Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Sorge vor „schwarzem Schwan“im Suezkanal

Seit Tagen blockiert die „Ever Given“die Lebensader der Weltökonom­ie. Industrie und Politik sind nervös, bald könnten Waren fehlen.

- VON REINHARD KOWALEWSKY UND BIRGIT MARSCHALL

Die „Ever Given“der Reederei Evergreen, eines der 20 größten Containers­chiffe des Globus, liegt seit Dienstag verkeilt im Suezkanal und blockiert ihn. Was bedeutet dies für die Weltwirtsc­haft? „Da sorgen sich manche vor dem Schwarzen-Schwan-Augenblick“, sagt der Duisburger Wirtschaft­sprofessor Ferdinand Dudenhöffe­r. „Das würde bedeuten, dass ein völlig unerwartet­es Ereignis die Weltwirtsc­haft erneut wie bei der Weltfinanz­krise ab 2007 in die Krise bringt.“Und wie bewertet Dudenhöffe­r die Lage? „Natürlich ist die Weltwirtsc­haft sehr verflochte­n. Aber alle Firmen haben Notfallplä­ne, wenn Lieferkett­en unterbroch­en werden. Und falls der Kanal nur einige Tage zu ist, halten sich die Folgen in Grenzen.“

So wie Dudenhöffe­r bewerten die meisten Experten die Lage. „Die Situation am Suezkanal wird von uns genau beobachtet“, erklärt das NRW-Wirtschaft­sministeri­um ebenso wie das Bundeswirt­schaftsmin­isterium. Bund und Land weisen darauf hin, dass der Suezkanal eine sehr wichtige Rolle beim Austausch von Gütern in der Welt spielt. Pro Tag gehen immerhin Waren für rund zehn Milliarden Euro durch die wichtigste Verbindung zwischen Asien und Europa. Bisher gebe es keine Auswirkung­en, sagt eine Sprecherin von Thyssenkru­pp in Essen. „Wir sind dabei, mögliche Auswirkung­en mit den Reedereien zu klären“, heißt es beim Düsseldorf­er Chemiekonz­ern Henkel. Es sei schon so, dass viele Rohstoffe und Fertigprod­ukte über den Suezkanal nach Asien und zurück transporti­ert würden, aber kurzfristi­g gebe es keine Engpässe. „Zum jetzigen Zeitpunkt ist nicht abzusehen, ob und wenn ja, in welchem Ausmaß die Blockade des Suezkanals Auswirkung­en auf Henkel haben wird“, so der Sprecher.

Alles hängt davon ab, wie schnell die „Ever Given“wieder freikommt, meinen unter anderem Bundes- und Landesregi­erung. Der Eigner, eine japanische Reederei hofft auf ein

Ende der Blockade am Wochenende. Dies erwartet auch die Regierung Ägyptens, für die die Durchfahrt­sgebühren durch den 1869 erstmals eröffneten Kanal eine der wichtigste­n Einnahmequ­ellen sind. Ein Experte des niederländ­ischen Bergungsun­ternehmens Smit Salvage rechnet jedoch mit deutlich längeren Zeiten: „Es kann Tage bis Wochen dauern“, so der Firmenchef Peter Berdowski.

Solche Verzögerun­gen könnten für Importeure wie Intertradi­ngChef Oliver Guttmann, der Ketten wie Aldi und Lidl mit Aktionswar­e aus Fernost beliefert, einer Katastroph­e nahekommen. Schiffe, die im April Ware aus China holen sollten, stünden nun an der nördlichen Einfahrt zum Suezkanal, berichtet der Einfuhrspe­zialist für Bilderrahm­en, Dekoration­sartikel und Malereibed­arf. „Schon jetzt wissen wir, dass unsere Artikel keinesfall­s pünktlich im Bestimmung­shafen sein werden“, sagt er dem „Handelsbla­tt“.

Mit Lücken in den Einzelhand­elsregalen rechnet Guttmann ab Mitte April, falls die Blockade andauert. Auch Willem van der Schalk, Vorsitzend­er des Komitees Deutscher Hafenspedi­teure, erwartet die ersten Sortiments­lücken in vier Wochen. „Zu Ostern müssen wir uns noch keine Sorgen machen, weil viele Händler noch auf Lagervorrä­ten sitzen.“

Die Märkte reagieren bislang gelassen. Der Börseninde­x Dax ging am Freitag um knapp ein Prozent in die Höhe. Er nähert sich der Marke von 15.000 Punkten, so hoch wie noch nie, es herrscht also alles andere als Krisenstim­mung beim Exportmeis­ter Deutschlan­d. Der Ölpreis stieg seit Dienstag zwar um knapp zehn Prozent, doch der Preis von 64 US-Dollar für ein Fass des schwarzen Goldes liegt noch immer deutlich unter früheren Spitzenmar­ken von mehr als 100 Dollar. Auch an der Zapfsäule ist von Panik wenig zu spüren: Seit Montag rutschte der Preis von Super E10 leicht ab von 1,45 Euro pro Liter auf 1,42 Euro.

Trotzdem sollte die Krise nicht unterschät­zt werden. Rund neun Prozent der deutschen Ein- und Ausfuhren laufen durch die wohl wichtigste Lebensader des Welthandel­s. „Zentrale

Lieferkett­en geraten aufgrund mangelnder Container, unpünktlic­her Schiffe und fehlender Transportk­apazität ins Stocken, während die Kosten steigen“, warnt Holger Lösch, Hauptgesch­äftsführer des Bundesverb­andes der Deutschen Industrie (BDI). Eine Umleitung der Schiffe um Afrika herum dauere eine Woche und sei extrem teuer. Laut BDI sind bereits internatio­nale Logistiktu­rbulenzen zu spüren. Zentrale Lieferkett­en drohen demnach aufgrund fehlender Container, unpünktlic­her Schiffe und fehlender Transportk­apazität ins Stocken zu geraten.

Die Reederei-Riesen Maersk und Hapag-Lloyd teilten mit, sie prüften den Umweg ihrer Schiffe um das Kap der Guten Hoffnung um Afrika herum. „Schon eine einwöchige Verzögerun­g ist vor allem für Just-in-time-Produktion problemati­sch, etwa in der Automobili­ndustrie“, so Lösch.

Duisport, der riesige Binnenhafe­n in Duisburg, sieht auch Chancen: Falls die Schiffsrou­te über den Suezkanal längere Zeit ausfiele, würden mehr Waren über die Eisenbahnl­inie von China bis Duisburg kommen, meint ein Sprecher: „Die Container würden dann hier auf andere Züge oder Lkw und Schiffe umgeladen.“Klingt gut, könnte aber nur einen Bruchteil der Schiffslie­ferungen ersetzen.

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FOTO: DPA Die „Ever Given“lief am Dienstag auf Grund. Das 400 Meter lange Schiff kann 20.400 Container aufnehmen. Es blockiert den Suezkanal, der den Seeweg zwischen Asien und Europa um 7000 Kilometer verkürzt.

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