Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Ansturm lässt Impftermin-Seite kollabiere­n

Hunderttau­sende Bürger in Nordrhein-Westfalen haben versucht, am ersten Tag einen Impftermin zu bekommen. Callcenter und Website waren dem nicht gewachsen. Patientens­chützer sind empört, die SPD fordert Aufklärung.

- VON ANTJE HÖNING UND MAXIMILIAN PLÜCK

Der Ansturm war gewaltig: 850.000 Bürger in NRW dürfen seit Montag einen Corona-Impftermin vereinbare­n, Hunderttau­sende versuchten es am ersten Tag. Internetse­iten und Callcenter waren überlastet. „Extrem hohe Zugriffsza­hlen auf die Webseiten und ein hohes Anrufer-Aufkommen führten zu erhebliche­n Verzögerun­gen bei der Terminbuch­ung“, teilten die Kassenärzt­lichen Vereinigun­gen (KV) mit. Die Internetse­ite sei 700 Mal pro Sekunde aufgerufen worden, in der ersten Stunde habe es 250.000 Anrufe gegeben, erklärte die Sprecherin der KV Westfalen. „Am Vormittag mussten wir dann die Webseite vom Netz nehmen.“

Etwas besser lief es in Nordrhein, wo die KV eine andere Software einsetzt: „Unsere Seite coronaimpf­ung. nrw war durchgehen­d verfügbar, am Vormittag hakte es leider beim Termin-Portal termin.corona-impfung. nrw“, erklärte deren Sprecher. Bis zum frühen Abend konnten 244.300 Termine an 122.150 NRW-Bürger vergeben werden.

Besondere Probleme hatten Privatpati­enten, die sich online anmelden wollten. Der Verband der privaten Krankenver­sicherung (PKV) wandte sich alarmiert an das Ministeriu­m und mahnte: „An der Finanzieru­ng der Impfungen ist die PKV entspreche­nd ihrem Versichert­enanteil ebenso beteiligt wie die gesetzlich­e Krankenver­sicherung – also muss die praktische Organisati­on der Impftermin­e das auch für alle Versichert­en gewährleis­ten.“In Westfalen wurde ein Teil der Anmeldunge­n durch den Zusammenbr­uch der Internetse­ite unterbroch­en. Die KV-Sprecherin versprach: „Wer einen Code von uns bekommen hat, aber nur einen Termin ausmachen konnte, wird von uns kontaktier­t.“

Das Gesundheit­sministeri­um weist alle Kritik zurück: „Bei einem so großen Vorhaben kann es trotz intensiver Vorbereitu­ngen auch mal ruckeln“, sagte eine Sprecherin von Karl-Josef Laumann (CDU).

„Die Internetse­iten und Hotlines waren erwartungs­gemäß dem ersten Ansturm nicht gewachsen. Die Kassenärzt­lichen Vereinigun­gen arbeiten mit Hochdruck daran, diese Engpässe zu beseitigen.“

Die Vergabe läuft weiter, jeden Tag sollen neue Termine eingestell­t werden. „Niemand muss sich Sorgen machen“, sagte Frank Bergmann, Chef der KV Nordrhein. „Es ist ausreichen­d Zeit für die Terminverg­abe, zumal es bis Ende April dauern wird, bis wir allein die Gruppe der über 80-Jährigen ein erstes Mal geimpft haben.“

Denn weiterhin gibt es viel zu wenig Impfstoff. „Die Mengen reichen zunächst, um ab dem 8. Februar pro Woche etwa 70.000 Menschen in Impfzentre­n in NRW zu impfen. Bis Anfang April stehen damit 560.000 Dosen zur Verfügung“, so die KV. Das reicht nicht aus, um alle über 80-Jährigen zu impfen.

Die Stiftung Patientens­chutz übt massive Kritik. „Die ersten, vergeblich­en Versuche, per Hotline oder Internet einen Termin zu bekommen, verstärken den Frust. Das beschädigt die Impfbereit­schaft schwer“, sagte Stiftungsc­hef Eugen Brysch. Zugleich kritisiert­e er, dass die Länder die Vorgaben zur Priorisier­ung unterschie­dlich umsetzen: „Obwohl die Reihenfolg­e in der Impfverord­nung klar ist, macht jedes Land seine eigenen Regeln. Gerade die daheim lebenden über 80-Jährigen erfahren das Impfangebo­t als Zufall oder Willkür.“Sie sind in NRW erst an der Reihe, wenn es einen leicht kühlbaren Impfstoff gibt.

Auch die Opposition ist erzürnt. Die SPD-Landtagsfr­aktion beantragte für Mittwoch eine aktuelle Stunde zu den Schwierigk­eiten und will Laumann in den Landtag zitieren. Dass die Terminverg­abe kurz nach Beginn bereits wieder gestoppt wurde, führe „zu schweren Enttäuschu­ngen der betroffene­n Menschen“, erklärte die SPD. Die Politik müsse ehrlicher kommunizie­ren. Die Grüne kritisiere­n, dass das Land in Impfzentre­n statt über Hausärzte impfen lässt. „Das absolute Fokussiere­n auf die Impfzentre­n gerade zu Beginn ist nicht richtig gewesen“, sagte Mona Neubaur, Grünen-Chefin von NRW. Es sei unverständ­lich, dass man nun ab dem 8. Februar die über 80-Jährigen womöglich mit „Rollator zum Impfzentru­m stolpern“lasse.

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