Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
„Viele Menschen gehen bewusst aus den Städten“
Die Landesbauministerin über die Debatte um Bauverbote für Einfamilienhäuser, ihre Haltung zu Schrottimmobilien und den Segen der Digitalisierung.
Frau Ministerin, laut Umfragen bevorzugen die Deutschen das Wohnen im Einfamilienhaus. Wie sehr freut es Sie als Wahlkämpferin, wenn die Grünen dem einen Riegel vorschieben wollen?
SCHARRENBACH Ein solcher Vorstoß ist schlicht dirigistisch und passt zur Baupolitik der Grünen. Es muss doch den Bürgern überlassen sein, wie sie wohnen möchten. Viele Menschen sparen unverändert für das Eigentum, sei es nun das Haus oder die Wohnung. Der Staat sollte sie bei dieser Art der Altersvorsorge unterstützen und sie nicht verhindern.
Haben Sie als Land überhaupt einen Durchgriff auf Kommunen, wenn diese den Bau von Einfamilienhäusern verbieten?
SCHARRENBACH Nein. Wo und wie gebaut werden darf, entscheiden die Städte in eigener Zuständigkeit. Mir ist aber auch kein einziger Stadtrat in NRW bekannt, der derartig kontraproduktive Vorstellungen hätte. Mein Verständnis von Baupolitik ist es, den Menschen dabei zu helfen, ihren Traum vom Eigenheim zu realisieren. Das sehen die allermeisten Kommunen genauso.
Bauland ist aber knapp. Welche Ideen haben Sie diesbezüglich?
SCHARRENBACH Aktives Bodenmanagement ist ein wesentlicher Schlüssel. Hier unterstützen wir die Kommunen mit umfangreichen Förderinstrumenten. Auch ländliche Kommunen managen ihren Wohnraum wieder aktiv. Baugenehmigungen für Eigenheime sind in NRW mit einer Zahl von 12.000 im vergangenen Jahr im Übrigen rückläufig. Der Geschosswohnungsbau hat dagegen deutlich angezogen. NRW ist und bleibt aufgrund seiner Struktur ein Mietwohnland.
Wie sehen Sie ein Bauland-Vorkaufsrecht für Kommunen?
SCHARRENBACH Von einem proaktiven Vorkaufsrecht halte ich nichts. Wir haben ein Vorkaufsrecht im Baurecht, wenn jemand verkaufen möchte. Das reicht aus und wird auch genutzt. 2019 haben die Kommunen erstmals wieder eine halbe Milliarde Euro in neuen Boden investiert. Sie sind da extrem aktiv.
Wie wollen Sie verhindern, dass das Wohnen in den Ballungsräumen zum Luxusgut wird?
SCHARRENBACH Der Trend ist doch gegenläufig. Wir erleben vielmehr ein Abflachen des Mietniveaus. Köln hat Einwohner an das Umland verloren bei einem gleichzeitigen Neubau von Wohnungen. Viele Menschen gehen bewusst aus den großen Städten heraus – etwa wenn sie Kinder bekommen.
Klimatechnisch müssen Sie die Menschen nah am Job halten.
SCHARRENBACH Das Trennen von Wohnung und Arbeit ist Folge der veralteten Bundesgesetzgebung. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn die Menschen das Pendeln reduzierten. Das würde allerdings auch bedeuten, dass sie arbeitsplatzverursachte Beeinträchtigungen am Wohnort akzeptieren müssen, beispielsweise Lärm. Das bekommt man aber bei neuen Bauprojekten mit Technik und Innovation hin. Alternativ hat aber auch die Corona-Pandemie gezeigt, dass Teile der Arbeit ins Homeoffice verlagert werden können. Das wird auch nach der Pandemie weiter so sein. Zudem spalten einige Unternehmen ihre Konzernzentralen auf und verteilen sie mit Hilfe von Co-Working-Spaces aufs Umland. Auch das wird zunehmen, reduziert Anfahrtswege und bringt Wohnen und Arbeiten wieder näher zusammen.
Sie wollen das Baugenehmigungsverfahren komplett digitalisieren. Wie weit sind Sie?
SCHARRENBACH Wir haben vor wenigen Tagen den Antragsassistenten freigeschaltet und vergangene Woche alle Oberbürgermeister und Landräte angeschrieben und dafür geworben, dass sie das System so schnell wie möglich einführen. Wir haben einen Austausch-Standard eingeführt, um alle Schnittstellenprobleme abzuräumen. Das haben andere Bundesländer nicht gemacht. Ein Bauantrag bleibt zwar individuell, weil jeder Bau Eigenarten mit sich bringt. Die Routinen kriegen Sie aber massiv beschleunigt. Ohnehin gibt es bei uns Tempo: Mit einem Plus von 7,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr liegt NRW bei den Baugenehmigungen deutlich über dem Bundesschnitt von nur 2,2 Prozent. Das gibt uns schon das gute Gefühl, dass der Instrumentenkoffer zur Förderung von mehr Wohnungsbau der richtige ist.
Welche Rolle spielt zur Generierung von Wohnraum der Bestand?
SCHARRENBACH Das ist einer der wichtigsten Aspekte. Mit der Eigentumsförderung des Landes gelingt es uns, dass junge Menschen alten Gebäudebestand kaufen. Rot-Grün hatte dieses Instrument völlig zerschossen. Wir müssen einen praktischen Tausch von „Jung kauft von Alt“hinbekommen. Das setzt aber voraus, dass es ausreichend barrierefreien Wohnraum für ältere Menschen in den kleineren Orten gibt. Diesem Thema widmen sich immer mehr Kommunen. Da stelle ich aber ein Umdenken der Kommunen fest.
Im sozialen Wohnungsbau läuft bei vielen Objekten die Mietbindungen aus. Sollten die Kommunen stärker selbst soziale Wohnungsbau-Unternehmen gründen?
SCHARRENBACH Wir haben eine Reihe sehr erfolgreicher, städtischer Unternehmen, die teils über 100 Jahre am Markt sind. Ich bin allerdings keine Verfechterin von Neugründungen. Sie benötigen dort entsprechendes Fachpersonal, Sie müssen lange Vorlaufzeiten einkalkulieren und Sie konkurrieren um das knappe Bauland. Ich bin der Überzeugung, dass die freie Wirtschaft das besser im Griff hat.
Welche Option bleibt dann den Kommunen?
SCHARRENBACH Die Bodenpolitik. Sie können beim Verkauf des eigenen Grunds Bedingungen an den Käufer stellen, um ausreichend bezahlbaren und barrierefreien Wohnraum zu schaffen. Das ist das effektivere Mittel. Hier stehen wir den Kommunen mit der Förderung zur Seite.
Sie haben in der Vergangenheit wiederholt kritisiert, dass es für die Städte zu schwierig sei, Geschäftsräume im Wohnraum umzuwandeln oder umgekehrt. Sind Sie dort beim Bund weitergekommen?
SCHARRENBACH Diese Möglichkeit muss dringend ins Baugesetzbuch. Der Gesetzentwurf aus Berlin ist mutlos. Er ist sehr von staatlichen Eingriffen geprägt und bewirkt damit das Gegenteil von Baulandmobilisierung. Alle sprechen über Multifunktionalität von Innenstädten. Ich habe aber ein Bundesgesetz, das in den 50er-Jahren stehen geblieben ist und einzig auf die autogerechte Stadt abzielt. Wenn man eine Mischnutzung haben will, eine Stadt der kurzen Wege, und zugleich einen gesetzlichen Rahmen hat, der das verhindert, dann läuft doch was falsch. Ich bin unverändert mit dem Bund im Gespräch. Die Veränderungen werden mit aller Macht kommen. Die große Koalition muss jetzt zügig handeln und auch den Mut haben, eine Innovationsklausel in das Gesetz aufzunehmen und NRW damit Experimentierräume zugestehen. Dann könnten wir mal zeigen, wie es richtiger gehen kann.
Haben Sie schon Pläne, wo diese Eperimentierfelder liegen könnten?
SCHARRENBACH Mit unserem Sofortprogramm für die Innenstädte haben wir in einem ersten Schritt den Städten und Gemeinden Ende vergangenen Jahres 40 Millionen Euro bewilligt. Da sind mehrere Projekte dabei, die man noch mal mutig aufstocken könnte, um mit dem ganz großen Besteck an die Innenstadt heranzugehen und nicht nur mit dem Filetiermesser.
Für viele Städte sind Schrottimmobilien ein Problem. Gibt es Ansätze, sie hier besser zu unterstützen?
SCHARRENBACH Wenn es städtebaulichen Missstand gibt, dann können die Kommunen das nach dem neuen Baurecht auch per Vorkaufsrecht tun. Offen ist die Frage, ob wir eine Obergrenze für den Wert festschreiben können, denn oft gibt es Spekulanten, die bereitwillig jeden Preis für eine Schrottimmobilie zu bezahlen. Dann ist der Kommune doppelt nicht geholfen. Denn sie kommt dann nicht mehr mit und das Objekt wird trotzdem nicht entwickelt. Darüber diskutieren Bund und Länder noch. Daneben schulen wir unsere Kommunen, welche Rechtsinstrumente es gibt, um auch so an diese Immobilien zu kommen oder die Missstände abzustellen.
Wie kann man Neubauten klimafreundlicher machen?
SCHARRENBACH Da haben wir bereits gute Standards. Die EU-Kommission wird die Gebäuderichtlinie zum Ende des Jahres noch einmal überprüfen. Dann erwarte ich auch, dass es in Deutschland wieder eine Debatte geben wird. Aber ich persönlich bin für Technologie-Offenheit. Beim Neubau erleben wir jetzt leider sehr häufig, dass die Gebäude in eine Winterdecke gepackt werden, diese aber im Sommer nicht verschwindet. Das Kühlen ist ökologischer Unsinn. Dämmung ist nicht alles. Ein anderes Beispiel ist die Photovoltaik. Ganz viele Vermieter wären bereit, auf ihre Häuser Solarpanels zu packen. Das scheitert aber am „Mieterstrom“: Steuerliche Nachteile und Probleme bei der Abgabe der Energie an die Mieter führen dazu, dass praktisch kein Vermieter einen Anreiz hat. Wenn der Bund die Energiewende ernst nimmt, muss er auch hier schleunigst nachbessern und die gesetzliche Bremse lösen.
Welche Klimapotenzial sehen Sie bei Bestandsbauten?
SCHARRENBACH Die Hälfte des Wohnungsbestands in NRW ist zwischen 1949 und den 1970er-Jahren entstanden. Viele Gebäude sind energetisch noch nicht optimiert. Wir sprechen in vielen Fällen noch über Öl- oder Nachtspeicherheizung. Beides ökologischer Irrsinn. Im Rahmen der Wohnraumförderung haben wir da schon mit Förderungen und Tilgungsnachlässen eine Modernisierungsoffensive gestartet und sparen derzeit schon 5000 Tonnen CO2 im Jahr ein.
Was ist mit dem frei finanzierten Bestand?
SCHARRENBACH Die großen Herausforderungen sind die Ein- und Zweifamilienhäuser. Ältere Eigentümer überlegen es sich dreimal, ob sie das Haus noch einmal von links auf rechts ziehen. Deswegen wollen wir die Eigenheimbesitzer gezielt ansprechen und ihnen die Sanierungspfade und Fördermöglichkeiten aufzuzeigen. Das erste Ziel muss es sein, die sehr alten Ölheizungen herauszubekommen. Manchmal sind die Menschen alleine schon von der Fülle der Informationen erschlagen. Wir nehmen sie deshalb ein bisschen an die Hand auf dem Weg zur Treibhausgasneutralität.