Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Brexit: Noch nicht alle Fragen sind geklärt
Der Kompromiss sorgt für Erleichterung. Robin Chadwick, Europäer und Musiker der Symphoniker, ist tieftraurig.
Es war eine historische Nachricht: An Heiligabend haben sich Großbritannien und die Europäische Union auf ein Freihandelsabkommen geeinigt. Bei der Umsetzung der Vereinbarungen gibt es allerdings noch einige Fragezeichen. „Geräuschlos läuft das nicht. Jeden Tag kommen im Grunde neue Unsicherheiten auf“, sagt Andreas Krämer, Einzelprokurist der Spedition J. Dahmen & Co. KG.
Über Partner wickelt das Unternehmen den Warenverkehr ins Vereinigte Königreich ab. Ähnlich handhabt es die Spedition Schnug. „Wir bekommen über unsere Partner mit, dass es noch einige Unklarheiten gibt und der administrative Aufwand höher ist“, erklärt Maximilian Leven von der Karl Schnug Kraftwagenspedition GmbH.
Eine der Solinger Firmen, die regelmäßig Waren nach Großbritannien liefern, ist die Östling Marking Systems GmbH. Das Unternehmen hat einen Standort im englischen Stafford. Die Niederlassung kümmert sich hauptsächlich um den Vertrieb. Die in Solingen gebauten Markiersysteme müssen also nach England gelangen. „Wir schauen gerade, welche Folgen das Abkommen für uns hat“, erklärt Nadine Neumann. Sie ist bei Östling für den Export zuständig. Aus der Ruhe bringen lässt sich die Assistentin der Geschäftsführung jedoch nicht: „Wir werden es einfach mal ausprobieren. Das Schlimmste, was uns
passieren kann, ist, dass die Lieferung länger dauert.“
Stefanie Zimmermann ist bei der Bergischen Industrie- und Handelskammer (IHK) für außenwirtschaftliche Fragen zuständig. „Das Abkommen kam recht kurzfristig. Deshalb herrscht noch etwas Unsicherheit bei einigen Unternehmen“, bestätigt sie. Hauptsächlich gehe es bei den offenen Fragen darum, wie Waren nach Großbritannien gelangen und welche Dokumente dafür nötig sind. Zimmermann vermutet, dass sich der Prozess rasch einpendeln
wird, sobald die ersten Lieferungen in Großbritannien angekommen sind: „Am Anfang ist das natürlich spannend, irgendwann wird es aber so reibungslos funktionieren wie mit der Schweiz.“
Wenngleich noch nicht alle Fragen geklärt sind, herrscht allgemein Erleichterung, dass kurz vor Toresschluss doch noch ein Abkommen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union zustande gekommen ist. „Wir sind froh, dass es eine Lösung ohne weiteren Hickhack gibt“, sagt Nadine Neumann.
Damit befindet sich die Solingerin
in guter Gesellschaft. „In Erwartung eines harten Brexits haben sich die meisten Unternehmer frühzeitig auf die bürokratischen Folgen eingestellt“, berichtet Melanie Klingler, Außenwirtschaftsexpertin der Bergischen IHK. Heute sind sie froh, dass ihre Vorkehrungen nicht oder nur zum Teil zur Umsetzung kommen. Dass keine Zölle fällig werden und die befürchteten Staus am Kanal bislang ausgeblieben sind.
Auch Michael Wenge, IHK-Hauptgeschäftsführer, ist froh, dass ein harter Brexit verhindert werden konnte. Der Kompromiss sorge zwar für mehr Bürokratie bei den Unternehmen
Die Bergische Industrie- und Handelskammer hat auf ihrer
Informationen zum Brexit zusammengetragen. Dort sind unter anderem die Änderungen verlinkt, die Unternehmen im Handel mit Großbritannien fortan beachten müssen. Zudem ist eine Broschüre hinterlegt, die zentralen Inhalte des Abkommens zwischen Großbritannien und der Europäischen Union erklärt. www.bergische.ihk.de
Website
in Deutschland, aber, sagt Wenge: „Mit der Schweiz oder Norwegen betreiben wir ja auch gute Geschäfte.“
Unabhängig von allen wirtschaftlichen Auswirkungen des Brexits zeigt sich ein anderer tief traurig, Robin Chadwick, Musiker der Bergischen Symphoniker, kam als Sohn einer kanadischen Mutter und eines Engländers zur Welt. Seit 1984 lebt er mit seiner Frau Karen in Deutschland. Die hat neben dem britischen auch den deutschen Pass. Chadwick hat neben der britischen die kanadische Staatsangehörigkeit behalten und muss deshalb auf einen deutschen Pass verzichten. „Ich bin Europäer“, sagt er dennoch. „Das ist für mich ein wichtiges Gefühl.“Den Tag, an dem die Briten die europäische Staatengemeinschaft verließen, erlebte er deshalb mit Melancholie.