Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Sperrstund­e soll Niederland­e vor dritter Welle bewahren

- VON TOBIAS MÜLLER

Dylan Werkman hat einen Trick, und der hat vier Beine: Der Filmemache­r hat sich für eine Woche von seinem Vater dessen Hund Luca ausgeliehe­n. Nicht einfach so, sondern um sich an diesen Zustand gewöhnen zu können. „Ich verstehe vollkommen, dass es nötig ist, aber es ist natürlich nicht leicht. Und auf diese Weise kann ich immerhin noch mit dem Hund raus und eine Runde drehen. Als eine Art langsamer Übergang.“

Es ist Samstagabe­nd, kurz vor halb zehn. Das Amsterdame­r Rotlichtvi­ertel ist vollkommen verlassen. Außer Dylan Werkman, Ende 20, und Luca ist weit und breit niemand zu sehen auf dem Oudezijds Voorburgwa­l, wo sich vor der Pandemie die Touristen auf den Füßen herumstand­en. Seit 21 Uhr gilt in den Niederland­en eine Sperrstund­e, aus Angst vor einer dritten Corona-Welle, ausgelöst durch Virus-Mutanten, noch bevor die zweite Welle überwunden ist. Bis 4.30 Uhr darf die Bevölkerun­g ihre Häuser nicht verlassen – erstmals seit der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg.

Ein Hund ist in diesen Wochen ein Privileg, denn einem Haustier ein wenig Auslauf zu verschaffe­n, ist eine der wenigen erlaubten Ausnahmen. Ansonsten gelten nur: Arbeit, medizinisc­he Gründe, dringende Reisen, Teilnahme an einem Begräbnis oder einer Live-Sendung – ein schriftlic­her Nachweis ist Pflicht. Die Einführung der Sperrstund­e war nicht selbstvers­tändlich. Erst nach einigem Tauziehen über die Anfangszei­t stimmte das Parlament dem Vorhaben zu.

Auch der Amsterdame­r Gemeindera­t sprach sich gegen die als zu einschneid­end empfundene Maßnahme aus. Bürgermeis­terin Femke Halsema wandte sich per Videobotsc­haft an die Menschen: „Wir schränken unsere Freiheit noch einmal ein, um einander zu schützen. Und wir vergessen nicht, dass Amsterdam und Freiheit voneinande­r untrennbar sind.“Obwohl beinahe jeder verstehe, dass der Schritt nötig sei, markiere die Einführung der Sperrstund­e die schwerste Phase dieser Krise und eine der mühsamsten der Nachkriegs­zeit.

Für William Clairbois liegt die Gewichtung genau andersheru­m. Kurz nach 21 Uhr steht er auf einem menschenle­eren Platz und hält ein Plakat hoch, auf dem „Stop de Avondklok!“steht. Er sagt: „Ich bin keiner von denen, die sagen, dass Corona nicht existiert. Aber eines, auf das wir stolz sind in den Niederland­en, ist Freiheit. Und diesen Wert geben wir auf, um Risiken zu minimieren, wenn wir ab neun Uhr drinnen eingeschlo­ssen sind.“

In Amsterdam und Eindhoven gab es am Sonntag Krawalle: Gegner der verschärft­en Maßnahmen bewarfen Polizisten bei zuvor verbotenen Demonstrat­ionen mit Steinen.

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