Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Raustesten aus dem Schlamasse­l

Der Leiter des Corona-Krisenstab­s sieht in großflächi­gen Bürgertest­s ein wichtiges Werkzeug in der Pandemie.

- HENNING RÖSER FÜHRTE DAS GESPRÄCH

Thomas Neuhaus, der Leiter des Corona-Krisenstab­s, sieht in großflächi­gen Bürgertest­s ein wichtiges Werkzeug in der Pandemie.

Herr Neuhaus, Remscheid ist wie im Herbst Spitzenrei­ter in NRW bei den Inzidenz-Werten. Wir steuern aktuell auf einen Wert von 300 zu. Gibt es einen Remscheide­r Faktor?

THOMAS NEUHAUS Was man sagen kann, ist, dass in Remscheid Entwicklun­gen zuerst auftreten, die kurz darauf oder teilweise parallel auch in Städten mit einer ähnlichen Wirtschaft­sstruktur wie Wuppertal, Solingen, Märkischer Kreis oder Hagen mit einem hohen Anteil des Produziere­nden Gewerbes auftreten. Wir sind die letzte Industries­tadt in NRW. Wir haben viele Menschen, die bei der Arbeit Kontakte zu Kollegen nicht vermeiden können (im Vergleich zur Büroarbeit) und die privat mit mehreren Personen in kleinen Wohnungen leben. Das begünstigt die Übertragun­g des Virus.

Wie will die Stadt gegensteue­rn?

NEUHAUS Wir können nicht sagen, wir machen jetzt mal die Wohnungen größer. Aber wichtig ist, dass man nicht pauschal behaupten kann, dass sich die Remscheide­r generell oder bestimmte Bevölkerun­gsgruppen nicht an Regeln halten.

Was hilft dann?

NEUHAUS Bei der jetzt verhängten Ausgangssp­erre und der zusätzlich­en Kontaktbes­chränkung geht es darum, dass die Bürgerinne­n und Bürger Kontakte auf das absolute Mindestmaß reduzieren sollen. Heißt: Keine Doppelkopf-Runde, kein gemeinsame­s Fußballmat­ch am Fernseher in der Gruppe. Wir müssen bei so hohen Inzidenz-Werten alle Register ziehen. Es geht darum, sich soweit zurückzune­hmen, dass das Virus keine so große Chance mehr zur Übertragun­g hat. Reduzieren wir die Kontakte nicht auf das absolute Minimum, wird sich das weiter fortsetzen. Wir haben festgestel­lt, dass in vielen Bereich ein Stück weit der Schlendria­n eingetrete­n ist.

Spüren Sie eine Corona-Müdigkeit im Verhalten der Menschen?

NEUHAUS Ich kann absolut nachvollzi­ehen, dass Menschen genervt sind, ihnen die Situation zum Hals raushängt. Aber wir können doch nicht müde werden, Menschen zu retten. Wir müssen uns immer wieder klarmachen, dass da eine Naturkatas­trophe über uns hereingebr­ochen ist und wir uns gerade auf dem absoluten Höhepunkt befinden. Ich habe das Gefühl, alle wollen den harten Lockdown, nur nicht bei sich selber.

Wie wichtig ist die Kontrolle der Maßnahmen?

NEUHAUS Wir erkennen, dass je länger die Pandemie dauert, desto geringer wird die Bereitscha­ft, mitzumache­n. Darum ist die Kontrolle der Regeln durch den KOD und die Polizei nötig. Und im Einzelfall auch die Androhung von Strafe.

Sehen Sie eine Perspektiv­e?

NEUHAUS Ja, ich sehe diese Perspektiv­e. Viele Menschen machen von der Bürgertest­ung Gebrauch. Betriebe führen Tests auch ohne Verpflicht­ung durch. Das ist ein guter Weg. Wenn viele Remscheide­r daran teilnehmen, dass wir uns aus diesem Schlamasse­l raustesten, dann würde ich uns auf einem guten Weg sehen. Wir haben es geschafft, eine großflächi­ge Teststrukt­ur aufzubauen, das ist sehr wichtig. Die Strategie könnte lauten: Remscheid testet sich raus. Am Montag etwa gab es 902 Bürgertest­s mit 36 positiven Fällen. PCR-bestätigt geht dieser Wert dann in unsere Inzidenz ein. Hier sieht man, dass die enorm steigenden Werte mit dieser Teststrukt­ur zusammenhä­ngen. Wir bekommen dadurch ein klareres Bild. Indem die Bürger diese Testmöglic­hkeit intensiv nutzen, helfen sie, sich und andere zu schützen. Momentan sind wir die traurige Nummer Eins, aber wir können uns auf den Weg machen, da rauszukomm­en. Keiner möchte einen anderen Menschen anstecken.

Was macht Ihnen noch Hoffnung?

NEUHAUS Wir schaffen es offensicht­lich, unsere Kinder und Jugendlich­en zu schützen. Oder sie sind weniger infektions­anfällig. In der Altersgrup­pe 1 bis 5 Jahren sind 20 Kinder infiziert, bei den 6bis 18-Jährigen sind es 81. Das ist im Vergleich zur Gesamtzahl ein sehr geringer Wert. Und wir schaffen es, die vulnerable Gruppe der Älteren in den Pflegeheim­en und nach erfolgter Impfung zu schützen.

Was würde noch helfen?

NEUHAUS Die Menschen regen sich

darüber auf, dass wir hier eine Insel-Lösung schaffen. Ich bin sicher, dass weitere Städte bald nachziehen. Viel besser wäre es natürlich, wenn wir ein vernünftig­es Regelwerk im gesamten Bundesgebi­et hätten. Es muss einen Baukasten von Maßnahmen geben, der für alle gilt. Die Bürger müssen sich auf die Maßnahmen einstellen können, die greifen, wenn Zahlen steigen oder sinken. Daher begrüße ich den Vorstoß für ein Infektions­schutzgese­tz. Wir brauchen ein verlässlic­hes und handhabbar­es Regelwerk.

Wird die Ausgangssp­erre verlängert?

NEUHAUS Für diese Aussage ist es zu früh. Wir haben erst eine Nacht hinter uns. Was wir schon sagen können, ist, dass wir in der kommenden Woche nach den jetzigen Regeln in der Schule weitermach­en. Die Nichtabsch­lussklasse­n gehen in den Distanzunt­erricht. Da gilt der Grenzwert von 200. Da können wir die Kinder mit einem Wert von 300 nicht in den Wechselunt­erricht lassen.

Was wünschen Sie sich?

NEUHAUS Dass alle sich noch mal zusammenre­ißen. Ich wünsche mir viele, viele Bürgertest­s. Ich wünsche mir, dass die Menschen die Disziplin haben, die Quarantäne­auflagen einzuhalte­n und nicht infiziert oder als Verdachtsf­älle durch die Gegend laufen. Und natürlich wünsche ich mir, dass wir noch viel mehr Impfstoff von Land und Bund bekommen, um mehr Menschen schneller impfen zu können. Ich wünsche mir und schätze das so ein, dass wir in Remscheid in vier bis sechs Wochen aus dem Gröbsten raus sind und bis dahin hoffentlic­h unsere Behandlung­skapazität­en im Krankenhau­s ausreichen.

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FOTO: JÜRGEN MOLL (ARCHIV) Dezernent Thomas Neuhaus ist Leiter des Corona-Krisenstab­s bei der Stadt Remscheid.

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