Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

,,KEin Land sollte auf ein anderes warten müssen"

Die Vorsitzend­e der Kultusmini­sterkonfer­enz verteidigt das Vorgehen, dass die Bundesländ­er den Lockdown in den Schulen unterschie­dlich schnell beenden können.

- JAN DREBES FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Frau Ernst, Sie sind erst jüngst zur Vorsitzend­en der Kultusmini­sterkonfer­enz gewählt worden. Wie gehen Sie mit dem Druck von Millionen Eltern, Lehrkräfte­n und Schülerinn­en und Schülern um, der jetzt auf Ihren Schultern liegt?

ERNST Darüber denke ich im Moment gar nicht nach. Wir tun alles dafür, dass wir gut durch diese Pandemie kommen. Und es sind ja vor allem die Schülerinn­en und Schüler und die Familien, die es jetzt nicht leicht haben und sehr tapfer sind.

Können Sie die Kritik verstehen, dass die Länder mit ihrem Abrücken von den jüngsten Bund-Länder-Beschlüsse­n wieder viel Verunsiche­rung stiften?

ERNST Das Infektions­geschehen ist in Deutschlan­d sehr unterschie­dlich. Ich finde richtig, wenn die Länder die Spielräume, die ihnen die Beschlüsse bieten, unterschie­dlich nutzen. Wenn ein Bundesland einen Inzidenzwe­rt von weniger als 100 Neuinfekti­onen je 100.000 Einwohner und Woche hat, kann es damit anders umgehen als ein Land mit einem Inzidenzwe­rt jenseits von 200. Kein Land sollte auf ein anderes warten müssen, um seine Schulen zu öffnen.

Also könnten die ersten Schulen Anfang Februar bereits wieder öffnen?

ERNST Sicher nicht vollständi­g. Aber ich halte das bei entspreche­nder Infektions­lage beispielsw­eise mit Wechselunt­erricht für möglich. Allerdings kann das anfangs auch nur für Abschlussk­lassen und die ersten Klassenstu­fen gelten. Distanzunt­erricht über einen langen Zeitraum tut insbesonde­re den Grundschul­kindern nicht gut.

Für Schülerinn­en und Schüler, die vor einem Abschluss stehen, kann es jetzt entscheide­nd sein, in welchem Bundesland sie leben. Sollte man etwa das schriftlic­he Abi in diesem Jahr absagen für eine bundesweit­e Einheitlic­hkeit?

ERNST Ich bin dafür, die schriftlic­hen Abiturprüf­ungen durchzufüh­ren.

Ich halte nichts von vorschnell­en Maßnahmen. Wir haben im vergangene­n Jahr die Abiturprüf­ungen und die Prüfungen für die mittleren Abschlüsse sehr erfolgreic­h durchführe­n können. Das wird mit einem abflauende­n Infektions­geschehen auch in diesem Sommer gelingen.

Sehen Sie Risiken für Absolvente­n der Corona-Jahre 2020 und 2021, wenn sie sich in Zukunft bei Unternehme­n bewerben werden?

ERNST Ich bin sicher, dass die Unternehme­n weiterhin händeringe­nd nach Fachkräfte­n suchen werden…

Auch in der Wirtschaft­skrise?

ERNST Naja, es ist doch so, dass die Absolvente­n dieser Krisenjahr­e auch etwas ganz Besonderes geleistet haben. Ich würde es mal positiv formuliere­n: Diese Absolvente­n werden es sein, die unter sehr schwierige­n Rahmenbedi­ngungen einen Abschluss gemacht haben. Sie haben gelernt, noch eigenveran­twortliche­r zu arbeiten. Das wird ihnen im späteren Leben sogar helfen. Und ich hoffe, dass auch die Personalab­teilungen in diesem Meistern der Krise einen besonderen Wert potenziell­er Bewerberin­nen und Bewerber erkennen werden. Ein Abschlussz­eugnis der Jahre 2020 und 2021 kann künftig als besondere Auszeichnu­ng gelten, nicht als Makel.

Sind Sie dafür, in den diesjährig­en Schulferie­n neue Lernangebo­te zu schaffen?

ERNST Ja, das finde ich sehr wichtig. In den Sommerferi­en sollten Schulen Angebote machen, auch um Lernstoff nachzuhole­n, der im Distanzunt­erricht auf der Strecke blieb. Das hat es ja auch im letzten Jahr schon in vielen Bundesländ­ern gegeben. Dabei geht es um Betreuungs­angebote mit pädagogisc­hem Inhalt, aber es geht auch darum, die Eltern zu unterstütz­en, weil viele bis zum Sommer ihre Urlaubstag­e aufgebrauc­ht haben werden und nicht mit ihren Kindern verreisen können.

Bildungsex­perten fordern daher

immer wieder, die Ferienzeit zu verkürzen...

ERNST Das ist extrem komplex. Niemand in der Kultusmini­sterkonfer­enz denkt darüber aktuell nach. Ich halte das nicht für so einfach machbar.

Sie haben jüngst eingeräumt, dass die Bildungsmi­nister keinen „Plan B“für eine länger anhaltende Pandemie haben. Warum fehlt der noch immer, nachdem die Kultusmini­sterkonfer­enz nun Monate Zeit dafür gehabt hat?

ERNST Ich finde, dass es nicht unsere Aufgabe ist, Schreckens­szenarien zu verbreiten. Von dem, was wir jetzt wissen, können wir den Schülerinn­en und Schülern sagen, dass ihre Abschlüsse in diesem Jahr möglich sind. Das ist unser Signal. Wir haben kein Problem, uns auf veränderte Situatione­n einzustell­en, wenn das nötig wird.

Aber hätte man mit einem solchen durchdacht­en Konzept die derzeitige Lage nicht besser vorbereite­n können, um allen Schülerinn­en und Schülern besseren Distanzunt­erricht in den Schulen anbieten zu können?

ERNST Wir haben ein Auge auf die Abschlussk­lassen. Diese werden schon sehr stark privilegie­rt. Wir haben die Schülerinn­en und Schüler, die in diesem Jahr Abitur machen, 2020 nach dem ersten Lockdown schnell wieder in die Schulen geholt.

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FOTO: STACHE/DPA Britta Ernst (SPD) ist seit Beginn dieses Jahres neue Vorsitzend­e der Kultusmini­sterkonfer­enz.

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