Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Ein Schutz vor negativen Schwingung­en

Evelyn Taocheng Wang gastiert im Kunstverei­n mit einem vielseitig­en Parcours, den sie „Reflection Paper“nennt.

- VON ANNETTE BOSETTI

Der Weg in die Ausstellun­g ist eine einzige Überraschu­ng. Auf den ersten Blick sieht alles nämlich verharmlos­end schön aus, was sich im Obergescho­ss der Kunsthalle auftut. „Reflection Paper“heißt die Schau, mit der Evelyn Taocheng Wang noch bis 2. Mai im Kunstverei­n für die Rheinlande und Westfalen gastiert. Fast klischeeha­ft hat sie den Außenberei­ch „möbliert“, besser: inszeniert. Zart getönte Markisen in Türkis und Rosa beschatten einige an die Wand gestellte Vitrinen. Richtung Grabbeplat­z hängen übergroße Damenunter­hosen auf Wäschestän­dern. Die dazugehöri­ge Zeichnung liefert die Gebrauchsa­nleitung: Alte Großmütter tragen solche Ungetüme, die man bis zu den Ohren hochziehen muss, um sich vor negativen Schwingung­en zu schützen. Auch die große Fenstersch­eibe zum Draußen ist abgeklebt. So sperrt man mit einfachen Mitteln die Welt aus.

Am besten erwirbt man nun noch den von der Künstlerin entworfene­n blauen Overall, zieht ihn an, um ganz und gar konzentrie­rt in das aufwühlend­e Versuchsfe­ld einzudring­en. Der Overall aus Wolle ist eine Art Anstaltskl­eidung, die Geschlecht, Größe und Identität zu nivelliere­n vermag, die den Betrachter auspolster­t und in die Lage versetzt, frei zu subjektive­n Untersuchu­ngen aufzubrech­en.

„Gute Nacht, Verstand“, kommentier­t Wang ihre eigene Ausstellun­g, und entschuldi­gt ihre eigenen Unzulängli­chkeiten. „Ich habe mich durch Seiten, Texte, Sprachkurs­e, Verwaltung­sapparate und durch Farbkombin­ationen, in Schichten aufgetrage­n, gequält, um weise zu werden.“Weise ist so ein Zauberwort, das sie in der Verehrung für bedeutende Künstlerin­nen anklingen lässt. Auf dem Prinzip der Meditation ruht ihr ausgefeilt­es Vorgehen. Ihr Untersuchu­ngsgegenst­and ist das Leben, das Frausein, die Politik, die Gesellscha­ft, aber auch die Transzende­nz, das Menschsein, der Moment.

„Stell dir vor“, so hat es Wang auf einer der Schau vorangeste­llten Illustrati­on notiert, „der Düsseldorf­er Kunstverei­n ist (wäre) eine Klinik.“Sie will in der pulsierend­en Kunststadt am Rhein wie ein poetischer Pathologe die Lage sondieren, Diagnosen stellen, Befunde präsentier­en. Ihre eigenen Gedanken und Emotionen will die in China geborene Erzählerin in einer künstleris­ch vielfältig­en Verortung reflektier­en. Sie zitiert Ingeborg Bachmann in ihren fein säuberlich notierten, kostbaren Versen und Agnes Martin in ihrem minimalist­ischen, zart getönten Expression­ismus. Wang konstruier­t ihre – thematisch oftmals feministis­ch geprägten – Tableaus, indem sie schreibt, malt, zeichnet und collagenha­ft Material zusammenfü­gt, bis das alles einen Sinn ergibt.

Die 40-Jährige hat ihre Wurzeln bewahrt, und doch klingen die Einflüsse ihres Lebens in Europa an. Mittlerwei­le lebt sie als niederländ­ische Staatsbürg­erin in Rotterdam, hat im Anschluss an ihr Studium in China an der Städelschu­le in Frankfurt Kunst studiert, in Mönchengla­dbach war sie städtische Stipendiat­in in den Jahren 2019/20.

Wangs in Düsseldorf auf Zeit errichtete „Klinik“soll eine Denkfabrik sein. Nach dem Willen der Künstlerin ist sie als kreisförmi­g angelegter Garten mit Eingangsto­ren angelegt, mit einer kaltweiß lackierten Aufenthalt­squalität. Hinter dem Vorhang ist ein Ort für ihre Filme aufgebaut. In China muss der Künstler vorsichtig sein mit politische­n Botschafte­n. Wang weiß ihre Botschafte­n zu verpacken. Nicht einmal die Werktitel weisen auf Politik, auf Unterdrück­ung, Sexismus und Schikanen hin. Manche Bilder und Zeichnunge­n sind zum Dechiffrie­ren angetan. Wer sie zu Ende studiert, dem gefriert das Blut.

Die Kunst der Evelyn Taocheng Wang ist vielfältig und beeindruck­end schön. Sie beherrscht die Farbe beim meditative­n Tönen von Papier, sie zeichnet zügig in einem präzisen, dabei melancholi­sch angehaucht­en Illustrati­onsstil. Dem Material wird die höchste Aufmerksam­keit geschenkt. Am oberen Rand der monochrome­n Papierarbe­iten hat sie die Papiere dreieckig zum Eselsohr gefaltet und ihren signalrote­n

Stempel als Signatur draufgeset­zt.

Wangs Kunst untersucht Grenzerfah­rungen von Identität. Sie verbaut Hässliches und Wahres zu Schönem und Formvollen­detem. Dabei konservier­t sie Geheimniss­e über den Menschen und gibt gleichzeit­ig Geheimniss­e des Alltags preis.

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FOTO: DETLEF ILGNER Evelyn Taocheng Wang gastiert derzeit mit einer Ausstellun­g am Grabbeplat­z.
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CARLOS ISHIKAWA/
FONS WELTERS ?? Die Bleistiftz­eichnung „Clinic Sis“ist Teil der Schau „Reflection
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FOTO: ANTENNA SPACE/ CARLOS ISHIKAWA/ FONS WELTERS Die Bleistiftz­eichnung „Clinic Sis“ist Teil der Schau „Reflection Paper“.

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