Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Die schwedisch­e Politikeri­n findet, Prostituti­on sollte illegal sein.

Deutschlan­d unterstütz­e seit Jahrzehnte­n die Prostituti­on, kritisiert die frühere Außenminis­terin Schwedens. Sie empfiehlt ihr Land als Vorbild: Dort müssen Zuhälter und Freier Verfolgung fürchten, Sexkauf ist illegal.

- VON MARGRET WALLSTRÖM

Machen wir es besser“ist eine gute Devise für die wirtschaft­liche und gesellscha­ftliche Erholung von der Covid-19-Pandemie. Was den Sexhandel betrifft, sollten wir die Bordelle geschlosse­n halten und für all diejenigen, die durch Zwang, falsche Versprechu­ngen, Gewalt oder Drogenabhä­ngigkeit in die Prostituti­on gezwungen werden, neue Einkommens­möglichkei­ten schaffen.

Es ist unstrittig, dass die meisten in der Prostituti­on Tätigen diesen Weg aufgrund von Missbrauch, Zwang oder dem Fehlen einer wirtschaft­lichen Alternativ­e eingeschla­gen haben. Viele sind durch Armut ausgegrenz­t, Migrantinn­en und Migranten ohne Papiere oder Opfer von Menschenha­ndel. Sie haben die Prostituti­on nicht freiwillig gewählt, sie hatten keine Wahl. Laut Medienberi­chten setzt die Branche in Deutschlan­d jährlich etwa 15 Milliarden Euro um, wobei geschätzt 400.000 Personen – die überwältig­ende Mehrheit davon Frauen – der Prostituti­on nachgehen und täglich etwa 1,2 Millionen Transaktio­nen stattfinde­n.

Seit Jahrzehnte­n unterstütz­t Deutschlan­d die legale Prostituti­on, vermutlich aus der Überzeugun­g heraus, dass dies den Frauen im Sexgewerbe zugutekomm­t. Jetzt, wo die Bordelle geschlosse­n sind, ist der Zeitpunkt günstig, diesen Ansatz ernsthaft zu hinterfrag­en.

Seit Inkrafttre­ten des deutschen Prostituti­onsgesetze­s im Jahr 2002 soll der Sexhandel um mindestens das Dreifache zugenommen haben. In Schweden wurde 1999 ebenfalls ein neues Gesetz verabschie­det. Schweden hat als erstes Land eingeführt, was heute als Nordisches Modell bezeichnet wird: Wir haben Prostituti­on als Ausdruck von Ungleichhe­it und sexueller Ausbeutung ausgemacht. Unser schwedisch­es Modell hat sich als wirksame Ausstiegss­trategie für diejenigen erwiesen, die von der Sexindustr­ie ausgebeute­t werden, sowie als probates Mittel im Kampf gegen Menschenha­ndel. Andernorts wurden ähnliche Gesetze eingeführt, etwa in Frankreich, Irland, Nordirland, Norwegen, Island, Kanada und erst kürzlich in Israel.

Die schwedisch­e Gesetzgebu­ng bestraft nur die Zuhälter und Freier und unterstütz­t diejenigen, die aus der Prostituti­on aussteigen möchten. Die Prostituie­rten müssen keine strafrecht­liche Verfolgung fürchten. Bei der Einführung des Gesetzes hofften wir auf eine normative Wirkung – dass es die Haltung von Männern ändern und die Gleichstel­lung der Geschlecht­er fördern würde. In der Tat haben sich durch unser Modell die Normen mit der Zeit erheblich gewandelt. Während Prostituti­on und Sexhandel zurückgega­ngen sind, ist der Zuspruch für das Gesetz gewachsen. Zwar gibt es auch in Schweden noch immer Männer, die Sex kaufen wollen, doch ihre Zahl nimmt stetig ab.

Die Prostituti­on abzuschaff­en, ist nicht einfach, denn wir haben es mit einem ungeheuer lukrativen Geschäft zu tun. Es besteht eine klare Verbindung zwischen Prostituti­on und Menschenha­ndel, denn es wird immer ein Angebot geben, wo Nachfrage besteht. Doch das Angebot selbst schafft auch Nachfrage. Die Menschenhä­ndler brauchen die Prostituti­on, um einen Absatzmark­t für Mädchen und Frauen zu schaffen. Deshalb gehen sie lieber in Länder, in denen Prostituti­on legal ist und das Gewerbe floriert.

Nach Schätzunge­n von Interpol bringt der Menschenha­ndel 150 Milliarden US-Dollar pro Jahr ein. Zwei Drittel davon erfolgen zum Zweck sexueller Ausbeutung. Das Gros der Gewinne fließt in die organisier­te Kriminalit­ät und die Terrorfina­nzierung. Wenn die Bordelle geschlosse­n bleiben, mindert das nicht nur die Nachfrage, sondern trägt auch zur internatio­nalen Kriminalit­ätsund Terrorbekä­mpfung bei. Interpol hat festgestel­lt, dass der Markt für Sexhandel in Ländern, in denen Prostituti­on illegal ist, wegen geringer Nachfrage zum Erliegen kommt. Schweden ist einfach kein attraktive­r Markt für Menschenhä­ndler.

Kürzlich setzten sich 16 Mitglieder des Deutschen Bundestage­s für die Einführung des Nordischen Modells ein und äußerten die Hoffnung, dass die Bordelle auch nach Ende der Pandemie geschlosse­n bleiben. Diese parteiüber­greifende Gruppe von Abgeordnet­en erhält wachsenden Zuspruch aus der Politik (etwa von der Frauen-Union) und der Gesellscha­ft. Zunehmend hinterfrag­t wird dabei, ob der deutsche Weg im Umgang mit der Prostituti­on seine intendiert­e Wirkung erzielt hat. Es stimmt zuversicht­lich, dass immer mehr einflussre­iche Menschen übereinsti­mmen, dass Prostituti­on kein Job wie jeder andere ist und dass das heutige Gesetz die meisten Frauen (und Männer) in der Prostituti­on nicht schützt, sondern erniedrigt und entmenschl­icht. Für viele bleibt psychische Dissoziati­on die einzige Möglichkei­t zu überleben.

Ich hoffe, dass Deutschlan­d besser „vorbaut“und erkennt, dass die Sexindustr­ie schädlich ist für all diejenigen, die sie ausbeutet, dass sie Ungleichhe­it zementiert und insbesonde­re benachteil­igte Frauen ausnutzt. Es wäre ein effektiver Weg, um die Gleichstel­lung der Geschlecht­er voranzubri­ngen.

Prostituti­on ist

kein Job wie jeder andere

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FOTO: DPA Die Sozialdemo­kratin Margot Wallström (66) war von 2014 bis 2019 schwedisch­e Außenminis­terin.

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