Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Hausärzte impfen ab Mittwoch

Der Hausärztep­räsident von Nordrhein kritisiert, dass der Impfstart in den Praxen unter Zeitdruck gestrickt sei.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF Kurz vor dem Start der Impfungen in den Hausarztpr­axen sind noch nicht alle organisato­rischen Feinheiten geklärt. „Derzeit warten wir noch auf die aktuellen Unterlagen von der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g, also die neue Einverstän­dniserklär­ung und den Aufklärung­sbogen. Die werden wir frühestens am Dienstagmo­rgen herunterla­den können“, sagte der Präsident des Hausärztev­erbands, Oliver Funken, unserer Redaktion. Das, was dann schon vorbereite­t worden sei, sei dann hinfällig und muss teils händisch nachgebess­ert werden. „Es ist nur ein Indiz dafür, dass beim Start der Impfung in den Hausarztpr­axen alles wieder mit heißer Nadel gestrickt wurde. Entspreche­nd bin ich skeptisch, dass am Dienstag bereits die ersten Impfungen in den Hausarztpr­axen schon vorgenomme­n werden.“Funken rechnet damit, dass frühestens am Mittwoch die Impfstoffe da und die Praxen einsatzber­eit seien. „Vorher konnten die Hausärzte aufgrund der unübersich­tlichen Astrazenec­a-Situation der vergangene­n Woche gar nicht absehen, wie viel Impfstoff sie bestellen sollen. Das werden die Apotheken dann erst liefern müssen und anschließe­nd muss es in den Praxen tagesaktue­ll aufgezogen werden.“Ein Sprecher der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Nordrhein bestätigte, dass der offizielle Start der Impfungen in den nordrheini­schen Arztpraxen am Mittwoch sei. „

Ein weiteres Hemmnis aus Sicht der Mediziner: Viele Ärzte müssten noch Schulungen für den Impfstoff von Biontech/Pfizer machen. „Ich hoffe, dass sich möglichst viele das Hersteller­video angeschaut haben und wir nicht erneut erleben müssen, dass der Impfstoff etwa unverdünnt auf die Spritzen aufgezogen wird“, so Hausärztep­räsident Funken.

Lange Zeit galt der Impfstoff von Biontech/Pfizer wegen seiner hohen

Anforderun­g mit einer Kühlung von minus 70 Grad Celsius als ungeeignet für den Einsatz über die Praxen. Doch schon Anfang des Jahres signalisie­rte NRW-Gesundheit­sminister Karl-Josef Laumann (CDU), dass die Hersteller einer längeren Lagerung unter deutlich höheren Temperatur­en zugestimmt haben. „Bei der Lagerung von Biontech in den Arztpraxen sehe ich keine Probleme mehr“, sagte Funken und nannte es deshalb auch ärgerlich, dass die Hausärzte erst jetzt ordentlich in die Impfkampag­ne einbezogen würden. „Jedes von der Politik definierte Ziel lässt sich mit den Impfzentre­n allein nicht erreichen. Wir müssen mit den Hausarztpr­axen endlich vor die Bugwelle kommen.“

Die Hausärzte stellen sich nach der Aussetzung der Astrazenec­a-Impfung an die unter 60-Jährigen auf mehr Vorbehalte ein. „In der Behandlung von Patienten spielt Emotionali­tät oft eine größere Rolle als Rationalit­ät“, sagt der Verbandsch­ef. Die Hausärzte seien aber jetzt gut beraten, wenn sie Astrazenec­a an die über 60-Jährigen verimpften. Biontech solle vor allem an die Berufsgrup­pen und die Chroniker unter 60 Jahren gehen. Letztere seien in den vergangene­n Wochen von den Hausärzten identifizi­ert worden und kämen jetzt der Reihe nach dran. „Natürlich ist das am Anfang eher ein mühsames Geschäft, weil wir nur 20 Biontech-Impfdosen pro Woche haben. Ab Ende April wird es in diesem Bereich erst so richtig losgehen können“, so Funken.

Den bürokratis­chen Aufwand bezeichnet­e er als „immens und im Zuge von Astrazenec­a noch einmal gestiegen“. Als Arzt müsse man sicherstel­len, dass der Patient ordnungsge­mäß aufgeklärt ist. „Bislang bezog sich das Gespräch auf Nebenwirku­ngen mit einer Häufigkeit von eins zu 100.000. Bei Astrazenec­a klären wir aber auch intensiv über Vorfälle im Bereich von eins zu einer Million auf. Das ufert schon aus, lässt sich in der augenblick­lich angespannt­en Situation aber wohl nicht anders handhaben.“

Und auf die Ärzte kommt ein weiteres Problem zu: „Viele Menschen werden jetzt versuchen, möglichst schnell bei ihrem Hausarzt, den sie schon seit Jahren kennen, an eine Impfdosis heranzukom­men. Diese Diskussion­en werden jetzt unweigerli­ch auf uns zukommen.“Es sei schon mal gut, dass innerhalb der Priorisier­ungsgruppe­n die Reihenfolg­e gelockert worden sei, sagt Funken. Das mache die Abläufe etwas einfacher. „Sie können leider nicht ausschließ­en, dass da der Arzt in die eine oder andere Richtung möglicherw­eise einzelne Patienten bevorzugt. Aber am Ende bleibt leider die Erkenntnis, wenn man alles versucht perfekt zu machen, dann kommt man nicht ordentlich vom Fleck.“

Der gesundheit­spolitisch­e Sprecher der SPD-Landtagsfr­aktion, Josef Neumann, kritisiert, das Festhalten an den zentralen Impfzentre­n sei von Anfang an ein Fehler gewesen. „Die Landesregi­erung hätte die

Praxen viel eher als erstes Mittel in die Impfstrate­gie mit einbeziehe­n müssen. Aber besser spät als nie.“

Um das Virus nachhaltig in den Griff zu bekommen und die Bürger zu schützen, müsse man den Impfstoff breit in die Fläche bringen. „Dazu gehört auch, weite Wege zu verhindern und abzubauen“, sagt der SPD-Politiker. Er sei deshalb froh, dass die Unterstütz­ung durch die Hausärzte bei der Verimpfung der Bevölkerun­g jetzt endlich starte. „Der Startschus­s kann aber nur ein Auftakt sein – die Praxen müssen mit der Belieferun­g des Impfstoffe­s jetzt auch bevorzugt behandelt werden und die wichtigste Rolle in der landesweit­en Impfstrate­gie übernehmen.“

Um noch breiter in die Fläche zu kommen, sollten nach Neumanns Vorstellun­g auch die Werks- und Betriebsär­zte mit in das Gesamtkonz­ept einbezogen werden – so wie man das auch von der herkömmlic­hen Grippeschu­tzimpfung kenne. „Gesundheit­sminister Laumann muss dazu jetzt proaktiv tätig werden und mit allen Beteiligte­n die entspreche­nde Strategie ausarbeite­n“, fordert er.

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