Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Fahrn, fahrn, fahrn auf der Autobahn
Das Museum Morsbroich in Leverkusen zeigt in seiner neuen Ausstellung Straßen, Highways und Datenströme – zunächst nur online.
Autobahnen münden geradewegs in die virtuellen Welten der Gegenwart. Und sie verzweigen, miniaturisieren und vervielfachen sich dort bis zur Unkenntlichkeit. So kann man das sehen, wenn man die Welt künstlerisch betrachtet wie die Fotografinnen, Video- und Installationskünstler, deren Arbeit das Museum Morsbroich in Leverkusen dokumentiert – zurzeit noch unter Ausschluss der Präsenz-Öffentlichkeit, aber doch schon im Internet und hoffentlich bald für alle unmittelbar zu erleben.
Eine Zweikanal-Schau mit Autobahn-Fotografien aus dem Archiv der weltumspannenden Agentur Magnum Photos entführt die Besucher auf einsame Straßen in Wales, auf kaum durchschaubare Verkehrsknoten in Los Angeles und auf Highways in Kapstadt, die sich in wörtlichem Sinn über die schlichte
Bebauung von Armenvierteln hinwegsetzen.
In Leverkusen braucht man nicht weit zu blicken, um zu verfolgen, wie enthusiastisch die Menschen seit den 50er-Jahren den Bau von Autobahnen als Ausdruck der Modernität feierten. Daher hatte Kuratorin Heide Häusler ihr Projekt zuerst dem Museum Morsbroich angeboten. Aus dem Stadtarchiv und anderen Quellen hat sie manches zusammengetragen, das den Stolz der Stadtoberen um 1970 spiegelt. Eine Werbebroschüre präsentiert das Autobahnkreuz Leverkusen in seiner Gestalt eines vierblättrigen Kleeblatts formatfüllend auf Seite eins. Noch stärker spricht der Erneuerungswille aus dem seinerzeit von der Kommune in Auftrag gegebenen Imagefilm über Leverkusen als „autogerechte Stadt“. Er beginnt mit dem Abriss eines roten Backsteingebäudes, vermutlich des alten, aus der Gründerzeit stammenden Rathauses,
das einer mit Parkhäusern unterfütterten City aus Beton weichen musste. Die anschließend werkelnden Bauarbeiter erscheinen im Film wie erneuerungsbeflügelte Heroen aus dem sozialistischen Realismus.
Wie selbstbewusst der Betonbau die Welt eroberte, zeigt sich ebenso in den Fotografien von Sue Barr: riesige Stelzen einer Autobahn, unmittelbar vor die Front eines italienischen Mietshauses gesetzt. Heute dagegen bröckelt es an den hochgemuten Architekturen von einst, in Leverkusen ebenso wie in Italien. Der Straßenverkehr droht im Stau zu ersticken, doch wundersamerweise eröffnet ihm die Digitalisierung eine Fülle von Fortsetzungen.
Der letzte Teil der Ausstellung sucht diese dem Auge verborgenen Wege sichtbar zu machen. Ingrid Burrington hat die uns umgebenden Netzwerk-Infrastrukturen als eine verdeckte Landschaft kartografiert. Ihre grafisch ergänzten
Fotografien zeigen die Unterseekabel, welche die britische Regierung und die NSA zu Spionagezwecken anzapften. Edward Snowden lieferte das Material dazu. Henrik Spohler verbildlicht die immateriellen Datenströme anhand von Aufnahmen der Serverräume, und der erfahrene Autobahn-Künstler Thomas Bayrle füllt in einer Filmprojektion einen Kopf mit elf sich ständig verändernden Spuren von Highways.
Auch Clement Valla bringt noch einmal die gute alte Autobahn ins Spiel, auch ihm allerdings dient sie nur noch als Objekt der Digitalisierung. Auf seiner Wandtapete verformt sich eine Autobahn unter dem ständig von neuen Daten gesteuerten Blick von Google Earth zu einem weichen, verfließenden Straßennetz, als hätte Dalí es gemalt.
Info Im Internet werden Podcasts zur Ausstellung angeboten: www.museum-morsbroich.de