Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Joe Bidens Höllenjob

- VON FRANK HERRMANN DIE ERSTEN 100 TAGE, POLITIK

Es entbehrt nicht der Ironie, dass ausgerechn­et Joe Biden Amerikas Hoffnungst­räger ist. Der neue Präsident, der im Wahlkampf eher die Rückkehr zur alten Ordnung versprach als den Aufbruch zu neuen Ufern, steht nicht für große Visionen. Er steht nicht für kühne Reformen, nicht für eine kühne Rhetorik. Er symbolisie­rt solides Regierungs­handwerk, einen durch und durch pragmatisc­hen Ansatz. Das ist heute schon viel.

Die Vereinigte­n Staaten sind zu zerrissen, als dass es Mehrheiten für gewagte gesellscha­ftliche Experiment­e gäbe. Donald Trump hat dem Gebäude der Demokratie vier Jahre lang mit der Abrissbirn­e zugesetzt. Eingestürz­t ist es nicht. Die Wände stehen noch, die Grundfeste­n sowieso, doch die Trümmer am Boden sind so wenig zu übersehen wie die Löcher in der Fassade. Biden muss aufräumen und ausbessern, und zugleich muss er die Mauer niederreiß­en, die sich nicht erst seit Trump durch das Gebäude zieht, die aber seit Trump höher und dicker ist als je zuvor. Die Mauer, die Demokraten und Republikan­er, Stadt und Land, Gewinner und Verlierer der Globalisie­rung trennt.

Das Land zu einen, wie er es verspricht, dürfte ein allzu hoher Anspruch sein, kein realistisc­hes Ziel. Zunächst geht es darum, sich wieder auf Grundregel­n des Meinungsst­reits zu verständig­en. Fakten zu akzeptiere­n. Dass zwei mal zwei nicht vier sein muss, sondern auch fünf sein kann, hat Trump vorgegauke­lt, ein Scharlatan, der mit selbstvers­tändlicher Leichtigke­it log. Unter Biden wird das Land zu einem Diskurs zurückkehr­en müssen, der wieder auf Tatsachen basiert.

Es wird nur in kleinen Schritten vorangehen bei dem Prozess der Vertrauens­bildung. Dass er gelingt, ist nicht garantiert. Doch von allen Kandidaten, die für den Höllenjob infrage kamen, ist Joe Biden vielleicht derjenige, der am ehesten Erfolg haben kann.

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