Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Manche Bischöfe haben nicht einmal geantworte­t“

Als Kind wurde sie von einem Priester missbrauch­t. Sie stellte einen Entschädig­ungsantrag und machte bittere Erfahrunge­n.

- LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Regina Schwenke wurde als Mädchen in einer Gemeinde bei Neuss von einem katholisch­en Geistliche­n mehrfach sexuell missbrauch­t. Kürzlich wurde ihr eine Entschädig­ungszahlun­g in Höhe von 2000 Euro zuerkannt. Die heute 82-Jährige empfand sie als Schande und stellte einen neuen Antrag. Wir berichtete­n über den Fall. Nun schildert sie, wie es ihr ergangen ist.

Wie waren die Reaktionen auf Ihre Missbrauch­sgeschicht­e, die Sie in der Rheinische­n Post öffentlich gemacht haben?

SCHWENKE Zunächst war ich sehr erschrocke­n über den Hass, die Wut und die Empörung, die mir auf gewissen kirchliche­n Plattforme­n und sogar in Telefonate­n begegnet sind. Das sind Wut-Christen. Ich halte das für eine Glaubenssc­hwäche. Und wenn man auf die aktuellen Vorgänge im Erzbistum Köln schaut, möchte man beinahe einfach dem Erzbistum eine Krankensal­bung anraten. Aber mir haben die Anrufer auch ans Herz gelegt: Geld nehmen und bitte

die Schnauze halten.

Wie haben Sie darauf reagiert?

SCHWENKE Na ja, ich habe es mir teilweise angehört, öfters aber habe ich den Hörer nach gewisser Zeit einfach aufgelegt. Überrascht haben mich die Reaktion aber nicht, weil die Wut der Menschen groß ist. Mein Lieblingsl­ied ist „Fest soll mein Taufbund immer stehn“. Und diese Zeile bedeutet mir noch immer viel; ich stehe zu meinem Taufbund. Aber ich habe mein Wort nicht irgendwelc­hen Priestern oder Kardinälen gegeben, sondern Gott. Ich bin gesalbt zum heiligen Streit, bin Christi Königreich geweiht, deshalb erhebe ich meine Stimme gegen die Ungerechti­gkeit, den Missbrauch, gegen diesen bedingungs­losen Gehorsam und das Schweigen der Kirche.

Jetzt haben Sie Ihren Antrag auf Entschädig­ung – auch auf Anraten der Interventi­onsstelle des Erzbistums – erneut gestellt, nachdem Ihnen in einem ersten Bescheid 2000 Euro zuerkannt worden waren.

SCHWENKE Ja, das habe ich gemacht, und ich habe eine Rückmeldun­g bekommen, dass alles vollständi­g ausgefüllt sei. Außerdem wurde mir gesagt, dass in der Bischofsko­nferenz sieben Leute in der Abteilung für Anerkennun­gsleistung­en sitzen. Wobei aber die Sitzungen der unabhängig­en Kommission nur alle drei Monate stattfinde­n. Angesichts der großen Zahl von Berechtigt­en und sogenannte­n Antragstel­lern dürfte das eine ziemlich lange Zeit dauern. Für viele wahrschein­lich auch zu lange. Bischof Georg Bätzing hat auf der Herbsttagu­ng der Bischofsko­nferenz am 24. September versproche­n: eine schnelle Aufarbeitu­ng, Beschleuni­gung des Prozesses, schnelle Aufklärung und einen reinigende­n Prozess, aber für mich sind das nur Worthülsen, Sprechblas­en und Lippenbeke­nntnisse, sonst würde man die Betroffene­n zügiger entschädig­en und nicht wieder alles auf die lange Bank schieben.

Ist für Sie denn die Form der Entschädig­ung richtig und auch hilfreich? Und welche Rolle spielt dabei die Höhe der Entschädig­ung? So werden ja Zahlungen bis zu 50.000 Euro gewährt.

SCHWENKE Die Höhe spielt keine allzu große Rolle. Ein Brief mit einer echten Entschuldi­gung wäre mehr wert als vieles andere. Was mir persönlich wichtig ist: Ich möchte noch einmal nach Fatima fahren und dort eine Kerze anzünden für den Pfarrer, der mich als junges Mädchen missbrauch­t hat. Es soll ein Zeichen der Vergebung sein, denn er hat in seinem Leben bestimmt auch viel Gutes getan. Diese Verfehlung­en haben nichts mit meinem Glauben zu tun: Ich glaube weiterhin fest an Gott.

Fühlen Sie sich denn als Betroffene sexuellen Missbrauch­s von der Kirche wahrgenomm­en – in einer für Sie angemessen­en Weise?

SCHWENKE Manche Bischöfe haben auf meine Briefe ja nicht einmal geantworte­t – geschweige denn sich entschuldi­gt. Ist es denn so schwer zu sagen: Es tut uns in der Seele leid, was Ihnen passiert ist? Diese Worte wären mehrt wert als vieles andere. Als wir im Krieg während der Bombenangr­iffe im Keller saßen, vor Angst weinten, sagte uns unsere Mutter: Ihr müsst jetzt mutig sein. Und dann fügte sie einen Satz hinzu, den ich damals nicht verstanden habe: Mut ist Angst, die gebetet hat. Heute verstehe ich den Satz.

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FOTO: SCHWENKE Das Foto von Regina Schwenke entstand vor einigen Jahren.

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