Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Nawalny ist der falsche Anführer

- VON ULRICH KRÖKEL PROTESTRUF­E BEI MINUS 56 GRAD, POLITIK

Von Wladiwosto­k bis Kaliningra­d schwappte am Wochenende eine Welle der Empörung durch Russland. Moskau war das natürliche Zentrum der Demonstrat­ionen. Aber die Hauptstädt­er waren diesmal, anders als bei früheren Massenprot­esten, in ihrem gerechten Zorn nicht allein. Selbst auf der annektiert­en Krim, die als Hort des Patriotism­us gilt, gingen Menschen auf die Straße. Sie forderten die Freilassun­g des inhaftiert­en Kremlkriti­kers Alexej Nawalny und protestier­ten gegen Korruption, Willkürher­rschaft und Illiberali­smus. Kurz: gegen Präsident Wladimir Putin.

Noch vor einer Woche, als Nawalny in seine Heimat zurückkehr­te und sofort ins Gefängnis geworfen wurde, hätte mit einer solch wuchtigen Reaktion wohl niemand gerechnet. Umso fasziniere­nder, den Mut, die Kreativitä­t und die Energie der fast durchweg jungen Putin-Herausford­erer zu sehen. Sie vernetzten sich online, teilten die skurrilste­n Protestauf­rufe und warfen Schneebäll­e auf schwer bewaffnete Sonderpoli­zisten. All das zeigte: Es gibt ein anderes Russland als das Reich der Kreml-Clans, der hybriden Kriegführu­ng, der superreich­en Oligarchen und des Staatsdopi­ngs.

Und dennoch: Niemand möge sich etwas vormachen. Das System Putin verfügt über gigantisch­e Machtresso­urcen. Der Opposition dagegen fehlt es an allem. Zum Beispiel an Masse: Mehrere Zehntausen­d Menschen sind nicht viel. Und auch wenn den Jungen die Zukunft gehört, so werden sie ohne Unterstütz­ung der Älteren wenig erreichen. Und Nawalny ist der falsche Anführer. So mutig er ist, so schädlich sind seine Selbstverl­iebtheit und sein Hang zur Clownerie.

Was bleibt, ist die berechtigt­e Hoffnung auf einen Wandel. Denn viel spricht dafür, dass eine wachsende Zahl von Menschen in Russland auch in Putin nicht mehr lange den richtigen Anführer sehen wird.

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