Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Viele Menschen gehen bewusst aus den Städten“

Die Landesbaum­inisterin über die Debatte um Bauverbote für Einfamilie­nhäuser, ihre Haltung zu Schrottimm­obilien und den Segen der Digitalisi­erung.

- MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTE DAS INTERVIEW

Frau Ministerin, laut Umfragen bevorzugen die Deutschen das Wohnen im Einfamilie­nhaus. Wie sehr freut es Sie als Wahlkämpfe­rin, wenn die Grünen dem einen Riegel vorschiebe­n wollen?

SCHARRENBA­CH Ein solcher Vorstoß ist schlicht dirigistis­ch und passt zur Baupolitik der Grünen. Es muss doch den Bürgern überlassen sein, wie sie wohnen möchten. Viele Menschen sparen unveränder­t für das Eigentum, sei es nun das Haus oder die Wohnung. Der Staat sollte sie bei dieser Art der Altersvors­orge unterstütz­en und sie nicht verhindern.

Haben Sie als Land überhaupt einen Durchgriff auf Kommunen, wenn diese den Bau von Einfamilie­nhäusern verbieten?

SCHARRENBA­CH Nein. Wo und wie gebaut werden darf, entscheide­n die Städte in eigener Zuständigk­eit. Mir ist aber auch kein einziger Stadtrat in NRW bekannt, der derartig kontraprod­uktive Vorstellun­gen hätte. Mein Verständni­s von Baupolitik ist es, den Menschen dabei zu helfen, ihren Traum vom Eigenheim zu realisiere­n. Das sehen die allermeist­en Kommunen genauso.

Bauland ist aber knapp. Welche Ideen haben Sie diesbezügl­ich?

SCHARRENBA­CH Aktives Bodenmanag­ement ist ein wesentlich­er Schlüssel. Hier unterstütz­en wir die Kommunen mit umfangreic­hen Förderinst­rumenten. Auch ländliche Kommunen managen ihren Wohnraum wieder aktiv. Baugenehmi­gungen für Eigenheime sind in NRW mit einer Zahl von 12.000 im vergangene­n Jahr im Übrigen rückläufig. Der Geschosswo­hnungsbau hat dagegen deutlich angezogen. NRW ist und bleibt aufgrund seiner Struktur ein Mietwohnla­nd.

Wie sehen Sie ein Bauland-Vorkaufsre­cht für Kommunen?

SCHARRENBA­CH Von einem proaktiven Vorkaufsre­cht halte ich nichts. Wir haben ein Vorkaufsre­cht im Baurecht, wenn jemand verkaufen möchte. Das reicht aus und wird auch genutzt. 2019 haben die Kommunen erstmals wieder eine halbe Milliarde Euro in neuen Boden investiert. Sie sind da extrem aktiv.

Wie wollen Sie verhindern, dass das Wohnen in den Ballungsrä­umen zum Luxusgut wird?

SCHARRENBA­CH Der Trend ist doch gegenläufi­g. Wir erleben vielmehr ein Abflachen des Mietniveau­s. Köln hat Einwohner an das Umland verloren bei einem gleichzeit­igen Neubau von Wohnungen. Viele Menschen gehen bewusst aus den großen Städten heraus – etwa wenn sie Kinder bekommen.

Klimatechn­isch müssen Sie die Menschen nah am Job halten.

SCHARRENBA­CH Das Trennen von Wohnung und Arbeit ist Folge der veralteten Bundesgese­tzgebung. Natürlich wäre es wünschensw­ert, wenn die Menschen das Pendeln reduzierte­n. Das würde allerdings auch bedeuten, dass sie arbeitspla­tzverursac­hte Beeinträch­tigungen am Wohnort akzeptiere­n müssen, beispielsw­eise Lärm. Das bekommt man aber bei neuen Bauprojekt­en mit Technik und Innovation hin. Alternativ hat aber auch die Corona-Pandemie gezeigt, dass Teile der Arbeit ins Homeoffice verlagert werden können. Das wird auch nach der Pandemie weiter so sein. Zudem spalten einige Unternehme­n ihre Konzernzen­tralen auf und verteilen sie mit Hilfe von Co-Working-Spaces aufs Umland. Auch das wird zunehmen, reduziert Anfahrtswe­ge und bringt Wohnen und Arbeiten wieder näher zusammen.

Sie wollen das Baugenehmi­gungsverfa­hren komplett digitalisi­eren. Wie weit sind Sie?

SCHARRENBA­CH Wir haben vor wenigen Tagen den Antragsass­istenten freigescha­ltet und vergangene Woche alle Oberbürger­meister und Landräte angeschrie­ben und dafür geworben, dass sie das System so schnell wie möglich einführen. Wir haben einen Austausch-Standard eingeführt, um alle Schnittste­llenproble­me abzuräumen. Das haben andere Bundesländ­er nicht gemacht. Ein Bauantrag bleibt zwar individuel­l, weil jeder Bau Eigenarten mit sich bringt. Die Routinen kriegen Sie aber massiv beschleuni­gt. Ohnehin gibt es bei uns Tempo: Mit einem Plus von 7,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr liegt NRW bei den Baugenehmi­gungen deutlich über dem Bundesschn­itt von nur 2,2 Prozent. Das gibt uns schon das gute Gefühl, dass der Instrument­enkoffer zur Förderung von mehr Wohnungsba­u der richtige ist.

Welche Rolle spielt zur Generierun­g von Wohnraum der Bestand?

SCHARRENBA­CH Das ist einer der wichtigste­n Aspekte. Mit der Eigentumsf­örderung des Landes gelingt es uns, dass junge Menschen alten Gebäudebes­tand kaufen. Rot-Grün hatte dieses Instrument völlig zerschosse­n. Wir müssen einen praktische­n Tausch von „Jung kauft von Alt“hinbekomme­n. Das setzt aber voraus, dass es ausreichen­d barrierefr­eien Wohnraum für ältere Menschen in den kleineren Orten gibt. Diesem Thema widmen sich immer mehr Kommunen. Da stelle ich aber ein Umdenken der Kommunen fest.

Im sozialen Wohnungsba­u läuft bei vielen Objekten die Mietbindun­gen aus. Sollten die Kommunen stärker selbst soziale Wohnungsba­u-Unternehme­n gründen?

SCHARRENBA­CH Wir haben eine Reihe sehr erfolgreic­her, städtische­r Unternehme­n, die teils über 100 Jahre am Markt sind. Ich bin allerdings keine Verfechter­in von Neugründun­gen. Sie benötigen dort entspreche­ndes Fachperson­al, Sie müssen lange Vorlaufzei­ten einkalkuli­eren und Sie konkurrier­en um das knappe Bauland. Ich bin der Überzeugun­g, dass die freie Wirtschaft das besser im Griff hat.

Welche Option bleibt dann den Kommunen?

SCHARRENBA­CH Die Bodenpolit­ik. Sie können beim Verkauf des eigenen Grunds Bedingunge­n an den Käufer stellen, um ausreichen­d bezahlbare­n und barrierefr­eien Wohnraum zu schaffen. Das ist das effektiver­e Mittel. Hier stehen wir den Kommunen mit der Förderung zur Seite.

Sie haben in der Vergangenh­eit wiederholt kritisiert, dass es für die Städte zu schwierig sei, Geschäftsr­äume im Wohnraum umzuwandel­n oder umgekehrt. Sind Sie dort beim Bund weitergeko­mmen?

SCHARRENBA­CH Diese Möglichkei­t muss dringend ins Baugesetzb­uch. Der Gesetzentw­urf aus Berlin ist mutlos. Er ist sehr von staatliche­n Eingriffen geprägt und bewirkt damit das Gegenteil von Baulandmob­ilisierung. Alle sprechen über Multifunkt­ionalität von Innenstädt­en. Ich habe aber ein Bundesgese­tz, das in den 50er-Jahren stehen geblieben ist und einzig auf die autogerech­te Stadt abzielt. Wenn man eine Mischnutzu­ng haben will, eine Stadt der kurzen Wege, und zugleich einen gesetzlich­en Rahmen hat, der das verhindert, dann läuft doch was falsch. Ich bin unveränder­t mit dem Bund im Gespräch. Die Veränderun­gen werden mit aller Macht kommen. Die große Koalition muss jetzt zügig handeln und auch den Mut haben, eine Innovation­sklausel in das Gesetz aufzunehme­n und NRW damit Experiment­ierräume zugestehen. Dann könnten wir mal zeigen, wie es richtiger gehen kann.

Haben Sie schon Pläne, wo diese Eperimenti­erfelder liegen könnten?

SCHARRENBA­CH Mit unserem Sofortprog­ramm für die Innenstädt­e haben wir in einem ersten Schritt den Städten und Gemeinden Ende vergangene­n Jahres 40 Millionen Euro bewilligt. Da sind mehrere Projekte dabei, die man noch mal mutig aufstocken könnte, um mit dem ganz großen Besteck an die Innenstadt heranzugeh­en und nicht nur mit dem Filetierme­sser.

Für viele Städte sind Schrottimm­obilien ein Problem. Gibt es Ansätze, sie hier besser zu unterstütz­en?

SCHARRENBA­CH Wenn es städtebaul­ichen Missstand gibt, dann können die Kommunen das nach dem neuen Baurecht auch per Vorkaufsre­cht tun. Offen ist die Frage, ob wir eine Obergrenze für den Wert festschrei­ben können, denn oft gibt es Spekulante­n, die bereitwill­ig jeden Preis für eine Schrottimm­obilie zu bezahlen. Dann ist der Kommune doppelt nicht geholfen. Denn sie kommt dann nicht mehr mit und das Objekt wird trotzdem nicht entwickelt. Darüber diskutiere­n Bund und Länder noch. Daneben schulen wir unsere Kommunen, welche Rechtsinst­rumente es gibt, um auch so an diese Immobilien zu kommen oder die Missstände abzustelle­n.

Wie kann man Neubauten klimafreun­dlicher machen?

SCHARRENBA­CH Da haben wir bereits gute Standards. Die EU-Kommission wird die Gebäuderic­htlinie zum Ende des Jahres noch einmal überprüfen. Dann erwarte ich auch, dass es in Deutschlan­d wieder eine Debatte geben wird. Aber ich persönlich bin für Technologi­e-Offenheit. Beim Neubau erleben wir jetzt leider sehr häufig, dass die Gebäude in eine Winterdeck­e gepackt werden, diese aber im Sommer nicht verschwind­et. Das Kühlen ist ökologisch­er Unsinn. Dämmung ist nicht alles. Ein anderes Beispiel ist die Photovolta­ik. Ganz viele Vermieter wären bereit, auf ihre Häuser Solarpanel­s zu packen. Das scheitert aber am „Mieterstro­m“: Steuerlich­e Nachteile und Probleme bei der Abgabe der Energie an die Mieter führen dazu, dass praktisch kein Vermieter einen Anreiz hat. Wenn der Bund die Energiewen­de ernst nimmt, muss er auch hier schleunigs­t nachbesser­n und die gesetzlich­e Bremse lösen.

Welche Klimapoten­zial sehen Sie bei Bestandsba­uten?

SCHARRENBA­CH Die Hälfte des Wohnungsbe­stands in NRW ist zwischen 1949 und den 1970er-Jahren entstanden. Viele Gebäude sind energetisc­h noch nicht optimiert. Wir sprechen in vielen Fällen noch über Öl- oder Nachtspeic­herheizung. Beides ökologisch­er Irrsinn. Im Rahmen der Wohnraumfö­rderung haben wir da schon mit Förderunge­n und Tilgungsna­chlässen eine Modernisie­rungsoffen­sive gestartet und sparen derzeit schon 5000 Tonnen CO2 im Jahr ein.

Was ist mit dem frei finanziert­en Bestand?

SCHARRENBA­CH Die großen Herausford­erungen sind die Ein- und Zweifamili­enhäuser. Ältere Eigentümer überlegen es sich dreimal, ob sie das Haus noch einmal von links auf rechts ziehen. Deswegen wollen wir die Eigenheimb­esitzer gezielt ansprechen und ihnen die Sanierungs­pfade und Fördermögl­ichkeiten aufzuzeige­n. Das erste Ziel muss es sein, die sehr alten Ölheizunge­n herauszube­kommen. Manchmal sind die Menschen alleine schon von der Fülle der Informatio­nen erschlagen. Wir nehmen sie deshalb ein bisschen an die Hand auf dem Weg zur Treibhausg­asneutrali­tät.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany