Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
,,KEin Land sollte auf ein anderes warten müssen"
Die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz verteidigt das Vorgehen, dass die Bundesländer den Lockdown in den Schulen unterschiedlich schnell beenden können.
Frau Ernst, Sie sind erst jüngst zur Vorsitzenden der Kultusministerkonferenz gewählt worden. Wie gehen Sie mit dem Druck von Millionen Eltern, Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern um, der jetzt auf Ihren Schultern liegt?
ERNST Darüber denke ich im Moment gar nicht nach. Wir tun alles dafür, dass wir gut durch diese Pandemie kommen. Und es sind ja vor allem die Schülerinnen und Schüler und die Familien, die es jetzt nicht leicht haben und sehr tapfer sind.
Können Sie die Kritik verstehen, dass die Länder mit ihrem Abrücken von den jüngsten Bund-Länder-Beschlüssen wieder viel Verunsicherung stiften?
ERNST Das Infektionsgeschehen ist in Deutschland sehr unterschiedlich. Ich finde richtig, wenn die Länder die Spielräume, die ihnen die Beschlüsse bieten, unterschiedlich nutzen. Wenn ein Bundesland einen Inzidenzwert von weniger als 100 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner und Woche hat, kann es damit anders umgehen als ein Land mit einem Inzidenzwert jenseits von 200. Kein Land sollte auf ein anderes warten müssen, um seine Schulen zu öffnen.
Also könnten die ersten Schulen Anfang Februar bereits wieder öffnen?
ERNST Sicher nicht vollständig. Aber ich halte das bei entsprechender Infektionslage beispielsweise mit Wechselunterricht für möglich. Allerdings kann das anfangs auch nur für Abschlussklassen und die ersten Klassenstufen gelten. Distanzunterricht über einen langen Zeitraum tut insbesondere den Grundschulkindern nicht gut.
Für Schülerinnen und Schüler, die vor einem Abschluss stehen, kann es jetzt entscheidend sein, in welchem Bundesland sie leben. Sollte man etwa das schriftliche Abi in diesem Jahr absagen für eine bundesweite Einheitlichkeit?
ERNST Ich bin dafür, die schriftlichen Abiturprüfungen durchzuführen.
Ich halte nichts von vorschnellen Maßnahmen. Wir haben im vergangenen Jahr die Abiturprüfungen und die Prüfungen für die mittleren Abschlüsse sehr erfolgreich durchführen können. Das wird mit einem abflauenden Infektionsgeschehen auch in diesem Sommer gelingen.
Sehen Sie Risiken für Absolventen der Corona-Jahre 2020 und 2021, wenn sie sich in Zukunft bei Unternehmen bewerben werden?
ERNST Ich bin sicher, dass die Unternehmen weiterhin händeringend nach Fachkräften suchen werden…
Auch in der Wirtschaftskrise?
ERNST Naja, es ist doch so, dass die Absolventen dieser Krisenjahre auch etwas ganz Besonderes geleistet haben. Ich würde es mal positiv formulieren: Diese Absolventen werden es sein, die unter sehr schwierigen Rahmenbedingungen einen Abschluss gemacht haben. Sie haben gelernt, noch eigenverantwortlicher zu arbeiten. Das wird ihnen im späteren Leben sogar helfen. Und ich hoffe, dass auch die Personalabteilungen in diesem Meistern der Krise einen besonderen Wert potenzieller Bewerberinnen und Bewerber erkennen werden. Ein Abschlusszeugnis der Jahre 2020 und 2021 kann künftig als besondere Auszeichnung gelten, nicht als Makel.
Sind Sie dafür, in den diesjährigen Schulferien neue Lernangebote zu schaffen?
ERNST Ja, das finde ich sehr wichtig. In den Sommerferien sollten Schulen Angebote machen, auch um Lernstoff nachzuholen, der im Distanzunterricht auf der Strecke blieb. Das hat es ja auch im letzten Jahr schon in vielen Bundesländern gegeben. Dabei geht es um Betreuungsangebote mit pädagogischem Inhalt, aber es geht auch darum, die Eltern zu unterstützen, weil viele bis zum Sommer ihre Urlaubstage aufgebraucht haben werden und nicht mit ihren Kindern verreisen können.
Bildungsexperten fordern daher
immer wieder, die Ferienzeit zu verkürzen...
ERNST Das ist extrem komplex. Niemand in der Kultusministerkonferenz denkt darüber aktuell nach. Ich halte das nicht für so einfach machbar.
Sie haben jüngst eingeräumt, dass die Bildungsminister keinen „Plan B“für eine länger anhaltende Pandemie haben. Warum fehlt der noch immer, nachdem die Kultusministerkonferenz nun Monate Zeit dafür gehabt hat?
ERNST Ich finde, dass es nicht unsere Aufgabe ist, Schreckensszenarien zu verbreiten. Von dem, was wir jetzt wissen, können wir den Schülerinnen und Schülern sagen, dass ihre Abschlüsse in diesem Jahr möglich sind. Das ist unser Signal. Wir haben kein Problem, uns auf veränderte Situationen einzustellen, wenn das nötig wird.
Aber hätte man mit einem solchen durchdachten Konzept die derzeitige Lage nicht besser vorbereiten können, um allen Schülerinnen und Schülern besseren Distanzunterricht in den Schulen anbieten zu können?
ERNST Wir haben ein Auge auf die Abschlussklassen. Diese werden schon sehr stark privilegiert. Wir haben die Schülerinnen und Schüler, die in diesem Jahr Abitur machen, 2020 nach dem ersten Lockdown schnell wieder in die Schulen geholt.