Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Piraten greifen wieder häufiger Schiffe an
Lange war es das Horn von Afrika, nun ist der Golf von Guinea die gefährlichste Seezone für Containerschiffe geworden.
Der Verband Deutscher Reeder (VDR) schlägt Alarm: Die Seeräuberei hat, weitgehend unbemerkt, weltweit wieder bedrohlich zugenommen. Das belegen die Zahlen des Internationalen Schifffahrtsbüros (IMB) der Internationalen Handelskammer. 2015 schien, vor allem vor Somalia und am Horn von Afrika, die Piraterie erfolgreich eingedämmt – offenbar eine Fehleinschätzung.
Denn das IMB meldet nun für
2020 im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg von 162 auf 195 bewaffnete Angriffe: Drei Schiffe seien gekapert, 161 geentert und elf Frachter und Tanker beschossen worden.
20 Angriffsversuche wurden demnach erfolgreich abgewehrt, aber
135 Besatzungsmitglieder entführt, um Lösegeld zu erpressen. Schwerpunkte der Piraterie ist jetzt nicht mehr der Indische Ozean, sondern der Golf von Guinea vor Westafrika und die Straße von Singapur.
Erst am Samstag haben Piraten vor der westafrikanischen Küste das liberianische Containerschiff „Mozart“überfallen. Dabei seien ein Mitglied der Besatzung getötet und 15 weitere Mitglieder entführt worden, meldete die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu. Am 4. Januar gab es einen weiteren Fall an der kongolesischen Küste: Mit Messern bewaffnete Räuber klettern auf einen ankernden Containerfrachter und plündern ihn, während sich die Besatzung im Schiffsinnern in Sicherheit brachte. Einen Tag zuvor gab es einen ähnlichen Überfall vor Indonesien.
Die jahrelange Ruhe war demnach trügerisch. Im November 2008 hatte die deutsche Fregatte „Mecklenburg-Vorpommern“im Golf von Aden sogar scharf schießen müssen, um einen Piratenangriff auf das Kreuzfahrtschiff MS „Astor“abzuwehren. 2010 befanden sich insgesamt 49 Frachter und Tanker mit 1181 Seeleuten in der Gewalt der somalischen Seeräuber. Angriffe und Geiselhaft überlebten Dutzende Besatzungsmitglieder nicht. Die gezahlten Lösegelder stiegen auf
4,5 Millionen Euro pro Schiff; den wirtschaftlichen Schaden bezifferten Experten auf rund 5,3 Milliarden Euro pro Jahr. Die Seeräuberei war in Somalia seit 2007/2008 zu einem regelrechten Wirtschaftszweig geworden; im Schatten dieser Kriminalität florierte ein breites Dienstleistungsgewerbe.
Die Kombination aus Kriegsschiffen vor Ort, privaten Wachmannschaften auf Frachtern und einer verbesserten internationalen Zusammenarbeit hatte zwischenzeitlich gewirkt. Bei internationalen Marineoperationen waren Hunderte Seeräuber getötet oder ins Gefängnis gebracht worden; ungezählte weitere Somalis ertranken beim Untergang ihrer kleinen Boote. Dazu kam der bessere Schutz der Handelsschiffe: Die Reedereien rüsteten sie unter anderem mit Stacheldraht an der Reling, Wasser- und Lärmkanonen sowie Schutzräumen aus, in die die Besatzung im Notfall flüchten und von denen aus die Schiffsmaschine gestoppt werden kann.
Doch rund zehn Jahre später ist – wie bei einem nur scheinbar gelöschten Schwelbrand – das Problem wieder aufgeflammt. So äußert sich der Verband Deutscher Reeder (VDR) tief besorgt: Der Golf von Guinea im Atlantik sei zum neuen Hotspot geworden. haben.
Auch deutsche Schiffe werden laut dem VDR überfallen, deren Seeleute verschleppt und über Wochen als Geisel gehalten. Die Schifffahrt verlangt von den Anrainerstaaten schon lange, mehr zu tun, um die Piraterie in ihren Gewässern zu bekämpfen. „Wir fordern deshalb, dass es zukünftig ähnlich wie vor Somalia ein stets aktuelles und valides Lagebild für die Seeschifffahrt gibt“, sagt Ralf Nagel, geschäftsführendes VDR-Präsidiumsmitglied. Zudem müsse die Europäische Union alles tun, um das Abstimmungsproblem mit den Anrainerstaaten zu lösen: „Wir steuern sonst auf eine für die deutsche und internationale Schifffahrt dramatische Situation zu, wie seinerzeit am Horn von Afrika.“
Immer mehr Angriffe finden weit von der Küste entfernt statt. Vor diesem Hintergrund rät das IMB Schiffen in der Region, mindestens 250 Seemeilen von der Küste entfernt zu bleiben und sich vor dem Be- und Entladen einen sicheren Liege- oder Ankerplatz zu suchen. Der Anstieg der Zahl von Attacken auf Schiffe in der Straße von Singapur hat sich seit dem vierten Quartal 2019 fortgesetzt; 2020 wurden 23 Überfälle gemeldet. Die Internationale Handelskammer verzeichnete 2020 für Somalia keinen Angriff mehr, spricht aber nicht von Entwarnung: „Die Piraten in Somalia besitzen weiterhin die Fähigkeit, Angriffe im Somali-Becken und im Indischen Ozean durchzuführen. Kapitäne und Besatzung müssen vorsichtig sein, wenn sie diese Gewässer durchqueren.“