Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Hausärzte impfen ab Mittwoch
Der Hausärztepräsident von Nordrhein kritisiert, dass der Impfstart in den Praxen unter Zeitdruck gestrickt sei.
DÜSSELDORF Kurz vor dem Start der Impfungen in den Hausarztpraxen sind noch nicht alle organisatorischen Feinheiten geklärt. „Derzeit warten wir noch auf die aktuellen Unterlagen von der Kassenärztlichen Vereinigung, also die neue Einverständniserklärung und den Aufklärungsbogen. Die werden wir frühestens am Dienstagmorgen herunterladen können“, sagte der Präsident des Hausärzteverbands, Oliver Funken, unserer Redaktion. Das, was dann schon vorbereitet worden sei, sei dann hinfällig und muss teils händisch nachgebessert werden. „Es ist nur ein Indiz dafür, dass beim Start der Impfung in den Hausarztpraxen alles wieder mit heißer Nadel gestrickt wurde. Entsprechend bin ich skeptisch, dass am Dienstag bereits die ersten Impfungen in den Hausarztpraxen schon vorgenommen werden.“Funken rechnet damit, dass frühestens am Mittwoch die Impfstoffe da und die Praxen einsatzbereit seien. „Vorher konnten die Hausärzte aufgrund der unübersichtlichen Astrazeneca-Situation der vergangenen Woche gar nicht absehen, wie viel Impfstoff sie bestellen sollen. Das werden die Apotheken dann erst liefern müssen und anschließend muss es in den Praxen tagesaktuell aufgezogen werden.“Ein Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein bestätigte, dass der offizielle Start der Impfungen in den nordrheinischen Arztpraxen am Mittwoch sei. „
Ein weiteres Hemmnis aus Sicht der Mediziner: Viele Ärzte müssten noch Schulungen für den Impfstoff von Biontech/Pfizer machen. „Ich hoffe, dass sich möglichst viele das Herstellervideo angeschaut haben und wir nicht erneut erleben müssen, dass der Impfstoff etwa unverdünnt auf die Spritzen aufgezogen wird“, so Hausärztepräsident Funken.
Lange Zeit galt der Impfstoff von Biontech/Pfizer wegen seiner hohen
Anforderung mit einer Kühlung von minus 70 Grad Celsius als ungeeignet für den Einsatz über die Praxen. Doch schon Anfang des Jahres signalisierte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU), dass die Hersteller einer längeren Lagerung unter deutlich höheren Temperaturen zugestimmt haben. „Bei der Lagerung von Biontech in den Arztpraxen sehe ich keine Probleme mehr“, sagte Funken und nannte es deshalb auch ärgerlich, dass die Hausärzte erst jetzt ordentlich in die Impfkampagne einbezogen würden. „Jedes von der Politik definierte Ziel lässt sich mit den Impfzentren allein nicht erreichen. Wir müssen mit den Hausarztpraxen endlich vor die Bugwelle kommen.“
Die Hausärzte stellen sich nach der Aussetzung der Astrazeneca-Impfung an die unter 60-Jährigen auf mehr Vorbehalte ein. „In der Behandlung von Patienten spielt Emotionalität oft eine größere Rolle als Rationalität“, sagt der Verbandschef. Die Hausärzte seien aber jetzt gut beraten, wenn sie Astrazeneca an die über 60-Jährigen verimpften. Biontech solle vor allem an die Berufsgruppen und die Chroniker unter 60 Jahren gehen. Letztere seien in den vergangenen Wochen von den Hausärzten identifiziert worden und kämen jetzt der Reihe nach dran. „Natürlich ist das am Anfang eher ein mühsames Geschäft, weil wir nur 20 Biontech-Impfdosen pro Woche haben. Ab Ende April wird es in diesem Bereich erst so richtig losgehen können“, so Funken.
Den bürokratischen Aufwand bezeichnete er als „immens und im Zuge von Astrazeneca noch einmal gestiegen“. Als Arzt müsse man sicherstellen, dass der Patient ordnungsgemäß aufgeklärt ist. „Bislang bezog sich das Gespräch auf Nebenwirkungen mit einer Häufigkeit von eins zu 100.000. Bei Astrazeneca klären wir aber auch intensiv über Vorfälle im Bereich von eins zu einer Million auf. Das ufert schon aus, lässt sich in der augenblicklich angespannten Situation aber wohl nicht anders handhaben.“
Und auf die Ärzte kommt ein weiteres Problem zu: „Viele Menschen werden jetzt versuchen, möglichst schnell bei ihrem Hausarzt, den sie schon seit Jahren kennen, an eine Impfdosis heranzukommen. Diese Diskussionen werden jetzt unweigerlich auf uns zukommen.“Es sei schon mal gut, dass innerhalb der Priorisierungsgruppen die Reihenfolge gelockert worden sei, sagt Funken. Das mache die Abläufe etwas einfacher. „Sie können leider nicht ausschließen, dass da der Arzt in die eine oder andere Richtung möglicherweise einzelne Patienten bevorzugt. Aber am Ende bleibt leider die Erkenntnis, wenn man alles versucht perfekt zu machen, dann kommt man nicht ordentlich vom Fleck.“
Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Josef Neumann, kritisiert, das Festhalten an den zentralen Impfzentren sei von Anfang an ein Fehler gewesen. „Die Landesregierung hätte die
Praxen viel eher als erstes Mittel in die Impfstrategie mit einbeziehen müssen. Aber besser spät als nie.“
Um das Virus nachhaltig in den Griff zu bekommen und die Bürger zu schützen, müsse man den Impfstoff breit in die Fläche bringen. „Dazu gehört auch, weite Wege zu verhindern und abzubauen“, sagt der SPD-Politiker. Er sei deshalb froh, dass die Unterstützung durch die Hausärzte bei der Verimpfung der Bevölkerung jetzt endlich starte. „Der Startschuss kann aber nur ein Auftakt sein – die Praxen müssen mit der Belieferung des Impfstoffes jetzt auch bevorzugt behandelt werden und die wichtigste Rolle in der landesweiten Impfstrategie übernehmen.“
Um noch breiter in die Fläche zu kommen, sollten nach Neumanns Vorstellung auch die Werks- und Betriebsärzte mit in das Gesamtkonzept einbezogen werden – so wie man das auch von der herkömmlichen Grippeschutzimpfung kenne. „Gesundheitsminister Laumann muss dazu jetzt proaktiv tätig werden und mit allen Beteiligten die entsprechende Strategie ausarbeiten“, fordert er.