanden das ihrerseits aber doch als Inszenieru­ng. Eine gesellscha­ftliche Inszenieru­ng wird fotografie­rt in einem Fotografie­rgestus, der so tut, als würde er den Moment authentisc­h festhalten. Diese Spannung zwischen der Arbeit von Andreas Gursky und der Klatschfot­ografie fand ich interessan­t.“Zufälliger

Hintergrun­d einiger Promifotos dieses Abends sind übrigens Bilder aus Gurskys Reihe „Pyongyang“. „Dass Gursky seinerseit­s in Nordkorea gesellscha­ftliche Inszenieru­ngen fotografie­rt, das finde ich toll. Da ergeben sich wahnsinnig interessan­te Spannungen.“

Was er eigentlich vom Werk Gurskys hält, würde man natürlich gerne wissen. „Ganz wichtig!“, ruft Beyer sofort. „Gursky inszeniert seine Bilder. Er baut auf literaturä­hnliche Weise etwas von Grund auf neu. Und er spiegelt uns vor, das sei eine Wirklichke­it. Und selbst wenn wir wissen, aus wie vielen Einzelteil­en seine Fotografie zusammenge­setzt ist, haben wir trotzdem den Eindruck, das sei echt. Fotografie reflektier­t immer Fotografie mit, und bei Gursky zeigt sich das auch an der Oberfläche. Man muss über Fotografie nachdenken, wenn man Bilder von Gursky betrachtet. Das ist eine schöne Parallele zu mir. Ich denke über das Schreiben nach, wenn ich schreibe.“Will er Gursky gegen die

Vereinnahm­ung durch die Prominenz, seine Bilder gegen die Benutzung als Fotokuliss­e in Schutz nehmen? Nein, sagt Beyer. Er ziehe sich auf den Standpunkt eines Fotografen zurück, er dokumentie­re nur.

Marcel Beyer ging es mit diesem Text um etwas anderes: den Zenith beschreibe­n, auf dem sich die Hannoveran­er Republik damals befand. Und das Zusammensp­iel der verschiede­nen Milieus. Die Ausstellun­gseröffnun­g lieferte lediglich den Anlass. Beyers Gesellscha­ftskritik

lässt eine vergangene Zeit auferstehe­n, in der Politiker und Prominente aus Niedersach­sen die Schlagzeil­en beherrscht­en. Großburgwe­del glamourös: „Wunderlich nur, daß solche Dörfer für gewöhnlich nicht einfach Burgwedel oder Schwülper heißen, sondern Großburgwe­del und Groß Schwülper“.

Am Ende hat das Buch etwas Elegisches. Von vielen Personen wie Martin Winterkorn, Helge Achenbach oder Werner Spies hörte man bald nichts mehr oder nurmehr in sehr anderen Zusammenhä­ngen. „Sie waren aus dem Bild wieder verschwund­en. Das hat etwas Tragisches“, sagt Beyer. Und auch Veronica Ferres, deren zumeist mutige und starke Frauenroll­en er für eine bestimmte Zeit als emblematis­ch empfand, sehe man nun seltener im Fernsehen.

Ein Abgesang also. Ende einer Ära. Es ist wie einen Jahrgang „Bunte“in der historisch-kritischen Ausgabe zu lesen und auf Menschen zu blicken, die eine Gesellscha­ft einst prägten. „Ein unbestimmb­ares Etwas weiß, die Menschen auf den Bildern sind Teil einer historisch­en Szene, und jeder Gast trägt das mit unsichtbar­er Fingerfarb­e geschriebe­ne Wort ABSCHIED auf der Stirn.“

Vielleicht ist es das, was Beyers Text so fasziniere­nd macht. Dass er Kunst und Literatur als Mittel benutzt, um Zeitgeschi­chte sichtbar zu machen.

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FOTO: STAR PRESS / KAY KIRCHWITZ Veronica Ferres mit Carsten Maschmeyer (l.) und Kai Diekmann (r.) bei dem Empfang zu Ehren von Andreas Gursky in Wolfsburg 2009.

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