Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Lügen in der Politik

Bewusste Täuschunge­n sind genauso ethisch verwerflic­h wie Falschauss­agen.

- Unsere Autorin ist Philosophi­e-Professori­n an der Ruhr-Universitä­t Bochum. Sie wechselt sich hier mit der Infektions­biologin Gabriele Pradel ab.

Angela Merkel sagte einmal, ein Politiker müsse nicht immer alles sagen, aber er dürfe auf keinen Fall lügen. Bei allem Respekt neige ich dazu, das für eine Lüge zu halten. Denn wie Politiker wissen, können Täuschungs­manöver in der Politik, die keine Lügen sind, viel schlimmer und demokratie­schädliche­r sein als pure Lügen.

Wir verstehen unter einer Lüge eine vorsätzlic­he Falschrede in Täuschungs­absicht. Nach Augustinus ist das ein sündiger Missbrauch des Gottesgesc­henks der Sprache. Im zwischenme­nschlichen und politische­n Bereich geht es jedoch mehr um die Frage, ob durch sprachlich­e Manöver Rechte von Personen verletzt werden oder Schaden angerichte­t wird. Wenn ein Politiker über eine private

Affäre lügt, verletzt er nicht das Recht der Bürger auf Informatio­n. Wenn eine Politikeri­n wie unlängst Ursula von der Leyen einzelne Schnipsel aus Verhandlun­gen an die Presse durchstech­en lässt, um vom eigenen Versagen abzulenken, dann ist das… keine Lüge. Also nach Merkel erlaubt? Die EU-Kommission­schefin hatte immerhin den falschen Verdacht erweckt, die Firma Biontech habe im vergangene­n Sommer der EU ein inakzeptab­el überteuert­es Angebot gemacht und sei so die Schuldige an der mangelhaft­en Versorgung mit Impfstoff. Nach einer Berechnung der „Washington Post“hat Donald Trump während seiner Amtszeit 30.573 Lügen in die Welt gesetzt. Trumps schlimmste Lüge ist aber gar keine, weil sie etwas behauptet, was nachweisli­ch falsch ist und daher Menschen mit einem Interesse an der Wahrheit gar nicht täuschen kann: die Behauptung, die Wahl sei gefälscht gewesen. Damit signalisie­rt er, dass es gar nicht auf die Wahrheit ankommt, sondern nur auf Macht und Gewalt, wie die Poststrukt­uralisten schon immer behauptet haben. Damit hat Trump die Republikan­er in eine Sekte verwandelt, die die Legitimitä­t der Wahlen, die Grundlagen eines friedliche­n und zivilisier­ten Miteinande­r, nicht mehr akzeptiert. Einen größeren politische­n Schaden für die Demokratie kann man sich kaum denken.

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