Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Stadt attackiert Land und Bund
Die Stadt fühlt sich bei Schulen und eventuellen Ausgangssperren im Stich gelassen. Lage wird besser als im Dezember beurteilt.
Die Stadt fühlt sich bei Schulen und eventuellen Ausgangssperren im Stich gelassen. Lage wird besser als im Dezember beurteilt.
Die Stadt Solingen verliert zunehmend die Geduld mit der Corona-Politik von Bund sowie Land – und verlangt angesichts vieler weiterhin offener Fragen endlich Klarheit von den Verantwortlichen in Berlin und Düsseldorf. Das haben Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) sowie die zuständigen Dezernenten Dagmar Becker (Grüne) beziehungsweise Jan Welzel (CDU) am Donnerstag bei der allwöchentlich stattfindenden Pressekonferenz der Stadt deutlich gemacht und darum noch einmal eindringlich an die Entscheidungsträger appelliert, gerade im Bereich Schule und Kitas Kinder sowie Eltern nicht im Regen stehen zu lassen.
Tatsächlich ist nach wie vor nicht klar, ob die rund 22.000 Solinger Schüler ab Montag wieder in ihre Klassenräume zurückkehren können. So brachte auch ein Schreiben aus dem NRW-Schulministerium, das am Donnerstagnachmittag eintraf, keine Aufklärung. „Nachdem es am Vortag hieß, bei Inzidenzwerten über 200 müsse es bei Distanzunterricht bleiben, wurde uns nun nur mitgeteilt, dass kein solcher Automatismus bestehe“, sagte OB Kurzbach, der einmal mehr verbindliche und juristisch wasserdichte Regeln forderte. Tim Kurzbach: „Wir reden nicht über irgendetwas, sondern über ein Thema, das für Kinder und Familien von entscheidender Bedeutung ist.“
Gleichzeitig betonte der OB, ein gutes Jahr nach Beginn der Corona-Krise müsse es differenziertere Lösungen geben als ein einfaches Auf- und Zuschließen. Zwar befinde man sich „ohne Zweifel mitten in der dritten Welle“, sagte Kurzbach. Doch gerade deswegen sei es notwendig, endlich zu einem klaren gesetzlichen Rahmen zu kommen, der weiter fehle.
Dabei plädierte der Oberbürgermeister zum wiederholten Male dafür, bei der Beurteilung der Corona-Lage nicht allein den Inzidenzwert zugrunde zu legen. Dieser sei in Solingen zuletzt wieder gestiegen. Doch das Gesundheitsamt schaffe nach wie vor die Nachverfolgung von Fällen. Und zudem sei die Situation in den Krankenhäusern augenblicklich besser als noch im Dezember, als sich die Stadt zu einer nächtlichen Ausgangsbeschränkung entschloss. Kurzbach: „Normale OPs, die auch wichtig sind, laufen weiter.“
Man befinde sich im Dialog mit allen Beteiligten, etwa den Kliniken, und werde die Maßnahmen, zum Beispiel beim personellen Aufstocken im Gesundheitsamt, wieder verstärken, versicherte der OB. „Wir sind – außer bei der Inzidenz – noch nicht im gelben oder roten Bereich“, sagte Kurzbach, der eine erneute Ausgangsbeschränkung skeptisch beurteilte. Zwar könne man eine solche Maßnahme angesichts der Diskussionen in Bund und Land sicher nicht ausschließen. Indes
gebiete es der „Respekt vor der Verfassung“, stets mit Augenmaß vorzugehen.
Eine Einschätzung, die Rechtsdezernent Jan Welzel am Donnerstag teilte. So habe das Land die Stadt am Dienstag wohl aufgefordert, eine neue Ausgangsbeschränkung zu prüfen, berichtete Welzel. Allerdings sei ein dergestalter Eingriff in die Grundrechte momentan
„rechtssicher nicht zu vertreten“, unterstrich der Dezernent – und verwies auf vergleichbare Maßnahmen in anderen Gebietskörperschaften, die von Gerichten zuletzt wieder kassiert wurden.
Insgesamt beurteilt die Stadt die Infektionsgefahr im Freien als eher gering. Und Gespräche mit Solinger Händlern ergaben, dass diese die augenblicklichen Regelungen beim Einkaufen beibehalten wollen. „Weitere Unsicherheit wäre das Schlimmste“, sagte Oberbürgermeister Kurzbach. Parallel richtete der OB einen eindringlichen Appell an Bund und Land, das Durcheinander endlich abzustellen. Nur auf einer solchen Basis könne die Stadt agieren.
„Wir wollen werteorientiert handeln“, betonte der OB. Gerade in Bezug auf Schulen sei das momentane Vorgehen auf den übergeordneten Ebenen aber „nicht verantwortlich“. Kurzbach: „Auftritte in Talkshows helfen nicht. Was fehlt, sind die gesetzlichen Grundlagen.“