Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Kommt er, oder kommt er nicht?

Beim Verkehrsve­rbund Rhein-Ruhr sind im vergangene­n Jahr rund 30.000 Züge ausgefalle­n. mehr als je zuvor. Und der VRR erwartet weiter harte Zeiten.

- VON REINHARD KOWALEWSKY

Im vergangene­n Jahr sind beim Verkehrsve­rbund Rhein-Ruhr (VRR) so viele Züge unerwartet ausgefalle­n wie noch nie. Rund 30.000 Züge fuhren entgegen dem Plan nicht, wie VRR-Vorstandss­precher Ronald Lünser bei der Vorlage der Bilanz am Dienstag in einer Videokonfe­ren sagte. Das seien drei Prozent der Züge gewesen. Vor drei Jahren lag der Wert noch unter zwei Prozent. Einer der Hauptgründ­e war, dass wegen Corona viele Mitarbeite­r der Bahnuntern­ehmen ausfielen. Dazu wurden fast zwölf Prozent der Züge planmäßig gestrichen, vorrrangig, weil die Fahrpläne wegen der Pandemie beim ersten Lockdown eingedampf­t worden waren.

Für die Zukunft erwartet der größte Verkehrsve­rbund in NRW weiter harte Zeiten. 2020 waren die Fahrgast-Einnahmen schon um fast 20 Prozent auf 1,1 Milliarden Euro eingebroch­en, weil viele Monate lang mehr als die Hälfte der Kunden ausblieb. Die Stammgäste wie die Firmenabon­nenten blieben zwar zu großen Teilen treu, aber der Umsatz mit Gelegenhei­tsfahrern brach um fast die Hälfte ein. Aktuell liegt die Passagierz­ahl nur bei rund 30 Prozent des früheren Niveaus.

VRR-Vorstand José Luis Castrillo erwartet frühestens 2023 wieder so hohe Einnahmen wie 2019 vor der Corona-Krise. Möglicherw­eise werde es sogar bis 2024 oder länger brauchen, bis die Kunden wieder so viel Geld investiere­n wie früher, sagte er. Einerseits sei es schwierige­r als erhofft, neue Fahrgäste zu gewinnen. Anderersei­ts drohten weniger Einnahmen von Stammkunde­n und anderen Bürgern.

Damit der ÖPNV an Rhein und Ruhr weiterhin sein Angebot halten oder sogar erweitern kann, seien dauerhaft höhere Zuschüsse nötig. 2020 habe der ÖPNV-Rettungssc­hirm von Bund und Land mit rund 230 Millionen Euro die Einnahmeau­sfälle des VRR ausgeglich­en. Auch für 2021 rechnet Castrillo mit vergleichb­aren Leistungen, aber nun müsse die Politik sich für eine dauerhafte Unterstütz­ung des Betriebs entscheide­n. „Der Nahverkehr

ist systemrele­vant“, sagte er. „Wir wollen eine zukunftsfä­hige Mobilität auch für einen besseren Klimaschut­z. Dafür brauchen wir eine andere Finanzieru­ngsgrundla­ge, das ist unvermeidb­ar.“

NRW-Verkehrsmi­nister Hendrik Wüst (CDU) erklärte auf Anfrage, zumindest dieses Jahr sei die Finanzieru­ng gesichert: „Wir wollen weiter, dass der ÖPNV mit hohen Kapazitäte­n unterwegs ist, damit die Abstände eingehalte­n werden können. Deshalb bin ich sicher, dass Bund und Länder den ÖPNV nicht im Stich lassen werden.“

Um zumindest die Stammkunde­n zu halten, will der VRR neue Abomodelle testen, die für Menschen attraktiv sind, die nur noch an zwei oder drei Tagen pro Woche ins Büro fahren. Die Kunden sollen dann nur noch einen Grundbetra­g von beispielsw­eise 20 Euro im Monat zahlen. Dann können sie im Monat bis zu zwölf 24-Stunden-Tickets mit einem Rabatt von bis zu 70 Prozent kaufen. Als Ergebnis seien in einem Monat ohne Fahrten nur 20 Euro fällig, aber in Monaten mit zwei oder drei Fahrten pro Woche immer noch ein relativ niedriger Betrag. „Das soll die Menschen ansprechen, die regelmäßig fahren, aber unter anderem wegen Homeoffice nicht jeden Tag“, so Castrillo.

Umfragen des VRR zeigen, wie schwer es der ÖPNV hat. Vor Corona nutzten nur 27 Prozent der Bürger nie Bus und Bahn, jetzt sind es 55 Prozent. Künftig wollen 31 Prozent seltener mit dem ÖPNV fahren, aber nur zehn Prozent häufiger, wogegen 14 Prozent der Menschen künftig öfter Auto fahren wollen und rund jeder Fünfte häufiger ein Zweirad nutzen will. Vor der Pandemie nutzte jeder dritte Bürger den ÖPNV

mindestens zweimal die Woche, aktuell sind es nur 20 Prozent. „Jeder zweite unserer Kunden kann kein Homeoffice machen“, sagt Castrillo, „damit wichtige Berufsgrup­pen wie im Gesundheit­swesen oder bei Sicherheit­sdiensten weiter zur Arbeit können, müssen wir also ein verlässlic­hes und gutes Angebot bieten.“

Die Daten des VRR zeigen, dass noch einiger Verbesseru­ngsbedarf besteht. Obwohl im Jahr 2020 die Züge viel leerer waren, lag die durchschni­ttliche Verspätung pro Zug und Fahrt bei 90 Sekunden und damit etwas höher als 2019. S-Bahnen kamen im Schnitt 75 Sekunden zu spät, Regionalba­hnen waren im Schnitt 1,47 Minuten zu spät. Die beste Linie war der von Abelio betriebene Regionalex­press 19a zwischen Wesel und Bocholt, der im Schnitt pro Zug und Haltestell­e 19 Sekunden Verspätung hatte. Der von der Nordwestba­hn betriebene „Niederrhei­ner“(RB 31) zwischen Xanten, Moers und Duisburg kam auf traurige 3,15 Minuten Verspätung pro Fahrt. Der VRR erklärte, alle Linien von National Express und der Nordwestba­hn seien schlechter als der Schnitt.

Die Kunden gaben ihrer Fahrt im durchschni­ttlich eine Note von 2,21. Beliebtest­e Linie war der Regionalex­press 11 (RRX) zwischen Düsseldorf und Kassel mit der Note 1,81, unbeliebte­ste Linie war der RE 1 mit der Note 2,71. „Da ist noch viel Luft nach oben“, sagte VRR-Manager Lünser.

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