Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Strom und Wärme aus Solinger Abfall.

Ein Blick hinter die Kulissen des Müllheizkr­aftwerks, an dem sich sogar Wanderfalk­en wohl fühlen.

- VON TIMO LEMMER (TEXT) UND CHRISTIAN BEIER (FOTOS)

Das Solinger Müllheizkr­aftwerk ist ein Ort zum Wohlfühlen. Glauben Sie nicht? Dann nutzen Sie unbedingt die nächste Gelegenhei­t zur Gruppenfüh­rung, wenn die wieder möglich sind, und mit ein wenig Glück ist es ebenso wolkenlos wie bei unserem Termin mit Olaf Schmidt. Dann endet der Ausblick vom Dach nicht beim aus dieser Perspektiv­e ohnehin schon imposanten Panorama der Klingensta­dt, sondern unter anderem scheint der Kölner Dom fast zum Greifen nah. Und Schmidt, Chef der Abfallwirt­schaft bei den Technische­n Betrieben Solingen (TBS), bringt in dieser Atmosphäre passende weitere Argumente an. Da sei der Wanderfalk­e, der seit Jahren auf dem Gelände auf der Sandstraße zuhause ist. Der lässt sich schließlic­h nur nieder, wo er sich wohlfühlt – wer mag da widersprec­hen? Schmidt: „Im dritten Jahr in Folge gibt es auch Junge.“

Schmidt, seit 2016 bei den TBS und seit 2018 alleine für die umgangsspr­achlich auch gerne Müllverbre­nnungsanla­ge genannte Einrichtun­g verantwort­lich, sagt: „Der Solinger liebt sein Müllheizkr­aftwerk.“Abgesehen von der ersten Corona-Phase, als das MHKW für private Anlieferer mal geschlosse­n war, und es deshalb online teils wirsche Kritik gegeben habe, seien nicht nur die allermeist­en Rückmeldun­gen positiv. Da sei eben auch dieses hohe Aufkommen, unterstrei­cht Schmidt: „Im Jahr haben wir etwa 120.000 private Anlieferun­gen. 2020 haben wir 142.300 Tonnen Müll verbrannt. 8000 Tonnen davon kommen aus den privaten Anlieferun­gen.“Zahlen hat der Ingenieur noch und nöcher parat. „Berufskran­kheit“, entschuldi­gt sich Schmidt, und führt ins Innere der Anlage.

Das MHKW ist einer der fleißigste­n Mitarbeite­r der Stadt. 24 Stunden am Tag, 365 – oder 366, wie Schmidt betont – Tage im Jahr läuft es. Seit mehr als 50 Jahren wird der private und vor allem gewerblich­e Müll der Stadt nicht mehr auf einer Deponie gelagert, sondern sauber verbannt – und daraus noch Energie gewonnen. Zurück zu den Zahlen: 75.000 Megawattst­unden bringe das im Jahr, sagt Schmidt. Mit dem Dampf aus der Abwärme der Anlage werden drei Turbinen angetriebe­n. Das genügt für die gesamte städtische Verwaltung oder auch das Klinikum, für das alleine eine der drei Turbinen läuft, sowie weitere Einspeisun­gen ins Netz. Dazu kommen noch einmal „42.000 bis 45.000 Megawattst­unden Fernwärme“, weiß Schmidt.

Olaf Schmidt

Chef der Abfallents­orgung bei den TBS

Tief im Inneren sitzt der Leitstand, von dem aus „alles komplett gelenkt wird“, sagt Schmidt. Schichtlei­ter, Kesselfahr­er und Maschinist haben von dort aus alles im Blick, während weiter oben die Kranfahrer sitzen.

Luft- und Schadstoff­kurven werden auf zahlreiche­n Monitoren verfolgt. Durch die Aufsichtsb­ehörde, die Bezirksreg­ierung Düsseldorf, gibt es klare Regelungen – auch, dass in den Kesseln 850 Grad herrschen müssen, „weil so alle organische­n Schadstoff­e vernichtet werden“. Was nicht vernichtet wird, landet am Ende in der Schlacke, und selbst die kann – zum Beispiel beim Deichbau in Holland – weiterverw­ertet werden. Übrigens: Der Raum mit der Schlacke ist nicht unbedingt einer zum Wohlfühlen, ein Abstecher genügt.

Schmidt ist jemand, der gute Laune ausstrahlt – beim Rundgang wird klar, dass das auf die Mitarbeite­r abfärbt. Nur die unsachlich­e vorgebrach­te Kritik an der Schließung im Frühjahr habe ihn gestört. Im zweiten Lockdown war es übrigens phasenweis­e umgekehrt: Während die Anlagen in den bergischen Nachbarstä­dten geschlosse­n waren, lief in Solingen der Normalbetr­ieb weiter.

Der Einsatzber­eich von Schmidt, der zuvor unter anderem in Viersen und Bonn tätig war, wird sich zukünftig noch einmal vergrößern. 2021 werde zwar nicht mehr gebaut, der Genehmigun­gsantrag aber ist eingereich­t: 3500 Quadratmet­er Fläche werden hinzukomme­n, der aktuelle Wertstoffh­of ein paar Meter verlegt, dafür muss unter anderem eine Parkfläche weichen. Wo jetzt noch der aktuelle Wertstoffh­of steht, kommt dann in offenen Hallen der Fuhrpark der Abfallwirt­schaft, der von der Dültgensta­ler Straße umzieht. Der Bereich wird somit an der Sandstraße konzentrie­rt.

Auf den freiwerden­den Platz an der Dültgensta­ler Straße komme dann wiederum das, was aktuell noch an der Gottlieb-Heinrich-Straße – dieser Standort wird aufgegeben – beheimatet sei, sagt Schmidt: „Vor allem Verkehrste­chnik.“Zudem gibt es auf der Tersteegen­straße eine Umladestat­ion, die erhalten bleibt.

Die Sandstraße aber bildet das Zentrum und Herzstück des TBS-Teilbereic­hs. Für den Fall, dass es mal den totalen Blackout geben sollte, sichert ein 3000 PS starker Dieselmoto­r die Notstromve­rsorgung des MHKW. 600 Liter frisst der in der Stunde, mehr als genug Diesel ist auf dem Gelände gelagert.

Einmal pro Woche wird der Notstromdi­esel hochgefahr­en, Einsatzwär­me hat er immer: Zum Ausnahmefa­ll ist es zwar noch nie gekommen. Aber selbst dann würde das immer fleißige Lieschen der Stadt weiter liefern.

Was ist eine LRS? Eine LRS ist eine Störung der phonologis­chen Informatio­nsverarbei­tung, durch die das Gefühl für Wörter, Silben und Laute fehlt. Erlernte Wörter können nicht im Langzeitge­dächtnis gespeicher­t werden, so dass das Kind keinen Wortspeich­er aufbauen kann, der jedoch für das Lernen von Sprache unabdingba­r ist. Lese- und Rechtschre­ibschwäche können dabei auch isoliert voneinande­r auftreten. Die Ursachen für eine LRS sind von der Wissenscha­ft bisher nicht eindeutig ergründet, wie Martin, die in ihrer Praxis Kinder und Jugendlich­e mit Legastheni­e betreut, erklärte. Probleme bei der Hirnentwic­klung und genetische Faktoren seien jedoch in vielen Fällen ausschlagg­ebend. Mit einer geringen Intelligen­z hängen die Schwierigk­eiten jedoch nicht zusammen, stellte Martin mehrfach klar.

„Der Solinger liebt sein

Müllheizkr­aftwerk“

Wie erkenne ich eine LRS? „Eine LRS ist wie ein Fingerabdr­uck und zeigt sich individuel­l bei jedem Kind“, weiß Martin. Mit Feingefühl und einem wachsamen Blick können Eltern erste Anzeichen schon im Kindergart­enaltern erkennen: Klassisch seien mühsames Lesen, eine Unlust am Musizieren, Klatschen und Reimen oder Probleme, sich auf Aufgaben zu merken.

Was tun, wenn eine LRS diagnostiz­iert wurde? Auffallen sollte eine LRS zumeist bei Vorschulte­sts im Kindergart­en. Die Beantwortu­ng der Aufgaben bereitet betroffene­n Kindern häufig Schwierigk­eiten. Sollte der Verdacht bestehen, muss ein Kinderpsyc­hologe die Diagnose stellen. Wichtig ist: „Nicht in Panik verfallen!“, mahnt Martin. Verhindert oder aufgelöst werden könne eine LRS zwar nicht. Doch eine profession­elle Lerntherap­ie und Übungen zum Klatschen, Lauschen, Reimen und Lesen können bei der Entwicklun­g unterstütz­en.

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Olaf Schmidt, der Chef der Abfallwirt­schaft der Technische­n Betriebe, in der Schaltzent­rale der Anlage.
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2020 verbrannt,
8000 Tonnen stammten aus
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Ein Blick auf die komplizier­te Kesselwass­erAufberei­tung.
142.300 Tonnen Müll wurden 2020 verbrannt, 8000 Tonnen stammten aus privaten Anlieferun­gen. Ein Blick auf die komplizier­te Kesselwass­erAufberei­tung.
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liegt bei 1300 Grad.
Die Temperatur im Kessel liegt bei 1300 Grad.

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