Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
ANSICHTSSACHE
Welche Konsequenzen muss es geben, nachdem sich Verantwortungsträger des Klinikums gegen Corona haben impfen lassen, obwohl sie noch längst nicht dran waren? Klar ist, dass ein Schaden entstanden ist – vor allem in immaterieller Hinsicht.
Der moralische Kompass hat versagt.
Die Verantwortlichen in Klinikum und Politik mögen meinen, die Sache sei mit einigen bedauernden Erklärungen ausgestanden. Aber sie sollten sich besser keiner Illusion hingeben. Denn nachdem bekannt geworden ist, dass sich sowohl die Klinikum-Geschäftsführung, als auch der Aufsichtsratschef des größten Solinger Krankenhauses gegen Corona haben impfen lassen, obwohl mindestens zwei der drei Personen in dieser Gruppe, nämlich der Kaufmännische Geschäftsführer Dr. Martin Eversmeyer und Aufsichtsrat Kai Sturmfels (CDU), noch längst nicht an der Reihe waren, ist ein Schaden entstanden, der nachwirken wird.
Seit einem Jahr leben in Solingen und anderswo vor allem ältere Menschen in einer sprichwörtlichen Todesangst, weil von Medizinern und Politikern immer wieder darauf hingewiesen wird, dass eine Corona-Infektion tödlich enden kann. Es gibt Menschen, die über Monate hinweg ihre Wohnung nicht verlassen haben aus Furcht, sich anzustecken. Und ausgerechnet in einer solchen Situation der zumindest partiell auch bewusst geschürten Panik wollen die verfrühten Impfkandidaten im Klinikum nicht erkannt haben, dass sie am Tag ihrer Impfung einfach noch nicht an der Reihe gewesen sind, dass sie anderen, weitaus bedürftigeren Menschen den Impfstoff wegnehmen?
Bei allem Verständnis – das können sie erzählen, wem sie wollen. Die Öffentlichkeit in der Klingenstadt wird es ihnen zu Recht nicht abnehmen. Denn selbstverständlich wäre es an jenem 2. Januar 2021, einem Samstag, möglich gewesen, unter den fast 2000 Mitarbeitern des Klinikums Leute zu finden, die eher dran gewesen wären. Zum Beispiel Angestellte, die tagtäglich an der „Front“stehen und ihrerseits seit Monaten mit der Angst leben, bei der Arbeit einen gefährdeten Patienten anzustecken.
All das wäre – auch ohne Prioritätenliste – zu erkennen und umzusetzen gewesen. Allerdings hätte es für eine solche Einsicht eines moralischen Kompasses bedurft, der ganz offenkundig an besagtem Tag nicht vorhanden war. Was wiederum zur Folge haben wird, dass das speziell in Zeiten der Krise dringend nötige Vertrauen in Autoritäten schweren Schaden nimmt.
Wie groß dieser Schaden bereits ist, wurde dabei nicht zuletzt in den Wochen nach der Impfung deutlich. So tauchten im Klinikum anonyme Mails auf, in denen das Verhalten der Krankenhaus-Geschäftsführung thematisiert und angegriffen wurde. Wobei sich ziemlich schnell danach zeigte, wie gut die anonymen Verfasser der E-Mails seinerzeit daran taten, sich eben nicht aus ihrer selbst gewählten Deckung zu trauen. Denn tatsächlich hieß es nun, die Mail-Schreiber hätten Vertrauen gebrochen. Weswegen für die Betreffenden kaum mehr ein ernsthafter Zweifel daran bestehen konnte, dass sie für den Fall einer „Enttarnung“wohl mit unangenehmen Konsequenzen zu rechnen gehabt hätten.
Dies jedoch ist, mit Verlaub, eine ebenso beliebte wie infame Methode, die Verantwortung kurzerhand umzudrehen – und darum ein Verhalten, das sich schlicht nicht gehört. Womit wir einmal mehr beim springenden Punkt sind. Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die sich so eindeutig von selbst verstehen sowie verbieten, dass man für sie keine formalen Regeln und auch keine festgelegte Impfreihenfolge braucht.
Bleibt zuletzt die Frage nach Konsequenzen. Die jedoch kann einzig durch die Betroffenen beantwortet werden. Oder präziser: Sie ist schon beantwortet worden – nämlich dahingehend, dass es zunächst keine Konsequenzen geben soll. Ob sich die Solinger Öffentlichkeit indes damit abspeisen lässt, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Der Versuch der CDU-Fraktion von dieser Woche, die Kritik an ihrem Mitglied Kai Sturmfels als „rein politisch organisierte Hetze“abzutun, reicht jedenfalls nicht. Es ist schon richtig, dass rechtlich an der Impfung nichts auszusetzen ist. Aber zwischen Recht und Gerechtigkeit breitet sich bekanntermaßen ein weites Feld aus. Und um sich dort nicht zu verlieren, bedarf es des erwähnten moralischen Kompasses.