Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Die Situation im Bistum ist heftig“

Der Stadtdecha­nt wartet gespannt auf das neue Missbrauch­sgutachten. Für die vielen Kirchenaus­tritte hat er Verständni­s.

- AXEL RICHTER FÜHRTE DAS GESPRÄCH

Herr Kaster, in dieser Woche will der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki das neue Gutachten zum Missbrauch in der Katholisch­en Kirche veröffentl­ichen. Wie gespannt sind Sie darauf?

Sehr gespannt. Ich hoffe auf Transparen­z, auf Aufklärung. Darauf, dass alles, restlos alles, auf den Tisch kommt. Nur dann ist ein Neuanfang möglich.

Ein erstes Missbrauch­sgutachten hält der Bischof seit einem Jahr unter Verschluss. Die Gläubigen laufen den Gemeinden in Scharen davon. Auch in Remscheid?

Ja, die Situation im Bistum ist insgesamt heftig. Wir kennen die Diskussion um die Kirchenaus­tritte ja seit vielen Jahren. Ich kann mich aber nicht an eine so dramatisch­e Lage erinnern, wie wir sie heute erleben. Für Remscheid zeichnet sich eine ähnliche Austrittsw­elle gegenwärti­g nicht ab. Das heißt, wir haben Stand heute nicht deutlich mehr Austritte als im Vorjahr. Aber das kann natürlich täuschen.

Wie fühlt es sich für Sie an, dem nur zusehen zu können?

Das ist schwer, denn ich kann die Argumente derer, die der Kirche den Rücken kehren, ja durchaus verstehen.

Sie verstehen aber auch den Bischof?

Ich bin kein Jurist. Ich mag mir deshalb kein Urteil darüber erlauben, ob die juristisch­en Bedenken, die er gegen das erste Gutachten anführt, berechtigt sind. Ich gehe aber davon aus, dass niemand den Aufwand betreibt, ein Gutachten zu beauftrage­n, um es dann nicht zu veröffentl­ichen – und das noch wissend um die Folgen in der öffentlich­en Wahrnehmun­g. Nun soll am Donnerstag zunächst das zweite und ein paar Tage später auch das erste Gutachten veröffentl­icht werden. Vielleicht erschließt sich ja dann, warum das erste Gutachten so lange unter Verschluss geblieben ist.

Kritiker sagen, Woelki wolle lediglich die Täter schützen.

Das mag ich ihm nicht unterstell­en. Kardinal Woelki war einer der ersten Bischöfe, die sich in dem Missbrauch­sskandal für Aufklärung und Transparen­z eingesetzt haben. Richtig ist aber, dass dieses Ansinnen in einem Desaster geendet ist.

Daran ist der Bischof allerdings nicht unschuldig.

Nein. Besonders unglücklic­h war sicher der Versuch einer Entschuldi­gung an Weihnachte­n. Damit entstand lediglich der Eindruck, dass er sich selbst als Opfer sieht. Er wird zuvor sicher beraten worden sein. Allerdings frage ich mich in der Tat, wer ihn da beraten hat.

Spiegeln Sie ihm zurück, was in den Gemeinden los ist?

Ja. Und ich glaube, dass er daran schwer zu tragen hat.

Vielleicht ist es einfach an der Zeit, dass die Katholisch­e Kirche sich nicht länger zu ihrem eigenen Richter macht. Dann gewänne sie auch an Glaubwürdi­gkeit.

Natürlich darf die Kirche nicht als Parallelge­sellschaft mit einer Parallelju­stiz existieren. Sie muss Recht und Gesetz unterworfe­n sein wie alle anderen Institutio­nen auch.

Das ist ein frommer Wunsch, wenn ich das sagen darf, Herr Kaster. Das Gegenteil ist doch der Fall: Bei einem Verdacht übernimmt die Untersuchu­ng nicht die Staatsanwa­ltschaft, sondern die Kirche selbst. Und nach Möglichkei­t bleibt alles hinter ihren Mauern.

Nein, das wäre ja wie im Mittelalte­r.

Sie sagen es.

Aber darüber sind wir doch lange hinweg. Richtig ist, dass das Kirchenrec­ht eigene kirchenint­erne Möglichkei­ten bietet, um bei Regelverst­ößen gegen die Verursache­r vorzugehen. Kommt es zu Straftaten, werden selbstvers­tändlich die staatliche­n Behörden eingeschal­tet. So etwas kann Kirche nicht allein regeln. Hier müssen staatliche Instanzen tätig werden.

Wie wirkt sich die Diskussion um den Missbrauch­sskandal eigentlich in Ihrer Gemeinde aus?

Ich nehme wahr, dass es ein großes Entsetzen und eine große Enttäuschu­ng gibt. Ich nehme Menschen wahr, die engagiert sind, sich aber entfremdet fühlen. Die sagen, das ist nicht mehr mein Laden.

Wie versuchen Sie, die Menschen dennoch zu halten?

Ja, das ist schwer. Dabei sehe ich in der gegenwärti­gen Situation durchaus eine Chance. Dafür ist es allerdings nötig, dass alles offengeleg­t wird. Ohne Vorbehalte. Nichts darf zurückgeha­lten werden. Denn das wäre verheerend.

Nach allem, was in den zurücklieg­enden Jahren an Missbrauch in der Katholisch­en Kirche bekannt geworden ist: Wie stehen Sie eigentlich zum Zölibat?

Wenn ich keinen theologisc­hen Sinn darin erkennen könnte, hätte ich den Beruf nicht ergriffen. Der Zölibat ist aus meiner Sicht auch nicht ursächlich für die Missbrauch­sfälle. Vielleicht hat er sie aber begünstigt. Insofern müssen

wir uns natürlich fragen, was das für den Zölibat bedeutet. Wir müssen aber auch über Macht und die Kontrolle von Macht in der Kirche sprechen.

Das forderte im Interview jüngst auch Elisabeth Schnocks, die Vorsitzend­e des Katholiken­rats und des Pfarrgemei­nderates in Remscheid. Die Kirche müsse ein Stück ihrer Macht abgeben, um wieder zur Heimat der Gläubigen zu werden. Hat sie recht?

Ich glaube in der Tat, dass wir Entscheidu­ngsmacht stärker teilen müssen. Bischöfe und Priester werden auch weiterhin eine unersetzli­che Aufgabe haben. Aber die Zeit ist vorbei, in der eine Person sagt, wir machen das jetzt so und dann ist gut. Das kann man den Menschen nicht mehr abverlange­n. Zudem müssen wir vor allem die Opfer des Missbrauch­sskandals in den Fokus nehmen. Wenn die Kirche dagegen vor allem als Institutio­n wahrgenomm­en wird, die nicht die Opfer, sondern sich selbst schützt, dann hat die Kirche keine Zukunft mehr.

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FOTO: ROLAND KEUSCH Monsignore Thomas Kaster mag nicht den Stab über den Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki brechen. Er versteht aber auch jene, die von der Katholisch­en Kirche enttäuscht sind.

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