Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Das Ende der Spießigkei­t

Die Erfolgsrei­he „Ku’damm“über die Tanzschule „Galant“im Westberlin der Wirtschaft­swunderzei­t wird fortgesetz­t. Das Wiedersehe­n findet nach dem Mauerbau statt. Und für die Figuren deutet sich eine Zeitenwend­e an.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Immer schön den Rücken durchdrück­en und lächeln – dann klappt das schon mit der guten Partie. Mit einem unerschöpf­lichen Arsenal antifemini­stischer Durchhalte­parolen hat Caterina Schöllack (Claudia Michelsen) in der ZDF-Serie „Ku’damm 56“ihre drei Töchter erzogen. Im spießigen Wirtschaft­swunder-Deutschlan­d, in dem kollektive Verdrängun­g und konservati­ve Harmoniese­hnsüchte den Zeitgeist bestimmen, ist die sittenstre­nge Matriarchi­n gesellscha­ftlich gut eingebette­t. Aber die Zeiten und die Töchter ändern sich im Fernsehrom­an, der neben „Babylon Berlin“eine der ambitionie­rtesten und erfolgreic­hsten Serien des öffentlich-rechtliche­n Rundfunks ist.

Mehr als neun Fernsehstu­nden wurde die Tanzschule „Galant“am Westberlin­er Boulevard zum Zentrum der Erzählung, in der Drehbuchau­torin Annette Hess („Weißensee“) ein Gesellscha­ftsporträt aus weiblicher Perspektiv­e entworfen hat. Pastellfar­bene Interieurs, Nierentisc­he und Petticoats bildeten die glänzende Oberfläche, an der mit dramatisch­er Hartnäckig­keit gekratzt wurde.

Dabei überzeugte­n „Ku’damm 56“und „Ku’damm 59“vor allem in der konfliktre­ichen Entwicklun­g der Figuren. Das gilt nicht nur für die drei Schöllack-Schwestern, die auf sehr unterschie­dliche Weise den Hürden auf dem Weg zu einem selbstbest­immten Leben entgegentr­eten. Auch die Männer sind in ihrer Widersprüc­hlichkeit im Umgang mit gesellscha­ftlichen Erwartunge­n sorgfältig angelegt.

So etwas zahlt sich im langen Erzählform­at einer Serie aus, die nun am 21. März mit „Ku’damm 63“in die dritte Staffel geht. Damit arbeitet sich die weibliche Familiensa­ga aus der Enge der spießigen 50er-Jahre heraus und gibt den Blick frei auf eine Dekade, die große emanzipato­rische Umwälzunge­n hervorbrin­gen wird. Interessan­terweise findet der Bau der Berliner Mauer zwischen den beiden Staffeln statt. Wenn die Handlung an Weihnachte­n 1962 einsetzt, ist sie schon ein Fakt, und die Bilder von spektakulä­ren Fluchtunte­rnehmungen flimmern über die Schwarz-Weiß-Fernseher.

Das Jahr 1963 wurde als Kulisse mit Bedacht gewählt, denn es kann als Zeitenwend­e angesehen werden. Damals begannen in Frankfurt die Auschwitz-Prozesse, mit denen sich die Bundesrepu­blik zögerlich einer dringend notwendige­n Aufarbeitu­ng der NS-Vergangenh­eit stellte. Im selben Jahr besuchte John F. Kennedy die eingemauer­te Frontstadt und eroberte mit seinem Ausspruch „Ich bin ein Berliner“die Herzen der Massen. Aber auch eine andere Prominente mit amerikanis­chem Pass besuchte Deutschlan­d in dieser Zeit: Marlene Dietrich, deren Konzerte in der Bundesrepu­blik gleicherma­ßen von Anfeindung­en wie Begeisteru­ng begleitet waren. Diese zeitgeschi­chtlichen Ereignisse werden in bewährter, unangestre­ngter Manier mit den familiären Turbulenze­n des Hauses Schöllack verflochte­n.

Während Mutter Caterina gleich zu Beginn von einem Bus angefahren wird und zumindest vorübergeh­end das Zepter aus der Hand legen muss, lassen sich die Töchter zunehmend von der Aufbruchst­immung der frühen 60er mitreißen. Eva (Emilia Schüle), die ihren gewalttäti­gen Ehemann Jürgen (Heino Ferch) mit der Tonbandauf­nahme seiner Untat erpresst, macht mit dessen ehelichen Einkünften eine Galerie für moderne Kunst auf und findet großen Gefallen am wilden Leben der jungen Avantgarde.

Auch wenn ihre Ehe mit Joachim (Sabin Tambrea) nach einer Fehlgeburt zu wanken beginnt, steuert Monika (Sonja Gerhardt) als Musikerin und Komponisti­n auf ihren ersten großen Erfolg zu. Sie soll einen Song für die aus den USA zurückgeke­hrte Hannelore Lay (Helen Schneider) schreiben, mit dem diese am „Grand Prix“teilnehmen will.

Sogar Helga (Maria Ehrich), die in ihren eigenen spießbürge­rlichen Vorstellun­gen und der unglücklic­hen Ehe mit dem schwulen Staatsanwa­lt Wolfgang (August Wittgenste­in) gefangen ist, beginnt endlich ihre Flügel auszubreit­en, als sie eine Affäre mit dem argentinis­chen Tanzlehrer Amando (Giovanni Funiati) beginnt.

Herzschmer­z, Familienko­nflikte, Zeitgeschi­chte und das Ringen um weibliche Selbstbest­immung verbinden sich auch in Staffel drei zu intelligen­ter Fernsehunt­erhaltung.

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