Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Das Mondfisch-Mysterium

Die bis zu zwei Tonnen schweren Tiere leben normalerwe­ise bei Neuseeland – immer häufiger werden sie aber auch an der US-Westküste angespült.

- VON BARBARA BARKHAUSEN

Es war ein kleines Wunder: 2019 wurde ein Mondfisch an der Küste Kalifornie­ns angespült, der dort gar nichts verloren hatte. Denn eigentlich lebt Mola tecta auf der Südhalbkug­el. Zumindest war die Spezies dort 2015 erstmals an einem Strand in der Nähe von Christchur­ch in Neuseeland entdeckt worden – die erste neue Mondfisch-Art seit 130 Jahren. Als vier Jahre später die Bilder des angespülte­n Fisches vom Ölsickerfe­ld Coal Oil Point Reserve in der Nähe von Santa Barbara um die Welt gingen, riefen sie auch die Forscherin auf den Plan, die die Spezies einst beschriebe­n und ihr ihren Namen gegeben hatte: Marianne Nyegaard, eine dänische Meereswiss­enschaftle­rin, die am Auckland Museum in Neuseeland arbeitet.

„Ich konnte es kaum fassen“, beschrieb Nyegaard den Moment, als sie die Fotos aus den USA sah. Seitdem hat die Nachricht sie nicht losgelasse­n. Denn bisher dachte die Wissenscha­ft, dass Mola tecta kühlere Gewässer bevorzugt – südlich von Australien und Neuseeland, Südafrika oder Südamerika. „Wie hat der Fisch den Äquator überquert und ist bis nach Kalifornie­n gekommen?“, fragte Nyegaard.

Ein Zufall lässt sich beinahe schon ausschließ­en, denn der Mondfisch, der 2019 angespült wurde, ist inzwischen nicht mehr das einzige Exemplar von Mola tecta, das vor der amerikanis­chen Küste auftauchte. Wenige Monate später entdeckten Taucher mindestens zwei weitere Fische in der Monterey Bay. „Und inzwischen haben wir von Tieren bis vor der Küste Alaskas gehört“, berichtete die Forscherin, die begann, die Reisen der Tiere mithilfe von Amateurwis­senschaftl­ern – sogenannte­n Citizen Scientists – nachzuvoll­ziehen.

Die Suche ist zeitaufwen­dig: „Teilweise komme ich mir wie ein Troll auf Social Media vor, wenn ich Posts über Jahre hinweg durchsuche, um Hinweise auf den Fisch zu finden“, sagte Nyegaard. Die Pandemie kommt der Forscherin derzeit zugute: Denn seit Menschen weltweit von zu Hause arbeiten, gelang es der Dänin, eine wahre „Armee aus Bürgerwiss­enschaftle­rn“zu mobilisier­en. „Vor allem Menschen in den USA und Kanada haben mir geholfen“, sagte sie. Teilweise hätten die Leute mehrere Jahre altes Material herausgekr­amt. Aus der kurzen Abhandlung, die die Forscherin anfangs im Sinn hatte, ist inzwischen eine große Studie geworden. „Und wir sind noch lange nicht fertig“, sagte die Dänin.

Dass sich so viele Menschen für Mondfische begeistern lassen, zeigt, welche Faszinatio­n die Tiere ausüben. Die Fische, die im Englischen „Sunfish“genannt werden, weil sie sich ab und zu zur Seite neigen und im Meer sonnen, können bis zu zwei Tonnen schwer werden. Allein ihre Größe beschert ihnen eine Menge Aufmerksam­keit. Zudem zeigen sie sich nicht häufig an der Oberfläche oder in Küstennähe. Meist halten sie sich in mehreren Hundert Meter Tiefe auf, wo sie kleinere Tiere wie Quallen jagen.

Findet der Mensch einzelne Exemplare der Tiere, wird auch heute noch oft in den Medien darüber berichtet. Beispielsw­eise machte die Strandung von gleich drei Mondfische­n auf Tasmanien Anfang dieses Jahres Schlagzeil­en. Und dieses Interesse reicht bereits Hunderte Jahre zurück: „Es gibt Beschreibu­ngen der Tiere in Dokumenten, die ins 15. und 16. Jahrhunder­t zurückgehe­n“, erzählte die dänische Forscherin. In einem Buch des Schweizer Naturforsc­hers Conrad Gessner aus dem 16. Jahrhunder­t sind sie neben Bildern von Meerjungfr­auen und Seeungeheu­ern abgebildet.

Auch als ein Zoologe 1882 einen Mondfisch im Hafen von Sydney entdeckte, war die Aufregung groß. Um den eine Tonne schweren Mola ramsayi an Land zu karren, brauchte es einen Kran und einen Lastwagen. Der Fisch landete zunächst in Australien im Museum, bis er ins Naturkunde­museum in London gelangte.

Obwohl Nyegaards Wissenssam­mlung stetig anwächst, hat die Forscherin nach wie vor keine definitive Antwort auf die Frage gefunden, warum Mola tecta seit einigen Jahren auch vor den Vereinigte­n Staaten auftaucht. „Ist der Klimawande­l oder eine intensive La-NiñaPhase verantwort­lich?“, rätselte sie über die Rolle des mit starken Passatwind­en verbundene­n Wettererei­gnisses. Auch andere Forscher vermuten, dass die Erwärmung der Ozeane dahinterst­ecken könnte, dass die Tiere bis in die Gewässer Alaskas gewandert sind. Auch der „Blob“, eine warme Wassermass­e, die sich 2014 und 2015 über den Pazifik ausbreitet­e, könnte eine hohe Zahl an Mondfische­n in arktische Gewässer gelockt haben, die normalerwe­ise zu kalt für sie wären.

Vielleicht lebt Mola tecta aber auch schon seit sehr langer Zeit vor der US-Küste und hatte sich bisher einfach nur gut versteckt. Denn nicht umsonst bedeutet das lateinisch­e Wort „tecta“im Namen des Fisches übersetzt „verdeckt“oder „verborgen“.

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FOTO: NATURAL HISTORY MUSEUM LONDON Der riesige Mondfisch Mola tecta kommt nur selten in flachere und kältere Gewässer.

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