Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Mit Veronica Ferres ins Museum
Gesellschaftskritik mit Promifotos: Der Schriftsteller Marcel Beyer betrachtet für sein neues Buch Bilder von einem Empfang zu Ehren des Düsseldorfer Künstlers Andreas Gursky.
Manchmal gibt es das, dass man meint, in diesem bestimmten Moment kristallisiere etwas: eine Stimmung vielleicht, ein Trend oder eine Ära. Dem Schriftsteller Marcel Beyer erging das so mit der Eröffnung einer Ausstellung von Werken Andreas Gurskys. Sie fand am 13. März 2009 im Kunstmuseum Wolfsburg statt. Beyer ist gar nicht dort gewesen, aber ein paar Jahre nach diesem Ereignis ist er im Internet auf Fotos der Veranstaltung gestoßen. Und die haben ihn so fasziniert, dass er einen Text darüber schrieb. Der ist nun als Buch erschienen, und bereits der Titel klingt vielversprechend: „Exzess und Entzug. Ferres vor Gursky. Ferres vor Immendorff“.
Beyer, dem soeben der renommierte Peter-Huchel-Preis für Lyrik zugesprochen wurde, beschreibt die Pressefotos von jenem Abend. Darauf findet er selten die Kunst Gurskys, höchstens mal als Hintergrund, öfter aber zur Ausstellung geladene Prominente vor einer Sponsorenwand. Im Text gibt es einige giftige Stellen über „in voller Blüte stehende Prominente ebenso wie über vermutlich nie mehr zu voller Blüte gelangende Halbprominente, über Vertreter des Uradels wie Vertreter des Gemüseadels“. Felix Magath war da, Till Brönner, VW-Chef Winterkorn, dazu Moderatoren, TV-Prominenz und im Mittelpunkt Veronica Ferres, die sich damals zum ersten Mal mit ihrem künftigen Ehemann, dem Unternehmer Carsten Maschmeyer, zeigte. Beyer über die Krawatte Maschmeyers: „Eine Kirmeskrawatte, denkt der Betrachter unwillkürlich, eine in der Provinz auf der Kirmes geschossene und später irgendwo in einem Berliner Restaurant liegengelassene Krawatte eines von Mitarbeitermotivation und Ramazzotti befeuerten mittelständischen Unternehmers.“
So viele Fragen stellen sich bei Lektüre des zunächst galligen, später melancholischen Textes, dass man Beyer gleich mal daheim in Dresden anruft. Herr Beyer, warum finden Sie diese alten Fotos so interessant? „Dass da Fotos fotografiert wurden, ist schon mal witzig“, antwortet Beyer. „Andreas Gursky arbeitet an jedem Bild sehr lange. Jedes ist eine Komposition und Konstruktion. Und nun gibt es einen Abend, und da sind Promi-Fotografen, und die müssen möglichst schnell viele Bilder machen. Das ist genau die entgegengesetzte Herangehensweise.
Die Fotos, die den Anlass dokumentieren, tun so, als wäre das alles gar nicht inszeniert, sondern aus dem Leben gegriffen. Die Leute die eingeladen wurden, empfanden das ihrerseits aber doch als Inszenierung. Eine gesellschaftliche Inszenierung wird fotografiert in einem Fotografiergestus, der so tut, als würde er den Moment authentisch festhalten. Diese Spannung zwischen der Arbeit von Andreas Gursky und der Klatschfotografie fand ich interessant.“Zufälliger
Hintergrund einiger Promifotos dieses Abends sind übrigens Bilder aus Gurskys Reihe „Pyongyang“. „Dass Gursky seinerseits in Nordkorea gesellschaftliche Inszenierungen fotografiert, das finde ich toll. Da ergeben sich wahnsinnig interessante Spannungen.“
Was er eigentlich vom Werk Gurskys hält, würde man natürlich gerne wissen. „Ganz wichtig!“, ruft Beyer sofort. „Gursky inszeniert seine Bilder. Er baut auf literaturähnliche Weise etwas von Grund auf neu. Und er spiegelt uns vor, das sei eine Wirklichkeit. Und selbst wenn wir wissen, aus wie vielen Einzelteilen seine Fotografie zusammengesetzt ist, haben wir trotzdem den Eindruck, das sei echt. Fotografie reflektiert immer Fotografie mit, und bei Gursky zeigt sich das auch an der Oberfläche. Man muss über Fotografie nachdenken, wenn man Bilder von Gursky betrachtet. Das ist eine schöne Parallele zu mir. Ich denke über das Schreiben nach, wenn ich schreibe.“Will er Gursky gegen die
Vereinnahmung durch die Prominenz, seine Bilder gegen die Benutzung als Fotokulisse in Schutz nehmen? Nein, sagt Beyer. Er ziehe sich auf den Standpunkt eines Fotografen zurück, er dokumentiere nur.
Marcel Beyer ging es mit diesem Text um etwas anderes: den Zenith beschreiben, auf dem sich die Hannoveraner Republik damals befand. Und das Zusammenspiel der verschiedenen Milieus. Die Ausstellungseröffnung lieferte lediglich den Anlass. Beyers Gesellschaftskritik
lässt eine vergangene Zeit auferstehen, in der Politiker und Prominente aus Niedersachsen die Schlagzeilen beherrschten. Großburgwedel glamourös: „Wunderlich nur, daß solche Dörfer für gewöhnlich nicht einfach Burgwedel oder Schwülper heißen, sondern Großburgwedel und Groß Schwülper“.
Am Ende hat das Buch etwas Elegisches. Von vielen Personen wie Martin Winterkorn, Helge Achenbach oder Werner Spies hörte man bald nichts mehr oder nurmehr in sehr anderen Zusammenhängen. „Sie waren aus dem Bild wieder verschwunden. Das hat etwas Tragisches“, sagt Beyer. Und auch Veronica Ferres, deren zumeist mutige und starke Frauenrollen er für eine bestimmte Zeit als emblematisch empfand, sehe man nun seltener im Fernsehen.
Ein Abgesang also. Ende einer Ära. Es ist wie einen Jahrgang „Bunte“in der historisch-kritischen Ausgabe zu lesen und auf Menschen zu blicken, die eine Gesellschaft einst prägten. „Ein unbestimmbares Etwas weiß, die Menschen auf den Bildern sind Teil einer historischen Szene, und jeder Gast trägt das mit unsichtbarer Fingerfarbe geschriebene Wort ABSCHIED auf der Stirn.“
Vielleicht ist es das, was Beyers Text so faszinierend macht. Dass er Kunst und Literatur als Mittel benutzt, um Zeitgeschichte sichtbar zu machen.