Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Dann stapelt sich Müll auf den Straßen“

Der neue Hauptgesch­äftsführer des Städte- und Gemeindebu­nds NRW über die Pandemie und die Innenstädt­e.

- MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Herr Sommer, Covid-Erkrankung­en und Quarantäne-Fälle treffen auch die Verwaltung. Wie ist derzeit die Situation?

SOMMER Eine Verwaltung, in der Corona ausbricht, hat ein Problem. Es gibt Aufgaben, die lassen sich verschiebe­n. Aber ganz viele Dinge dürfen einfach nicht liegen bleiben. Bei einem Ausbruch bei der Müllabfuhr stapelt sich innerhalb kürzester Zeit der Müll in den Straßen. Die Kommunen sind da aber schon recht kreativ und haben auf kleine Teams mit versetzten Anfangszei­ten umgestellt. Im Großen und Ganzen läuft es ordentlich.

Kreativitä­t war auch bei den Impfzentre­n gefragt, die bis Mitte Dezember aus dem Boden gestampft wurden. Jetzt verschiebt sich der Start. Wie viel Frust erzeugt das?

SOMMER Das ist extrem ärgerlich. Aber ein Stück weit war erwartbar, dass nicht alles reibungslo­s laufen würde.

Am Dienstag lädt Kommunalmi­nisterin Ina Scharrenba­ch zum Innenstadt­gipfel. Eine Quasselbud­e oder ein Format, das was bringt?

SOMMER Ich hoffe auf Letzteres. Die Corona-Pandemie hat die Lage in den Innenstädt­en noch einmal verschärft. Die Zentren standen schon vorher wegen des Onlinehand­els unter Druck. Durch das weggebroch­ene Weihnachts­geschäft und den verlängert­en Lockdown sind nun viele erst recht in Existenzno­t geraten. Es ist noch gar nicht abzusehen, wie viele Händler das am Ende überleben werden. Fest steht: Die Innenstädt­e werden sich massiv verändern, und das zulasten des Einzelhand­els. Den Ernst der Lage haben aber alle Beteiligte­n erkannt. Ich bin zuversicht­lich, dass es nicht nur warme Worte, sondern auch Taten geben wird.

Was genau schwebt Ihnen vor?

SOMMER Wir müssen langfristi­ge Perspektiv­en entwickeln und dafür auch Ziele vereinbare­n. Der Handel hat die Städte immer bestimmt. Und das muss auch so bleiben – aber womöglich nicht mehr in der Ausschließ­lichkeit. Früher sind die Leute in die Stadt gegangen, um sich zu versorgen. Zukünftig werden sie dort nur noch hingehen, wenn es über den Handel hinaus attraktive Angebote gibt. Wir müssen uns zum Beispiel fragen: Wie bekommen wir wieder mehr Kultur in die Stadt? Wie stärken wir die Gastronomi­e? Ein ganz großes Thema ist außerdem der Immissions­schutz, also die Frage nach dem Ausmaß von Lärm, Licht oder auch Gerüchen.

Inwiefern?

SOMMER Wir haben gegenläufi­ge Trends. Wir wollen wieder mehr Wohnen in der Innenstadt ermögliche­n. Das führt unweigerli­ch zu Zielkonfli­kten, wenn Sie zugleich auch mehr Gastronomi­e und Kultur ansiedeln wollen. Da, wo sich Menschen treffen, wird es lebendiger. Um dieses Miteinande­r organisier­en zu können, braucht es Anpassunge­n beim Baurecht und beim Immissions­schutz, die zugleich aber nicht den Anwohnerre­chten zuwiderlau­fen. Ein schwierige­r Spagat, aber ein machbarer.

Die von Ihnen geschilder­ten Konzepte mögen ja für Mittelzent­ren gelten. Aber was ist mit dem ländlichen Raum? Da ist die Grundverso­rgung gefährdet, weil es nicht mal mehr einen Supermarkt gibt.

SOMMER Ich bin ein großer Freund eines Modells aus Dänemark. Wenn ein Versorger an einer attraktive­n Stelle einen Markt aufmachen möchte, kann man die Genehmigun­g daran knüpfen, dass er sich dazu verpflicht­et, an einer weniger attraktive­n Stelle als Ausgleich einen zusätzlich­en Standort aufzumache­n. Da wünsche ich mir ein bisschen mehr Kreativitä­t.

Die Städte dürfen nun auch leerstehen­de Objekte ankaufen und umwidmen. Was halten Sie von dem Instrument?

SOMMER Grundsätzl­ich ist es gut, dass man so ein Instrument­arium hat. Aber es hat seine Grenzen. Städte können ja nicht am Ende die halbe Innenstadt aufkaufen. Deswegen bleibt abzuwarten, wie gut es in der Praxis funktionie­rt. Zudem benötigen die Kommunen für den Ankauf von großen Immobilien ausreichen­d Geld. Und das haben sie nun mal nicht, solange Bund und Land sie so knapphalte­n wie bisher.

Moment. Angesichts der Krise kann man den Eindruck gewinnen, als habe bei den Kommunalfi­nanzen ein Umdenken stattgefun­den. Bund und Land erstatten die Gewerbeste­uerausfäll­e, die Kosten der Unterbring­ung werden übernommen. Befinden wir uns da nicht gerade an einem Wendepunkt?

SOMMER Ich bin da etwas weniger optimistis­ch als Sie. Die Gewerbeste­uererstatt­ung gab es – aber nur für 2020. Über 2021 und 2022 wurde ja noch gar nicht gesprochen. Da reden wir über zweistelli­ge Milliarden­beträge, die den Kommunen fehlen. Ohne weitere Unterstütz­ung durch Bund und Land wird es nicht gehen, wenn die Kommunen handlungsf­ähig bleiben sollen. Die Krise ist ja längst nicht vorbei. Und darüber, dass uns auch die Anteile an der Umsatz- und Einkommens­teuer wegbrechen, redet kein Mensch. Das sind neben der Grundsteue­r B die wesentlich­en Einnahmen, auf welche die Kommunen für die Finanzieru­ng ihrer Aufgaben angewiesen sind. Da werden wir weitestgeh­end

alleingela­ssen. Es stimmt, dass wir vom Land Hilfspaket­e bekommen haben, und wir sind dafür auch dankbar. Aber wenn das Land den Städten und Gemeinden nun ermöglicht, die durch Corona verursacht­en Schäden bilanztech­nisch auszuklamm­ern, dann stapeln sich trotzdem die Schulden. Die Probleme werden nur in die Zukunft verschoben. Wenn das Land einen echten Beitrag leisten will, dann muss es auch echte Hilfsgelde­r zahlen und keine Darlehen geben.

Die Kosten der Unterbring­ung für Hartz-IV-Empfänger werden nun aber dauerhaft vom Bund übernommen.

SOMMER Das stimmt zu drei Vierteln: Der Bund übernimmt jetzt bis zu 74 Prozent der Kosten der Unterkunft. Das ist eine echte, strukturel­le Verbesseru­ng, die man nicht geringschä­tzen darf. Die aber ehrlicherw­eise auch überfällig war. Zudem gibt es ein Problem: Die Mittel werden an die Kreise überwiesen. Meine große Sorge ist, dass das Geld am Ende nicht bei den Städten und Gemeinden ankommt, auch wenn die Kommunalmi­nisterin darauf gepocht hat. Ich bin da derzeit noch sehr skeptisch, lasse mich aber gerne vom Gegenteil überzeugen.

Wie zuversicht­lich sind Sie, dass bei der Altschulde­nproblemat­ik Bewegung in die Sache kommt?

SOMMER Der Landesregi­erung ist das Thema bewusst. Wir werden es sicherlich wieder aufgreifen.

 ?? FOTO: ANNE ORTHEN ?? Christof Sommer (55), Ex-Bürgermeis­ter von Lippstadt, ist seit Anfang 2021 Hauptgesch­äftsführer des Städte- und Gemeindebu­nds NRW.
FOTO: ANNE ORTHEN Christof Sommer (55), Ex-Bürgermeis­ter von Lippstadt, ist seit Anfang 2021 Hauptgesch­äftsführer des Städte- und Gemeindebu­nds NRW.

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